Biathlon:Große Worte vor kleiner Kulisse

Martin Fourcade, FRA during Biathlon, IBU World Cup Men 12.5 km Pursuit Competition at the Kontiolahti Bieathlon Stadium

Die letzte Sektdusche: Martin Fourcade, der bestimmende Biathlet der vergangenen Dekade, sammelte fünfmal Olympia-Gold, 28 WM-Medaillen (davon 13 goldene) und wurde siebenmal Gesamtweltcup-Gewinner.

(Foto: Kalle Parkkinen/imago)

Martin Fourcade prägte Biathlon nicht nur durch seine Erfolge, sondern auch durch seine Meinungsstärke. Nun beendet er seine Karriere - ohne Publikum, mit einem Sieg.

Von Saskia Aleythe

Seine Gefühle hat Martin Fourcade zuletzt voll ausgelebt, bei der Biathlon-WM in Antholz hing der Olympiasieger schluchzend über einer Bande, minutenlang. 19 Jahre lang hatte die französische Mannschaft darauf gewartet, wieder Staffel-Gold zu gewinnen, und als es vollbracht war, brach Fourcade beim späteren Siegerinterview in Tränen aus. Es war auch der Moment, als dem 31-Jährigen bewusst wurde, dass sein Leben nun eine Abzweigung nehmen würde, weg von den Loipen der Biathlonwelt.

Ein Kreis hatte sich an diesem Tag geschlossen, der Erfolg mit der Staffel machte seine üppige Titelsammlung komplett. Man musste jetzt noch einmal an diesen Moment denken, auch an jene Anekdote, die Fourcade nach dem Rennen erzählte: Wie er als Zwölfjähriger mit seinen Eltern vor dem Fernseher saß, Videotext lesend, Live-Bilder vom Biathlon habe es damals im französischen TV nicht gegeben. Wer so in Erinnerungen schwelgt, der ist mit seinen Gedanken oft schon in der Zukunft.

Am Samstag ist Fourcade zum letzten Mal über die Ziellinie gerutscht, in der Verfolgung von Kontiolahti, die Ränge waren leer wegen der Coronavirus-Pandemie. Seine große Karriere endete auf die einzig logische Weise: mit einem Sieg. So einen Absprung bekommen nicht viele hin. Es war sein 79. Erfolg im Weltcup, die Gesamtwertung entschied aber Norwegens Johannes Thingnes Bö für sich, Platz vier reichte ihm dazu. Bö ist der neue Mann der Superlative. Im Ziel gab es statt jubelnder Fans viele Umarmungen zwischen Fourcade und der Konkurrenz, Teamkollegen gönnten ihm eine Champagner-Dusche und warfen ihn durch die Luft, wobei Letzteres in einer unsanften Landung endete.

Fourcade hat dem Sport zu einer enormen Popularität verholfen, nicht nur in Frankreich. "Ich habe viel geweint, als ich diese Mitteilung geschrieben habe", sagte er der L'Équipe; in den sozialen Netzwerken hatte er seinen Entschluss mitgeteilt. "Mein Wille, das Beste zu geben und Berge zu versetzen, ist immer noch vorhanden", schrieb er, aber er möchte jetzt wachsen, "als Mann, als Vater". Er möchte dem Sport erhalten bleiben und etwas zurückgeben, er hat den Vorsitz der Athletenkommission der Olympischen Spiele 2024 in Paris inne, aber es soll auch darum gehen, sich jetzt neue Wege zu suchen. Dieses Suchen hat ihn am Ende als Biathlet noch mehr geprägt als all die reibungslosen Jahre.

Fünf Mal Olympiasieger, 13 Mal Weltmeister, sieben Mal Gesamtsieger - öfter als jeder andere - ein Jahrzehnt lang hat sich Fourcade mit viel Ausdauer und nervenstarken Schießeinlagen zu einem der besten Biathleten der Geschichte entwickelt. Obwohl er mit 16 Jahren schon wegen Motivationsproblemen aufhören wollte; "ich hatte das Gefühl, meine Jugend zu verpassen", schrieb Fourcade einst in seiner Biografie.

