Süddeutsche Zeitung

Biathlon:Dem Körper vertrauen

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Nach dem verkorksten Winter 2018/19 hat sich Simon Schempp in den Weltcup-Kader zurückgekämpft - und blickt bereits motiviert auf die WM im kommenden Jahr in Antholz.

Von Joachim Mölter, Ruhpolding

Braungebrannt und völlig entspannt, eine Sonnenbrille auf der Nase und ein Lächeln im Gesicht - so sah man Simon Schempp in der vorigen Woche in Ruhpolding herumlaufen. Hätte er keine Skiroller unter den Füßen und keine Skistöcke in den Händen gehabt, hätte man ihn für einen der vielen Urlauber halten können, die ihre Sommerfrische gerade beim Wandern rund um den Zirmberg verbringen. Simon Schempp vermittelte jedenfalls den Eindruck eines sorgenlosen Mannes - ein Eindruck, den der Biathlon-Bundestrainer Mark Kirchner bestätigte: "Er ist aktuell mit Sicherheit kein Sorgenkind."

Weshalb Kirchner den Athleten nach dem zweiten Teil der deutschen Meisterschaften am vergangenen Wochenende auch wieder in das Weltcup-Team berief, das Ende November in Östersund/Schweden in die neue Saison startet. Die Nominierung war diesmal keine Selbstverständlichkeit gewesen für den viermaligen Weltmeister Schempp, eine Stammkraft der deutschen Biathlon-Mannschaft und für gewöhnlich "vorqualifiziert", wie es im Jargon der Skifunktionäre heißt. Aber der Schwabe von der SZ Uhingen hatte im vorigen Winter so arg geschwächelt, dass er sich erst wieder empfehlen musste. Das tat er eindrucksvoll mit dem Gewinn sämtlicher Meistertitel an den vergangenen beiden Wochenenden - Sprint, Verfolgung, Massenstart. "Das war wichtig", sagte Schempp, "das war eine Bestätigung, dass man wieder auf einem guten Weg ist."

Bis Mai habe er tatsächlich "nur aktive Erholung" betrieben, berichtet Simon Schempp

Im vergangenen Winter war Schempp auf eine schiefe Bahn geraten, auf der er immer weiter in ein Tief gerutscht war. Wegen anhaltender Formschwäche brach er die Saison im Februar ab, lange vor der WM in Östersund. In Schempps Lebenslauf wird 2019 deshalb eingehen als das erste Jahr in diesem Jahrzehnt, in dem er keine Staffel-Medaille bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen geholt hat. Ohne ihren verlässlichsten Läufer gewannen seine Kollegen Silber bei den Männern und im Mixed.

Es waren freilich nicht die entgangenen Plaketten, die Schempp am meisten ärgerten, erzählt er; es war etwas anderes: "Ich hatte so viel investiert wie nie, und es ist so wenig rausgekommen wie nie." Das Übertraining war nur ein Grund für das Formtief, hinzu kamen Rückenprobleme und Schulterschmerzen nach einem Sturz mit dem Mountainbike. "Ich bin froh, dass er die Reißleine gezogen hat", sagt Trainer Kirchner über die Entscheidung des Athleten, damals mitten in der Saison auszusteigen: "Das war dringend notwendig, damit Zeit zur Regeneration gegeben war." In den neuen Trainingszyklus sei Schempp jedenfalls "gut erholt und mit neuer Motivation eingestiegen".

Bis Mai habe er tatsächlich "nur aktive Erholung" betrieben, berichtete Schempp nun in seiner Wahlheimat Ruhpolding, drei Monate lang habe er "keinen aktiven Trainingsreiz gesetzt". Nachdem er wieder mit der speziellen Vorbereitung begonnen hatte, habe er Mitte Juli gespürt, dass es vorangeht. "Da hat sich ein Schalter umgelegt, das alte Gefühl war wieder da", sagt er: "Aber bis dahin war sehr viel Geduld gefragt." Inzwischen gewinnt Schempp dem verkorksten Winter sogar etwas Gutes ab: "Ich bin jetzt auch schon 30, vielleicht ist es da nicht schlecht, wenn man mal eine längere Pause hat als nur drei, vier Wochen. Vielleicht kann der Körper dann noch mal einen Reset machen."

Mit Anfang 30 stecken Biathleten für gewöhnlich noch ein paar gute Jahre in den Beinen. "Ich war immer sicher, dass ich wieder Weltklasse-Leistungen bringen kann", versichert Schempp nun: "Ich weiß ja, mein Körper gibt so was her. Und ich weiß, wo ich mal war, und da mag ich auch wieder hin."

Disziplin-Coach Kristian Mehringer findet: "Er kann wieder da angreifen, wo er hingehört."

Damit meint Simon Schempp nicht nur die Weltspitze ganz allgemein, sondern im Besonderen den Ort Antholz in Südtirol. Dort finden vom 12. bis 23. Februar im kommenden Jahr die nächsten Weltmeisterschaften statt. "Antholz ist ein riesiges Highlight für mich", sagt Schempp und gerät richtig ins Schwärmen, wenn er daran denkt: "Der Ort, die Strecke, die Höhe - das alles liegt mir sehr gut." In dem auf rund 1600 Metern höchstgelegenen Areal des Weltcup-Betriebs hat er im Januar 2014 den ersten seiner mittlerweile zwölf Weltcup-Siege geschafft; insgesamt fünfmal war er dort schon erfolgreich, häufiger als an jedem anderen Ort. "Ich denke, er hat eine Riesen-Motivation wegen Antholz", glaubt auch Bundestrainer Kirchner. Der Disziplin-Coach Kristian Mehringer sagt: "Es ist zwar erst September, aber ich denke, er kann wieder da angreifen, wo er hingehört. Er muss nur seinem Körper wieder vertrauen."

Simon Schempp selbst sagt, er hoffe, "dass es wieder eine konstante Saison wird - dann ist die Chance hoch, vorne mitzumischen". Das Vertrauen in seinen Körper hat er allem Anschein nach zurückgewonnen. "Früher war ich sehr oft krank, zuletzt war ich sehr oft verletzt", erinnert er; aber derzeit fühle er sich gesundheitlich sehr stabil. "Ich hoffe, dass ich jetzt alles abgekriegt habe", sagt er und lächelt dabei. Ein Mann, der keine Sorgen hat und sich auch keine mehr machen mag.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2019
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