Arnd Peiffer:Was ist die Band ohne ihren Leadsänger?

PEIFFER Arnd Team GER Olympiasieger 10km Sprint Männer Olympic Wintergames 2018 Pyeongchang South Ko

Frontmann: Die deutsche Biathlon-Mannschaft bejubelt den Sprint-Sieg von Arnd Peiffer bei den Olympischen Winterspielen 2018.

(Foto: Laci Perenyi/Imago)

In Arnd Peiffer verlieren die Biathleten ein Jahr vor Olympia ihren verlässlichsten Medaillensammler. Sein Rücktritt verdeutlicht auch, dass der Verband ein Nachwuchsproblem hat.

Von Saskia Aleythe

Ganz verstecken konnte Arnd Peiffer seinen Entschluss schon in den vergangenen Monaten nicht mehr. Es sind ja manchmal nur die Zwischentöne, die einen Abschied ankündigen, und wer wollte, der konnte stutzig werden, als Peiffer über die WM in Slowenien sprach, auf der Hochebene Pokljuka. Normalerweise ist dieser Standort im Weltcup immer früh im Saisonkalender verankert, und da Peiffer sich Jahr für Jahr in die Winter meist hereintastete, schaffte er in den Julischen Alpen nie die großen Erfolge. Nun war er voller Erwartung, diese Strecke auch mal "in guter Verfassung" in Angriff zu nehmen, sagte Peiffer vor den Wettkämpfen im Februar: "Da freue ich mich drauf, dass ich dazu noch die Gelegenheit habe." Das klang ein bisschen nach: "Dass ich das noch erleben darf."

Und nun ist tatsächlich Schluss.

Am Donnerstag wird Peiffer, bis zuletzt der Älteste im deutschen Team, 34 Jahre alt; er hat 20 internationale Medaillen gewonnen und auch jüngst noch am verlässlichsten für Erfolge gesorgt: 2018 Sprint-Olympiasieger in Pyeongchang, 2019 Einzel-Weltmeister in Östersund, in Slowenien vor wenigen Wochen noch mal Silber im Einzel - kein anderer aktiver Deutscher schaffte es seit 2017 abseits der Staffeln bei Großereignissen aufs Treppchen. Nun steht die Band ohne ihren Leadsänger da, der sich zwar nie nach vorne drängte, aber die Töne stets am besten traf. Wie sie ohne ihn klingen? Das ist die große Sorge, die den Deutschen Skiverband (DSV) umtreibt, ein Jahr vor Olympia - die Spiele in Peking hatten Peiffer nicht mehr gereizt.

Der Tüftler Peiffer hat nach 13 Jahren im Weltcup das abrupte Ende gewählt, schon beim Saisonfinale am Wochenende in Östersund wird er nicht mehr dabei sein. Dass er jetzt geht, passt zu seinem Hang zur Perfektion. Wenn er nicht mindestens 90 Prozent der Scheiben am Schießstand versenkte, ging er fast lieber ohne Medaille heim. "In diesem Winter konnte ich mich noch über einige gute Rennen und Erfolge freuen, und es ist wunderbar, mit dem Gefühl aufzuhören, noch konkurrenzfähig zu sein", ließ er sich in der Verbandsmitteilung zitieren - nun sei "der ideale Zeitpunkt zum Aufhören gekommen". Nur wegen Olympia weiterzumachen, käme für ihn nicht in Frage, das hatte er vor Kurzem dem NDR erläutert: "Dass es immer größer werden muss, dass viel Natur zerstört wurde für Sportstätten, die dann später gar nicht mehr genutzt werden - das sind für mich schon Themen, die den Mythos Olympia beschädigt haben." Beim Biathlon war er immer mit ganzem Eifer bei der Sache, aber der Blick reichte auch darüber hinaus.

