Biathletin Andrea Henkel:Botschafterin der Bescheidenheit

Previews - Winter Olympics Day -1

Botschafterin der Bescheidenheit: Andrea Henkel

(Foto: Getty Images)

Sie hatte ähnliche Erfolge, doch das Rampenlicht überließ sie immer Kati Wilhelm oder Magdalena Neuner: Am Sonntag geht Biathletin Andrea Henkel im Sprint in ihr 13. Olympia-Rennen - und dann ist bald Schluss.

Von Volker Kreisl, Krasnaja Poljana

Fünf Wochen ist er jetzt her, ihr letzter Weltcup-Auftritt in der Heimat. Andrea Henkel aus Großbreitenbach hört am Ende dieser Saison auf, im Januar war sie das letzte Mal als Biathletin in Oberhof im Einsatz, und danach waren die Fans gerührt.

Zum Abschied rief der Oberhofer Organisationschef Christopher Gellert ins Mikrofon: "Andrea, du hast den Namen Oberhof in die Welt getragen! Deine Erfolge sind grandios!" Tränen flossen. Aber Andrea Henkel wollte sich auf Wehmut nicht einlassen, sie sagte dem Publikum: "Es ist nur mein letztes Jahr." Und außerdem: "Ich bin nicht die Einzige, die am Ende der Saison aufhört."

Damit hat sie mal wieder das getan, was sie seit 18 Jahren tut: Andrea Henkel dämpft die Aufregung. Immer wenn die Fans, die Reporter, die Ski-Funktionäre oder die Vereinsleute aus Großbreitenbach ihre Erfolge grandios finden, dann sagt Henkel drei knappe Sätze, und das Grandiose schrumpft wieder.

Dabei hat sie bestimmt nichts dagegen, bewundert zu werden, aber sie sieht die Dinge eben nüchtern. Kati Wilhelm, ihre langjährige Begleiterin im Biathlon, sagt: "Wenn andere eine halbe Stunde schwafeln, dann sagt Andrea es kurz." Dann ist es, als würde Henkel Wasser ins Feuer gießen. Sie mag kein großes Aufsehen um sich, und deshalb wäre die 35-Jährige wohl auch eine gute Fahnenträgerin gewesen.

Seit Januar war sie im Kreis der Kandidaten und hatte dann, nach langem Grübeln, doch abgesagt. Wegen der langen Anreise aus den Bergen und wegen der Belastung vor ihrem ersten Wettkampf. Fahnenträger sind meistens Botschafter für irgendetwas. Für den Erfolg, für den Teamgeist oder für eine lange Karriere, die bald zu Ende geht. Henkel, die schon bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City zweimal Gold holte, hätte all dies mitgebracht. Dazu wäre sie in ihrem immer schrilleren Milieu auch noch eine Botschafterin für die Bescheidenheit gewesen.

Am Sonntag geht sie im Sprint von Sotschi in ihr 13. olympisches Rennen. Sie hat zuletzt alles versucht, um ihre Form zu optimieren. Henkel hatte zu Saisonbeginn in ihrer Spezialdisziplin Stehendschießen nachgelassen, so sehr, dass sie zwischendurch sagte: "Hoffentlich ist es mir nicht abhanden gekommen." In der Skihalle in Oberhof hat sie dann extra viel Schießen geübt, was sich erst in Antholz im letzten Weltcup vor Olympia auszahlte. Henkel gewann das Verfolgungsrennen, und nun warten alle darauf, dass sich der Kreis schließt, dass sie bei ihren letzten Olympischen Spielen noch einmal eine Medaille holt.

Dabei ist diese Karriere kein Kreis, sondern eine Gerade, eine Entwicklung. Nach ihren beiden Goldmedaillen vor zwölf Jahren war sie vom Erfolg überwältigt. Kati Wilhelm, die zweite Doppel-Olympiasiegerin von Salt Lake City, startete eine prächtig vermarktete Laufbahn, sie wurde von den Reportern am häufigsten befragt. Andrea Henkel, so schien es, verstummte. "Die Jahre nach Olympia waren die schlimmsten", sagt sie heute. Sie wurde häufig krank, tauchte auch nicht mehr auf dem Siegerpodest auf und antwortete in den wenigen Interviews mit wenigen schüchternen Worten.

Um aus so einer Lage herauszukommen, brauchen junge Sportler oftmals einen Tritt, Henkels Anstoß kam 2005, als sie in Hochfilzen völlig überraschend Weltmeisterin wurde. Es war ein Wettkampf in dichtem Schneetreiben, und als der Schneefall vorüber war, stand plötzlich Henkel oben auf dem Podest. Sie hatte perfekt geschossen, hatte endlich einen Beweis erbracht, und zuletzt wurde auch dieser Moment in ihrer Karriere viel interpretiert. War das nicht grandios, ein Neustart der Laufbahn? Henkel antwortete wie immer. "2005 war schon wichtig", sagte sie, "andererseits hatte ich bei der WM 2005 auch mal ein Magazin dabei, das ich versehentlich nicht geladen hatte."

Immer selbstbewusster und lässiger

Die leicht selbstironische Art entstand in dieser Zeit. Henkel wurde immer selbstbewusster und lässiger, vielleicht auch deshalb, weil sie sich die Mechanismen des Sports nicht mehr so zu Herzen nahm. Sonst wäre sie wohl frustriert gewesen. Denn als sie von 2005 an wieder gewann und auch den Weltcup-Gesamtsieg holte, da wurden ihre Siege zu wenig gewürdigt.

Henkel leistete Beachtliches, aber stets war eine andere Deutsche vor ihrer Nase, erst Kati Wilhelm, dann Magdalena Neuner. Bei der WM 2008 in Östersund kam der Tiefpunkt im Höhepunkt. Drei Titel holte Henkel, aber die große Presse- und Fernsehnummer war seinerzeit Magdalena Neuner. Denn die gewann 2008 ebenfalls drei WM-Titel, und hatte dazu schon 2007 drei gewonnen. Drei plus drei, sie hatte quasi sechs am Stück. Außerdem enthüllte Bild, dass Neuner verliebt war.

Wenn Henkel mal verliebt war, wurde das nie zum nationalen Thema. Sie ist 1,58 Meter groß und hat wohl auch weniger Ausstrahlung für Kameras. Dafür hat sie nun eine der längsten Karrieren hinter sich und jede Menge Erlebnisse. Henkel schildert diese schon länger auf Blogs im Netz. Sie erzählt von vielem, zum Beispiel von ihren Schwierigkeiten, als sie einmal einem US-Zöllner erklären musste, dass sie Biathletin sei, also eine Sportlerin - daher die Waffe.

Vor dem Zöllner wiederum stand sie, weil sie in den USA trainieren wollte, bei ihrem Freund, dem US-Biathleten Tim Burke. Die beiden sind schon lange ein Paar, ein ziemlich festes offenbar. Henkel will nach dem Sport heiraten und nach Amerika ziehen, die Grenzen von Großbreitenbach hat sie längst verlassen.

Ihre Weggefährtin aus den Anfängen findet, insgesamt sei Andrea Henkel lange zu schlecht weggekommen: "Sie hatte nicht das Rampenlicht, das sie sich verdient hatte", sagt Kati Wilhelm. Nun, da Henkels Karriere zu Ende geht, könnte sich das mit dem Rampenlicht doch noch ändern.

Sie braucht nur noch einmal zwei perfekte Wochen.

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