Biathletin Andrea Henkel wird WM-Zweite:Mit 20 Befreiungsschüssen zu Silber

Bald endet ihre Karriere, doch diesmal gelingt ihr noch ein schöner Erfolg: Andrea Henkel glänzt einmal mehr bei einer WM und erkämpft sich im Einzelrennen den zweiten Platz. Nach Olympia in Sotschi will sie mit dem Sport aufhören. Weltmeisterin wird die Norwegerin Tora Berger - weniger gut läuft es für die anderen Deutschen.

Von Volker Kreisl, Nove Mesto

Kein Jubeln im Ziel, keine Umarmung. Andrea Henkel drehte ab, wartete, bis sich ihr Atem beruhigt hatte, und nahm ihre Ski in die Hand. Sie schielte hoch zur Anzeigetafel, stieg die fünf Stufen hinab zum Athletenkorridor, und erst da unten, wo ihr der der Teamarzt und der Pressesprecher begegneten, zeigte sie die erste Regung. Eine geballte Faust, sie hatte es begriffen.

Im Einzelrennen der Biathlon-Weltmeisterschaft von Nove Mesto hat Andrea Henkel Silber gewonnen, und es kann davon ausgegangen werden, dass ihre Faust nicht die einzige war, die in diesem Moment beim Deutschen Skiverband (DSV) geballt worden war. Man war erleichtert über die erste Medaille bei einer bislang trostlosen WM. "Es gab viel Kritik an unserer Mannschaft, wir wollten diesen Erfolg unbedingt und gut in die zweite Woche starten. Ich habe jetzt den Anfang gemacht - so kann es weitergehen", sagte sie.

Das Einzelrennen gewinnt man wegen der Fehlerstrafe von einer Minute über sauberes Schießen, und Henkels Serie blieb bis zum Schluss makellos. Tora Berger, die Siegerin, traf ebenfalls alles und war wie abzusehen im Laufen unerreichbar. Berger unterstrich mit ihrem dritten Titel in Nove Mesto die Dominanz der Norweger. Dritte wurde die Ukrainerin Walj Semerenko. Die übrigen Deutschen landeten abgeschlagen: Nadine Horchler mit einem Schießfehler auf Platz 28, Miriam Gössner (6) auf Rang 35. Franziska Hildebrand (5) auf Platz 51.

Dass Henkel auf der Ziellinie nicht in überschwänglichen Jubel ausbrach, hatte mehrere Gründe. Ununterbrochen hatte es geschneit, die Strecke war stumpf und hatte den Läuferinnen alles abverlangt. Außerdem ist die Biathletin aus Großbreitenbach bei Oberhof bereits 35 Jahre alt, sie hat schon viel erlebt und war schon immer in Freude und Trauer eher eine stille Sportlerin.

Und sie hat genügend Erfahrung, um sich in einem Einzelrennen nicht mehr umsonst zu freuen. Unbekanntere Konkurrentinnen können da mit hoher Startnummer auch bei durchschnittlicher Laufzeit noch weit vorne landen, wenn sie am Schießstand eine Flaute erwischen und überhaupt einen perfekten Abend.

Ordentlich gelaufen, stark geschossen

Henkel hatte einen mittleren Startplatz, aber an diesem Abend blieben die Bedingungen für alle gleich. Knapp zwei Stunden dauerte es, bis die letzte Läuferin ins Ziel glitt. In dieser Zeit waren die Windfahnen beständig in Bewegung und der Himmel hatte seine Schneeflocken gleichmäßig und gleich stark in die Spur und auf die Skibrillen der Läuferinnen gestreut.

Biathlon-WM 2013

Grinsen für Silber: Andrea Henkel war glücklich nach dem Einzelrennen. 

(Foto: dpa)

Ordentlich war zwar auch Henkels Laufleistung, die achtbeste wurde gemessen. Gewonnen hatte sie ihre zweite WM-Medaille in diesem Langstreckenformat - ihre 16.WM-Medaille insgesamt - aber am Schießstand. Und anders als ihre drei deutsche Kolleginnen, die sich dasselbe erhofft hatten am Mittwochabend, gelang ihr tatsächlich ein Befreiungsschlag. Jede der Biathletinnen im deutschen Team hatte ja bislang eines dieser WM-Erlebnisse, die noch länger den Schlaf stören können.

Gössner ihre Strafrunde in der Mixed-Staffel, Horchler ihren 84. Platz im Sprint und Hildebrand, die sich wegen zu langsamen Tempos kaum Schießfehler erlauben darf: zwei Schießfehler im Sprint. Da hatte Henkel sogar drei verbucht, und weil zwei davon, die letzten im Stehendschießen, wohl auf Schlamperei fußten, war sie zunächst untröstlich.

Schneller als gedacht fand sie dann aus ihrem Tief heraus, und eigentlich war es kein Befreiungsschlag sondern kontinuierliche, viertägige Befreiungsarbeit. Am Sonntagnachmittag hatte Henkel ihre Konzentration wiedergefunden, und seitdem unterlief ihr bei diesen Wettkämpfen kein Fehler mehr. 20 Treffer im Verfolgungsrennen brachten sie von Startplatz 33 auf Platz sechs. Die nötige Spannung hielt sie an den beiden Ruhetagen aufrecht, auch am Mittwoch schoss sie rhythmisch und ruhig - nochmals 20 Treffer.

Ihre letzte Schleife bei einem WM-Langstreckenrennen absolvierte sie dann mit Zeitverlust, aber die 20 Sekunden konnte sie sich leisten. Danach sagte sie: "Ich habe gewusst, in diesem Rennen habe ich die größte Medaillenchance, und ich habe sie genutzt." Bis zu den Olympischen Spielen in Sotschi will sie noch weitermachen, danach soll Schluss sein. Bleiben die WM-Staffel und der WM-Massenstart von Nove Mesto - noch 30 Schuss.

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