Am Sonntagabend reiste die Delegation von Besiktas Istanbul enttäuscht aus Kayseri zurück an den Bosporus. Nur ein 1:1 hatte der türkische Meister in Kappadokien erreicht, obwohl die Elf von Trainer Senol Günes nach einem Platzverweis fast die gesamte zweite Hälfte in Überzahl gespielt hatte. Besiktas kann die ungeliebte Rolle des Verfolgers in dieser Süperlig-Saison einfach nicht abstreifen. Immer wieder verliert die Mannschaft nach großen Siegen - wie zuletzt im Derby gegen Galatasaray (3:0) - Punkte gegen kleinere Teams. Mit fünf Zählern Rückstand auf Tabellenführer Galatasaray liegen die "Schwarzen Adler" nur auf Rang vier im nationalen Rennen um Ruhm und Ehre.
International hingegen stellte Besiktas nach dem 2:1-Sieg am vergangenen Mittwoch bei RB Leipzig einen neuen Rekord auf: Noch nie zuvor war eine türkische Mannschaft ohne Niederlage als Gruppensieger mit so vielen Punkten (14) ins Champions-League-Achtelfinale eingezogen. Eine besondere Genugtuung für den Klub aus dem Arbeiterviertel auf der europäischen Seite der Millionenmetropole Istanbul - die verhassten Stadtrivalen von Fenerbahce und Galatasaray waren in diesem Sommer ja schon in der Qualifikation für die Europa-League gescheitert. Nun steht Besiktas in der K.o.-Phase der europäischen Königsklasse und muss am 20. Februar zum Hinspiel des Achtelfinales beim FC Bayern München antreten.
"Wir wissen, wie stark die sind. Wir haben das in den Spielen gegen Leipzig verfolgt. Es ist eine schwere Aufgabe, aber es ist okay", sagte Bayern-Sportchef Hasan Salihamidzic. Die Münchner, im Topf der Gruppenzweiten, konnten sie nicht beklagen über das Los - ihr Gruppensieger Paris trifft zur "Belohnung" auf Real Madrid.
Die Flugpreise schießen in die Höhe
Kurz nach Bekanntgabe der Paarung schossen die Preise für Flüge von Istanbul nach München in die Höhe. Statt 600 Lira kostet diese Reise bei Turkish Airlines nun 2300 Lira, rund 510 Euro. Zwar kündigte Besiktas-Präsident Fikret Orman an, keine Fans nach Deutschland mitnehmen zu wollen. Aber schon in Leipzig waren viele Besiktas-Fans aus der Türkei und Deutschland in die Stadt gekommen, obwohl sie keine Chance hatten, ins Stadion zu gelangen. Der Verzicht auf Fans bei Auswärtsspielen hat einen guten Grund: Nach schweren Krawallen beim Europa-League-Spiel vergangene Saison in Lyon spielt Besiktas zwei Jahre auf Bewährung in Uefa-Wettbewerben, ein weiteres Vergehen hätte den Ausschluss zufolge. Den will Orman unbedingt vermeiden, der Bau-Unternehmer will Besiktas zur globalen Marke aufbauen.
Orman, 50, amtiert seit 2012 und übernahm den Klub in einer tiefen Krise, nachdem Besiktas wegen der Manipulation des Pokalfinales 2012 für europäische Wettbewerbe gesperrt worden war. Zwar beträgt der Schuldenstand noch immer 330 Millionen Euro, aber seit 2012 wurden nicht nur ein großartiges Stadion am Ufer des Bosporus gebaut, Trainingszentrum und Geschäftsstelle erneuert. Mit Trainer Senol Günes gelangen auch zwei Meisterschaften nacheinander, finanziell enteilt Besiktas durch regelmäßige Champions-League-Starts der nationalen Konkurrenz.
Günes, 65, führte die türkische Nationalmannschaft bei der WM 2002 auf den dritten Platz. Als Vereinscoach gewann er erst spät mit Besiktas Titel. Günes liebt offensiven Fußball, er vertraut taktisch immer auf eine 4-2-3-1-Ordnung. Gegen mauernde Gegner tut sich Besiktas aber in dieser Saison schwer. Zudem ist die Stammelf mit 31 Jahren im Schnitt die älteste in der Champions-League.
Prominenteste Spieler sind der raue Innenverteidiger Pepe, 34, und der unberechenbare Flügelflitzer Ricardo Quaresma, 34, beide 2016 Europameister mit Portugal. Erster Stürmer noch vor dem Spanier Alvaro Negredo, 32, ist der in Wetzlar geborene Türke Cenk Tosun, 26, dem einst bei Eintracht Frankfurt keine Profikarriere zugetraut wurde. Der in Hoffenheim einst enttäuschende Techniker Ryan Babel, 30, trumpft bei Besiktas wieder auf. Auch Mittelfeldspieler Oguzhan Özyakup, 25, hat an guten Tagen internationale Klasse.