Biathlon:Der Sport und der Schmutz in Hochfilzen

Biathlon

Der Doping-Verdacht skatet mit: Die österreichische Polizei stattete dem russischen Biathlon-Team in Hochfilzen einen Besuch ab.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)
  • Die österreichische Polizei taucht im Teamhotel der russischen Biathleten auf und informiert über "die Führung eines Ermittlungsverfahrens".
  • Der neue Verdacht gegen Russlands Biathleten bezieht sich auf 2017. Der Staatsdoping-Skandal war da schon aufgeflogen. Es soll um Bluttransfusionen gehen.
  • Im Fokus der neuen Ermittlungen stehen nun: Anton Schipulin, Alexander Loginow, Jewgeni Garanitschew, Alexei Wolkow und Irina Starych.

Von Saskia Aleythe, Hochfilzen

Diese Tage wollte man sich nicht ruinieren lassen. Ein Gasthaus im österreichischen Hochfilzen, für das der Begriff "urig" erfunden wurde, der Präsident der Biathleten hatte sich schick gemacht, um vor seine Kollegen, vor Sponsoren und Medien zu treten. Blasmusik spielte, und dann sprach der Präsident, so engagiert, dass sich sein Brustkorb wölbte. "Nothing will overshadow our beautiful sport", rief Anders Besseberg aus, nichts soll den schönen Sport überschatten. Das war bei der WM 2017. Er hat das so ernst gemeint, dass er ein Jahr später wegen Ermittlungen gegen ihn abtreten musste, Verdacht auf Vertuschung positiver Dopingproben russischer Athleten im Gegenzug für Gefälligkeiten. Was einen direkt zu diesem Donnerstag führt, zum Weltcup in Hochfilzen.

Tief stand die Sonne über den weißen Hügelfeldern, schwer hing der Schnee auf den Tannen, und wenn sich jemand überlegen würde, Tourismus-Influencer zu werden: Er käme definitiv an diesen Ort in Österreich, um mit ein paar flinken Fotos ein paar Herzchen abzugreifen. Da, wo die Sonne selbst zweistellige Minusgrade schnell vergessen lässt, ist der Schritt in den Schatten aber umso erbarmungsloser. Und zwischen allem Geglitzer tritt plötzlich der Schmutz hervor.

Kurz vor zehn Uhr wurde bekannt, dass die russischen Athleten am Vortag Besuch bekommen hatten: Die österreichische Polizei war im Teamhotel aufgetaucht und hatte laut Staatsanwaltschaft ein Schreiben übergeben, um über "die Führung eines Ermittlungsverfahrens" zu informieren. Es geht um fünf Betreuer und fünf Sportler, die Vorwürfe: "Anwendung verbotener Substanzen bzw. Methoden zum Zweck des Dopings." Außerdem: "schwerer Betrug im Zusammenhang mit Doping." Zeitpunkt des mutmaßlichen Vergehens: Die WM 2017 in Hochfilzen. Hoppala.

Schipulin: "Ich bin wütend über die laufende Hexenjagd."

Hochfilzen ist ein besonderer Ort für dieses Thema: Schon 2017 war die Dopingproblematik so stark an die Oberfläche gequollen, dass sich sogar mal Athleten dazu äußerten. Ein paar Wochen vor WM-Start hatte der zweite sogenannte McLaren-Report neue Indizien zu russischem Doping geliefert; auch im Weltcup aktive Athleten standen unter Verdacht, zwischen 2011 und 2014 nicht ganz sauber zu ihren Erfolgen gekommen zu sein. Martin Fourcade, der Beste der Szene, drohte mit Weltcup-Boykott, sollte sich nichts bei der Aufarbeitung tun. "Wir dachten nicht, dass es möglich ist. Aber sie haben es getan", kommentierte Fourcade dann bei der WM den Umstand, dass der ehemalige Epo-Doper Alexander Loginow in der Mixed Staffel antreten durfte.