Seine drei Goldmedaillen bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang vermarktete er wie einer, der wusste, dass diese Erfolge vielleicht nie wiederkommen würden. Werbe- und Sponsorentermine neben dem Training, dazu sein eigener Sommer-Biathlon-Wettkampf in Annecy, sportpolitische Arbeit im Olympia-Komitee - der Sommer hinterließ seine Spuren. Im folgenden Winter beendete er ein Rennen vor Frust gar nicht erst, bei der WM in Östersund blieb er ohne Medaille. "Ich habe gemerkt: Biathlon ist schwierig", sagte er zuletzt in Antholz. Sein Gold im Einzel widmete er den Technikern und Betreuern. "Die Medaillen sind nichts ohne die Leute, die neben uns stehen. Sie haben dieselben Schmerzen gefühlt wie ich letzten Winter", sagte er. Das war dann tatsächlich ein neuer Fourcade, der da sprach.

Seine alte Verbissenheit wurde ihm bisweilen als Arroganz ausgelegt, er konnte auch wirklich lange schlecht verlieren, was aber eine ganz gute Basis fürs Gewinnen ist. 2013 verhakte sich der Schwede Fredrik Lindström von hinten in seinen Skiern, Fourcade schlug nach hinten aus, Lindström verlor dabei seinen Stock. Eine Übersprungshandlung, die der Franzose Sekunden später korrigierte, als er dem Schweden zur Entschuldigung seinen eigenen Stock reichte.

Der Entschluss, seine Karriere zu beenden, sei über den Winter schon gereift, sagte Fourcade noch, mit Johannes Thingnes Bö, 26, ist nun ein jüngerer Athlet dabei, beeindruckende Siegesserien zu erschaffen. Dass dem Norweger das Leben nicht allzu leicht gemacht wird, dafür sollen andere Franzosen sorgen. Schon in Antholz hatte Fourcade Küsschen verteilt, wenn ihn die Kollegen überholten. Emilien Jacquelin gewann Gold in der Verfolgung, Quentin Fillon-Maillet Silber in Sprint und Massenstart. Vielleicht lag auch dieses Gefühl in Fourcades Tränen nach dem Staffel-Erfolg: Frankreich kommt jetzt ohne ihn aus. Am Samstag standen folgerichtig nur Franzosen auf dem Podest: Fillon-Maillet und Jacquelin auf Platz zwei und drei, in der Mitte der "Papa" der Mannschaft.

Eigentlich war sein Abschied erst für Oslo geplant, doch aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus wurde das Saisonfinale am kommenden Wochenende gestrichen. So wurde es Abschied vor Geisterkulisse, schon in der vergangenen Woche waren die Biathleten in Nove Mesto in Tschechien zur Sicherheit ohne Zuschauerkulisse gelaufen. Schon da merkte Fourcade die Inkonsequenz im Umgang mit dem Coronavirus an, "der Biathlon-Zirkus zieht weiter, obwohl wir alle vor einer Woche noch in Italien waren", schrieb er auf Twitter.

"Ich wollte nie für meine Erfolge in Erinnerung bleiben, sondern als guter Mensch", sagte Fourcade am Wochenende noch mit viel Pathos ins ARD-Mikrofon, tatsächlich hob er sich durch eines am meisten von anderen ab: Keiner kritisierte die Dopingpraktiken russischer Kollegen so scharf und beharrlich wie er, mit der boykottierten Flower-Zeremonie bei der WM 2017 in Hochfilzen wählte er schon mal die größte Bühne, und das als Bester seines Sports. Dass er nun, auf den Tag zehn Jahre nach seinem ersten Weltcupsieg, vor kleiner Kulisse abgetreten ist, passt trotz aller Wehmut zu seiner Karriere. Zu sich zu stehen war ihm stets wichtiger, als von allen Seiten Applaus zu kassieren.

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