Süddeutsche Zeitung

Biathlet Fourcade:Endlich einer, der sich traut

Martin Fourcade protestiert bei der Biathlon-WM gegen russische Dopingsünder und den zahnlosen Umgang mit ihnen. Dass der Franzose damit aus der Reihe fällt, sagt einiges über die Sportwelt aus.

Kommentar von Saskia Aleythe, Hochfilzen

Martin Fourcade ist nicht Usain Bolt. Der eine saust durch eisige Skiarenen und übt sich im Zielschießen, der andere sprintet an lauen Sommertagen über Tartanbanen und übt sich in Jubelposen. Die Unterschiede gehen aber deutlich weiter: Ein paar Monate ist es erst her, da antwortete Bolt auf die Frage zu seiner Haltung zu Dopingenthüllungen in der Leichtathletik: "Ich mache mir keine Gedanken um Doping. Ich bin da, um schnell zu rennen und zu unterhalten. In ein paar Jahren wird der Sport sauber sein."

Der Franzose Martin Fourcade ist wie Usain Bolt der Größte in seinem Sport, der Immer-Gewinner und das Werbegesicht, das die Fans in Scharen auf die Tribünen lockt. Er könnte einfach Biathlet sein, Siegprämien einsammeln und in Kameras lächeln. Er hat es nicht nötig, sich durch Worte oder Gesten zu profilieren. Doch Fourcade führt in der Szene einen Aufstand an: Seit Monaten kämpft er öffentlich für härtere Dopingstrafen. Was beim Auftakt der Biathlon-WM dazu führte, dass nach der Vergabe der ersten Gold-Medaille keiner mehr über die Sieger der Mixed-Staffel sprach, sondern alle über Doping. Was für ein Glück!

Doping klebt an dieser WM. Bereits einen Tag vor der Eröffnung wurde eine Razzia im Teamhotel der Kasachen durchgeführt, dabei wurden kistenweise Medikamente sichergestellt. Es ist zynisch, das Thema mit Freudentränen und Fahnenschwenken überdecken zu wollen. Doch genau das sind die Mechanismen im Sport, man kann sich stundenlang ausschließlich mit schönen Bildern berieseln lassen. Im Vorfeld hatte Fourcade Unmut darüber geäußert, dass der bis Ende November 2016 wegen Epo-Dopings gesperrte Alexander Loginow vom Russischen Verband für die WM nominiert wurde. Jenen Loginow musste der Franzose nun im Kampf um Silber bezwingen.

Fourcade erobert die Glaubwürdigkeit zurück

Bei der Siegerehrung verweigerten die Russen Fourcade, der mit seinem Team Silber gewonnen hat, die Gratulation. Der Franzose klatschte daraufhin ironisch und sprang vom Podest, als die drittplatzierten Russen es betraten. Im Video des Weltverbandes ist der verweigerte Handschlag durch einen Schwenk ins Publikum verdeckt.

Sportveranstaltungen zu konsumieren, ist schon längst zu einer Charakterfrage geworden: Wer sich nicht nur für die Medaillenränge interessiert, kann sie nicht mehr genießen. Staatlich gestützte Dopingsysteme, verfolgte Whistleblower, scheinheilige Verbandspräsidenten. Und mittendrin Sportler, die sich laut Interview-Floskeln "nur auf sich selbst konzentrieren". Das tut jedem weh, der den Sport liebt und sich daran begeistern will, aber nicht verstehen kann, warum die Athleten angesichts der vielen Missstände so stumm bleiben. Und es nährt den Generalverdacht, der alle Beteiligten trifft.

Nun also endlich einer, der sich traut. Es ist der Eindruck, der hängen bleibt von Fourcade. Er erobert sich Glaubwürdigkeit zurück in einer Szene, die diese längst verloren hat. Viele andere Biathleten haben sich ihm schon vor Wochen angeschlossen in einer eigenen Kommission und Forderungen an den Weltverband gestellt. Fourcade hat seine Stellung als Weltbester genutzt. Ein Läufer, der bei einer Siegerehrung das Podium verlässt, aus Protest gegen die Dopingvergehen in seinem Sport? Ein bekannter Schwimmer, der einen Boykott bei der nächsten WM androht, sollte sich nicht endlich etwas tun im Anti-Doping-Kampf? Unvorstellbar.

Affront gegen die deutschen Sieger?

Laura Dahlmeier, Vanessa Hinz, Simon Schempp und Arnd Peiffer sind am Donnerstag Weltmeister in der Mixed Staffel geworden. Und es gibt so manchen, der findet, Fourcade hätte ihnen die Siegerehrung nicht verderben dürfen. Er selbst hat sich bei den Deutschen entschuldigt, auf Facebook wird er für sein Auftreten beschimpft. Darf der das, rebellieren bei einer WM? Fourcade ist zwar der beste Athlet in einer Sportart mit nachgewiesenem Dopingproblem, allerdings gab es noch nicht einen Verdacht gegen ihn. Der Vorfall bei der Siegerehrung war wohl kein gezielter Protest des Franzosen, eher ein spontaner Ausdruck seiner Wut. So etwas von einem Sportler im betrugsbegleiteten Metier zu sehen, ist für die geplagte Zuschauerzielgruppe ein versöhnlicher Moment.

Wer jetzt nur fragt, ob das Auflehnen denn überhaupt etwas bewirkt im Anti-Doping-Kampf, macht es sich zu einfach. Dass der Weltverband dem russischen Tjumen die WM 2021 entziehen will, ist schon mal ein Verdienst der Athleten-Bewegung um Fourcade. Der Franzose hat zweifellos Charakter bewiesen. Dass er damit so aus der Reihe fällt, sagt einiges über die Sportwelt aus.

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