Eine kleine Abschiedsfeier mit den Kollegen gab es schon am vergangenen Wochenende in Nove Mesto, Erik Lesser wusste sogar schon länger von Peiffers Plänen. Die beiden teilten bei den Wettkämpfen oft ein Zimmer, sie pflegen zusammen einen Podcast - pragmatischer Titel: "Das Biathlon Doppelzimmer" - und dann wurden zu Peiffers letzten Stunden als Sportler auch ein paar Tränen verdrückt, wie die beiden in der neuen Ausgabe verrieten. "Jemand, hinter dem man sich verstecken kann, wenn es mal nicht so läuft, der fehlt halt jetzt", sagt Lesser, "bei uns deutet sich schon an, dass wir ein Problem haben."

Einen Überflieger sehe er im Nachwuchsbereich derzeit nicht, gibt der Sportliche Leiter zu

Erst im Februar hatte sich Simon Schempp nach anhaltender Formschwäche in den Ruhestand verabschiedet, Peiffer ist nun der zweite Ruheständler aus einer goldenen Generation, wenn man so will: Schempp, Peiffer, Lesser und Benedikt Doll haben alle WM-Titel in Einzelrennen erobert, Peiffer als einziger auch den Olympiasieg. Von jeder seiner zehn Weltmeisterschaften kehrte er mit einer Medaille heim, er gewann mindestens einen Weltcupsieg in jedem Rennformat. Lesser, 32, kämpft seit fast zwei Jahren mit dem Rücken, Benedikt Doll kommt am Schießstand nicht zu konstanten Erfolgen und wird in einer Woche 31. Die Altersdebatten mögen sie im DSV nicht, aber sie können nun mal nicht wegargumentieren, dass die Gesangsübungen im Nachwuchs derzeit nicht nach Chartstürmern klingen. Oder wie es der Sportliche Leiter Bernd Eisenbichler ausdrückt: Einen "Überflieger" sehe er jetzt nicht.

Eisenbichler ist 2019 zum Team gestoßen, der 43-Jährige war vorher beim kleinen US-Team angestellt und sieht in der deutschen Biathlon-Ausbildung noch sehr viel Nachholbedarf. "Wir müssen allgemein noch mehr Systematik reinbringen, die Trainingsausrichtung noch besser anpassen und vernetzen", sagte er bei der WM in Pokljuka, wo die Deutschen zwei Medaillen gewannen - ganz vorne lagen Norwegen mit zwölf und Frankreich mit sieben. Die Skandinavier profitieren zwar von der Skibegeisterung im Land und der schneesicheren geografischen Lage, aber "man muss auch sagen, dass Frankreich zum Beispiel von den Rahmenbedingungen sicher nicht besser dran ist als wir. Sie machen das einfach sehr gut", fand Eisenbichler. So gut, dass bei der kürzlich beendeten Jugend- und Junioren-WM elf Medaillen zustande kamen, die Bilanz des DSV lautete: zwei. Und dass selbst im zweitklassigen IBU-Cup die Deutschen im vorangeschrittenen Alter unterwegs sind, merkt auch Eisenbichler. Da müsse man "den jungen Athleten früher die Chance geben, sich international zu messen".

Die Probleme liegen also tiefer, und mit Peiffers Abschied ist nun auch die Hoffnung gestorben, sich mit der arrivierten Truppe bis zur Heim-WM 2023 in Oberhof retten zu können. Mit Glück bekommen die Deutschen noch eine konkurrenzfähige Staffel bis Olympia zusammen - zuletzt war in Philipp Horn, 27, ein vielversprechender Kandidat mit einer Formkrise wieder aus dem Weltcup gerutscht. Und Johannes Kühn, 29, hatte nach fünf Fehlern im Stehendschießen jüngst ein Rennen vorzeitig beendet und damit Diskussionen provoziert. Peiffer nahm ihn in Schutz: "Er ist eines unserer besten Lauftalente in Deutschland. Es muss das Ziel sein, dass er das Schießen in den Griff bekommt, denn den Johannes brauchen wir - auch für das Team." Für den erhöhten Bedarf hat Peiffer jetzt selbst gesorgt.

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