Im ersten Rennen der WM kam es zum Eklat: Fourcade fuhr Loginow beim Austrudeln über den Ski. Versehentlich, sagte er. Absichtlich, sagten die Russen. Und verweigerten dem Silbergewinner bei der sogenannten Flower Ceremony den Handschlag, dieser wiederum trat höhnisch klatschend neben den Bronzegewinnern ab. Keine schönen Bilder des schönen Sports. "Das russische Biathlon-Team ist eine große Familie", sagte Schipulin dann auf der Pressekonferenz, "und wenn ein Mitglied angegriffen wird, wenn uns jemand den Krieg erklärt, dann stehen wir zusammen."

Schipulin wollte sich damals gegen Vorverurteilung wehren. Im Fokus der neuen Ermittlungen rund um die WM 2017 stehen nun: Anton Schipulin, Alexander Loginow, Jewgeni Garanitschew (Olympia-Dritter von Sotschi), Staffel-Olympiasieger Alexei Wolkow und Europameisterin Irina Starych, die ebenfalls schon eine Sperre wegen Epo-Dopings abgesessen hat. Loginow bestätigte die Ermittlungen, indem er auf Instagram schrieb: "Mir und nicht nur mir wirft man Machenschaften mit Bluttransfusionen und noch irgendetwas vor (konkret hat man uns das nicht gesagt)." Garanitschew wetterte auf Instagram: "Der nächste Skandal!! Wir sind sauber ..." Auch Schipulin, lange der beste Russe, postete: "Ich habe nie verbotene Substanzen verwendet. Ich habe nie eine einzige Anti-Doping-Regel verletzt. Ich bin wütend und aufgebracht über die laufende Hexenjagd."

Der Blick fällt auch auf Ricco Groß

Das Internationale Olympische Komitee hatte beiden den Start bei Olympia in Pyeongchang verweigert. Beim Sprintrennen am Donnerstag trat auch Starych an, sie wurde Neunte. Außer ihr sind von den Beschuldigten auch Loginow (beim Saisonstart in Pokljuka zweimal auf dem Podest) und Garanitschew in Hochfilzen, Schipulin gehört offiziell wegen Formschwäche aktuell nicht zum Weltcup-Team.

Die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien waren schon seit einiger Zeit bekannt. Was aber nicht bekannt war: dass sich der konkrete Dopingverdacht um Wettbewerbe bei der WM 2017 dreht, also um Ereignisse nach dem vom McLaren-Report aufgezeigten Staatsdoping rund um die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi. Womit der Blick auch auf Ricco Groß fällt. Der viermalige Olympiasieger gehört nicht zu den beschuldigten Personen, war allerdings von 2015 bis zum Ende der vergangenen Saison Trainer der russischen Männer. Mittlerweile ist er für Österreichs Männer zuständig, am Donnerstag beobachtete er das Training am Schießstand. Von den Ermittlungen habe er natürlich gehört, wolle aber "erst mal abwarten", was herauskommt. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre das für ihn "in der Tat scheiße", antwortete Groß auf die Frage eines Reporters.

In Hochfilzen kommt nun auch der neue IBU-Präsident Olle Dahlin zu seinen ersten öffentlichen Auftritten, er war seit 2014 Vizepräsident und soll doch für einen Neuanfang stehen. Auch ihm werden dezente Parallelen zu 2017 aufgefallen sein: Damals, vor dem Auftritt von Besseberg, war eine Razzia beim kasachischen Team durchgeführt worden, ein Karton mit Einwegspritzen und Ampullen wurde an einer Raststätte gefunden, Dopingverdacht. Starten durften sie damals trotzdem, weil die Dopingproben negativ ausfielen - laut IBU. Nun ermittelt man in Österreich wieder gegen sie, vor dem Saisonstart wurden die Kasachen provisorisch gesperrt, wieder wegen der Vorgänge von damals. Der schöne Sport und der Schmutz, das ist dann schon eine längere Geschichte.

In einer früheren Version dieses Artikels haben wir Irina Starych fälschlicherweise als Staffel-Olympiasiegerin bezeichnet. Richtig ist, dass sie mehrfache Biathlon-Europameisterin ist.

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