Im Dezember 2023 machte eine Meldung die Runde: Erstmals nach sechs Jahren eroberte wieder eine deutsche Biathletin das Gelbe Trikot der Gesamtführenden im Weltcup. Franziska Preuß war das Kunstwerk gelungen, dazu hatte Rang vier im Sprint von Östersund gereicht. Dieses Kunststück aber brachte der Ruhpoldingerin damals wenig Glück. Nach den Wettkämpfen in Schweden erkrankte sie – und so kam es, dass sie das Gelbe Trikot nie in einem Rennen trug. Das dürfte sich nun ändern.
Ziemlich genau ein Jahr nach den Ereignissen von Östersund hat Franziska Preuß am Freitag zum zweiten Mal in ihrer Karriere ein Weltcuprennen gewonnen. Beim Sprint im österreichischen Hochfilzen lag sie am Ende vor der Französin Sophie Chauveau und Karoline Offigstad Knotten aus Norwegen und eroberte – ebenso zum zweiten Mal in ihrer Laufbahn – das gelbe Jersey für die Gesamtführende. 2019 hatte sie zu Hause in Ruhpolding ein Massenstartrennen gewonnen, diesmal gelang ihr das im 58 Kilometer entfernten Hochfilzen. Auch wenn sie mitten im Rennen zu wackeln begann.
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Genauer: zu verwackeln. Nach einer fehlerlosen Einlage im Liegendschießen und einer rasanten zweiten 2,5-Kilometer-Runde in der Loipe schoss sie die erste Kugel so weit an der Zielscheibe vorbei, dass dem deutschen Frauen-Cheftrainer Christian Mehringer beim Zuschauen ganz anders zumute wurde. „Beim ersten Schuss dachte ich mir schon: Oh, kacke, der ist weit weg“, erklärte Mehringer salopp nach dem Rennen. Doch dann versenkte Preuß die verbleibenden vier Scheiben schnell und präzise, und angesichts ihres Vorsprungs war schon zu erahnen: Das könnte trotz einer Strafrunde für ganz vorn reichen.
In der Mixed-Zone angekommen, wirkte die 30-Jährige nach dem Rennen so, als wäre ihr ein riesiger Schneebrocken vom Herzen gefallen. „Ich habe mir beim Stehendschießen gedacht: Verdammt, das ist wieder dieses eine My, das nicht reicht.“ Im finnischen Kontiolahti hatte sie kürzlich in zwei Rennen wegen je eines überzähligen Fehlschusses den Sieg verpasst, im Sprint wurde sie so mit einer Zehntelsekunde Rückstand Vierte, im Massenstart immerhin noch Dritte. Diesmal reichte es trotz Fehlers, auch weil sich am traditionell komplizierten Schießstand von Hochfilzen fast alle Favoritinnen schwertaten. Sie selbst sei diesmal „im Flow gewesen“, sagte Preuß. Und vor allem: gesund.
„Ich habe normal trainieren können, und manchmal ist das schon gut genug“, sagt Preuß
In ihrem Sportlerinnenleben war Franziska Preuß stets von Rückschlägen begleitet, die nahezu ausschließlich mit ihrer Anfälligkeit für Infekte zu tun hatten. Lauerte irgendwo nur der winzigste Keim, Preuß fing ihn sich ein, das war so klar wie die Tiroler Kaßpressknödelsuppe. Oft war sie dadurch bereits in der Saisonvorbereitung eingeschränkt, und darin liegt der nun vielleicht entscheidende Unterschied zur – wenn man so will – neuen Franziska Preuß. „Ich habe den ganzen Sommer trainiert“, erklärte sie, anders als sonst habe sie „wenig Kompromisse“ machen müssen. „Ich habe normal trainieren können, und manchmal ist das schon gut genug“, sagte sie: „Man muss kein Hexenwerk machen.“
Zentral für diese Stabilisierung war offenbar tatsächlich ein Eingriff, dem sich Preuß im März unterzogen hatte, eine Operation an den Nasennebenhöhlen. „Um einen Entzündungsherd wegzuhaben“, erklärte Preuß, „das war der Schlüssel.“
Bleibt sie 24 Stunden gesund, geht sie beim Verfolgungsrennen am Samstag wahrhaftig im Gelben Trikot und als Erste in die Loipe. 30 Sekunden nach ihr macht sich dann Selina Grotian aus Garmisch-Partenkirchen auf die Jagd. Die 20-Jährige hatte am Vortag des Rennens noch auf Instagram im Bademantel Sprungeinlagen zum Besten gegeben, nun zeigte sie sich ihrerseits vom Infekt in Finnland läuferisch erholt und treffsicher. Mit einem Schießfehler (liegend) kam sie als zweitbeste Deutsche auf Rang fünf ins Ziel – ohne Bademantel. „So etwas lenkt einen ab und macht gute Laune“, erklärte sie anschließend. „Die Skier waren perfekt“, ergänzte sie, ein Lob also an die DSV-Techniker: „Es geht jetzt in die richtige Richtung.“
Bei den deutschen Männern indes läuft es eher durchwachsen, eventuell müssen sie ihre Ski nochmal durchwachsen. Philipp Nawrath lief am Nachmittag trotz zehn getroffener Scheiben als bester DSV-Biathlet auf Rang acht, Justus Strelow (ein Fehler) wurde 17., Weltcup-Debütant Simon Kaiser landete auf Rang 36. Den Sieg sicherte sich trotz Schießfehler der Norweger Johannes Thingnes Bö vor seinem Landsmann Sturla Holm Laegreid und dem Franzosen Claude Fabienne (beide fehlerfrei). Mit Ausnahme von Danilo Riethmüller, der schon starke Rennen zeigte in diesem Winter - aber dessen Trefferbild am Freitag mehr an einen gestressten Fahrkartenknipser erinnerte, qualifizierten sich alle deutschen Biathleten für das Verfolgungsrennen am Samstag.
Dazu zählen auch Preuß' Teamkolleginnen Vanessa Voigt (ein Fehler, 12. Platz), Julia Tannheimer (2, 29.), Julia Kink (2, 40.) und Weltcup-Debütantin Marlene Fichtner (1, 46.). Die vorderste gejagte Franziska Preuß sagte dazu: „Da denke ich eh noch nicht dran, ich genieße jetzt erst mal.“ Dann ging es ab zur Siegerehrung, an diesem Freitag, dem 13., ihrem persönlichen Glückstag.