Biathlon:Der Fels bewegt sich

Bei den deutschen Männern ist ein Konkurrenzkampf ausgebrochen. Für formschwache Läufer ist das keine gute Nachricht - für die Zukunft des Teams durchaus.

Von Volker Kreisl, Ruhpolding

15:08 Uhr war es in Ruhpolding, fast 40 Minuten lief das Rennen bereits, und die Startnummer 77 durfte endlich in die Spur. So ist das beim Biathlon-Sprint mit seinem Intervallstart: jeder läuft für sich. Und nach einer Dreiviertelstunde beginnen sich die Besten, die längst im Ziel sind, zu entspannen. Verdrängen wird sie wohl keiner mehr, Spätstarter sind selten gefährlich.

Doch dieses Sprintrennen der Männer zeigte, dass man sich nie zu sicher sein sollte, dass Biathlon trotz aller Videos, Daten und Berechnungen noch Überraschungen zu bieten hat, auch mit einer Nummer 77. Die trug Philipp Nawrath, 26 Jahre alt, aus Nesselwang und eben noch zweitklassig. Er mischte im Folgenden die Besten noch mal auf, und als er um halb vier im Ziel ankam, hatte er den Jubel der Zuschauer sicher und zudem einen Startplatz für die Weltmeisterschaft im Februar, womit wiederum eine neue Phase im deutschen Männerteam anbrechen könnte.

Nawrath hatte sich mit kräftigen Schüben den Schießstandberg von Ruhpolding hinaufgearbeitet, hatte die komplette erste Schleife gedreht, und als er zum ersten Schießen kam, da wurde die Kulisse laut und die Konkurrenz still: Nawraths Zeit war so gut wie die der Führenden. Er ist wie die Teamkollegen Philipp Horn und Johannes Kühn einer jener Biathleten, die schon die Mitte der Zwanziger überschritten haben und dennoch als Nachwuchs gelten. Das liegt auch an Arnd Peiffer, Benedikt Doll, Erik Lesser und Simon Schempp, dem lange Zeit erfolgreichen deutschen Spitzenquartett, das manche Nachrücker fernhielt. "Die Entwicklung dauert bei uns gerade etwas länger", sagt Männertrainer Isidor Scheurl, aber: "Ob jemand mit 23 oder mit 27 ins Weltcupteam kommt, ist eigentlich egal."

BMW IBU World Cup Biathlon Ruhpolding - Men 10 km Sprint Competition

Philipp Nawrath.

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Nawrath legte sich also auf die Matte, traf fünfmal ins Schwarze und machte sich auf und davon. Die Zwischenzeit vermerkte ihn erst mal als knappen Zweitbesten hinter dem elfmaligen Weltmeister Martin Fourcade, und im Ziel, im Pressezentrum und an den Fernrohren der Trainer begann man zu überlegen: Wer ist das? Wann geht ihm die Luft aus? Wackeln die Beine beim zweiten Schießen?

Vor allem für die Deutschen war dies spannend. Denn das erfolgreiche Team von Cheftrainer Mark Kirchner, das seit fünf Jahren fast so wirkt, als wäre es in Stein gemeißelt, könnte nun in Bewegung geraten. Insgesamt könnte man sagen, es ist zurzeit weniger erfolgreich, dafür aber größer und damit auch interessanter. Die internen Rangkämpfe sind vielfältiger, was nicht nur mit dem Ehrgeiz der Aufstrebenden zu tun hat, sondern auch mit dem Pech der Besten.

Fraglich ist, wie schnell sich Erik Lesser und Simon Schempp erholen können. Beide sind schon Weltmeister geworden, aber nun versuchen sie abseits des großen Trubels, einen neuen Anlauf zu nehmen für ein paar letzte gute Jahre ihrer Karriere. Lessers Tief hängt wohl mit Rückenschmerzen und einer Erkältung über Weihnachten zusammen. Warum Schempp seit Wochen wirkt, als trage er kein Gewehr sondern einen Rucksack voller Steine, ist nicht geklärt. Eine Erklärung könnte in der Frühform im September liegen. Er musste sich fürs Weltcupteam qualifizieren und entsprechend antizyklisch verausgaben. Scheurl sagt: "Wir werden das Training noch genau analysieren."

Benedikt Doll GER Aktion Biathlon Welt Cup 10 KM Sprint der Herren in Ruhpolding, Deutschland am 16.01.2020 *** Benedik

Benedikt Doll.

(Foto: Rolf Kosecki/imago)

So bitter das für den 31-jährigen Schempp gerade ist - für Nawrath öffnet sich nun jener Weg, auf den er lange gewartet hatte, genau genommen seit 13 Jahren. Er war noch ein Kind, als sein Heimatort im Februar 2006 leicht ins Wanken geriet vor Freude, weil der Nesselwanger Michael Greis mit dreimal Gold zu einem der Besten der Turiner Spiele wurde. Beim gemeinsamen Olympiaschauen, beim Betrachten dieser skatenden Schützen, da wollte der 13-jährige Philipp das dann auch - Biathlon! "Das war so eine Rieseneuphorie," sagt er, " das hat mich gepackt."

Und nun ist er auf diesem Weg in Ruhpolding erschienen. Ein paar Sekunden hatte Nawrath auf der Strecke zum zweiten Schießen verloren, doch immer noch lag er unter den Besten. Er stellte sich auf die Matte, olympische Atmosphäre war's zwar noch nicht, aber doch jene Spannung, die entsteht, wenn einer mit einer starken Vorleistung weit nach oben steigt, aber jederzeit tief fallen kann. Doch Nawrath nahm kontrolliert Maß, fand den richtigen Atemtakt, den Rhythmus von Schuss zu Schuss, von Treffer zu Treffer, versenkte die letzte Scheibe und war auch schon auf dem Weg Richtung Ziel.

Er hat sich nicht übernommen, aber die Kräfte ließen dann doch etwas nach. Siebter wurde Philipp Nawrath, doch das Podest war nur zwölf Sekunden entfernt, Martin Fourcade blieb Sieger, Benedikt Doll blieb Dritter. Der Mann aus dem Schwarzwald hat am Sonntag gute Chancen im Verfolgungsrennen, genauso wie die Teamgefährten Kühn und Nawrath. Der wird am Samstag auf zweiter Position in der Staffel laufen, und vielleicht setzt Nummer 77 den Schwung fort bei der WM und danach - den Schwung, den sie im Sprint von Ruhpolding aufgenommen hat.

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