Fußball:In der Bundesliga geht es wieder ruppig zu

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Einsatz an der Schmerzgrenze: Leverkusens Ömer Toprak im Zweikampf mit dem Dortmunder Pierre-Emerick Aubameyang. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Vor dem Bundesligaspiel zwischen Borussia Dortmund und Hertha BSC häufen sich die Klagen der Spitzenklubs.
  • Ihnen missfällt der Trend, dass ihr dominantes Spiel bewusst mit Fouls unterbunden wird.
  • Hier geht es zur Tabelle der Fußball-Bundesliga.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Zum Mythos des Männersports gehört es seit jeher, sich bloß nicht über ein noch so rüdes Foulspiel des Gegners zu beschweren. Thomas Tuchel weiß das, aber vor zwei Wochen bekam der Akademiker in ihm kurz die Oberhand. Seit dem vorvergangenen Wochenende, als Tuchel sich über die Häufung der Fouls von Bayer Leverkusen und den vorherigen Gegnern Mainz und Freiburg gegen seine Spieler beklagte, ist die Debatte nicht mehr abgeklungen.

Vor Dortmunds Spiel am Freitagabend gegen Hertha BSC hat nicht nur Tuchels Berliner Pendant Pal Dardai das Fass vorsorglich wieder aufgemacht: "Wenn jetzt beim ersten Foul Gelb gezückt wird", meinte Dardai, "dann ist es wegen der Aussagen von Herrn Tuchel." Und Hertha-Manager Michael Preetz sekundierte seinem Coach prophylaktisch: "Wir haben eine gesunde, faire Aggressivität."

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Ob Aggressivität gesund sein kann, ist wohl eine Sache der Perspektive, aber fest steht, dass Thomas Tuchel mit seiner Klage nach dem Leverkusen-Spiel die Fußballwelt spaltet. Die unterschwellige These von Dortmunds Trainer war schließlich eher diese: Unsere technisch starken Dribbelkünstler werden von mittelmäßigen Gegenspielern zu oft gefoult. Und diese taktischen Fouls, so muss man Tuchel wohl weiter verstehen, sind dazu gedacht, fußballerisch überlegene Mannschaften wie den BVB oder auch den FC Bayern regelwidrig zu bearbeiten und aus dem Rhythmus zu bringen. Und was der Trainer sicher auch meinte: Die Schiedsrichter tun zu wenig, um all das zu unterbinden.

Alleine steht Tuchel mit seiner Klage nicht. Franck Ribéry, selbst in letzter Zeit wegen einiger Unbeherrschtheiten oft am Rande einer roten Karte, klagte unter der Woche, er werde derzeit "mehr gefoult als je zuvor". Die Diskussion habe sich "ein Stück weit verselbstständigt", sagte Tuchel am Donnerstag "Ich gehe sehr gelassen damit um. Mir ist auch nicht ganz klar, wie das Thema Hertha tangiert. Das ist nicht das Thema von Pal Dardai."

Alte Fußball-Parolen scheinen wieder ausgegraben zu werden im Kampf gegen überdominante, spielerisch entrückte, mit Dribbel-Talenten aufgepumpte Teams wie Bayern München und Borussia Dortmund: Schneid abkaufen, aggressiv in die Zweikämpfe gehen, den Gegner nicht spielen lassen - weil der das ohnehin besser kann. Bei Borussia Dortmund haben sie vor dem Spiel gegen den aktuellen Tabellenzweiten aus Berlin allerdings große Verletzungssorgen. Stammspieler wie Sokratis, Raphael Guerreiro, Gonzalo Castro und André Schürrle fallen verletzt aus, andere - wie Marco Reus oder Sven Bender - sind schon länger nicht dabei.

"Keiner unserer Verletzten ist durch Fouls außer Gefecht", sagt aber BVB-Manager Michael Zorc. In Dortmund, so die offizielle Sprachregelung, sind sie es leid, weiter über die Foul-Thematik zu sprechen. Vermutlich, weil jeder Fußballer, der sich beklagt, automatisch als schlechter Verlierer oder Weichei abgestempelt wird. So geht die Logik in diesem Milieu. Selbst nach der legendären Horror-Szene, in der einst der Bremer Norbert Siegmann dem Gladbacher Ewald Lienen mit spitzen Stollen den Oberschenkel aufschlitzte, musste sich Lienen von manchen anhören, er solle sich nicht so anstellen.

Fußball sei kein Mädchensport. Statistisch betrachtet lässt sich belegen, dass Tuchels Klage richtig ist: Die Dortmunder Spieler wurden in bisher sechs Liga-Spielen 114 Mal gefoult, weit mehr als irgendeine andere Mannschaft. Dardais Berliner gehören selbst zu den meist gefoulten Teams (82 Fouls). Von den Spitzenmannschaften gibt es nur eine, die selbst mehr Fouls begangen als erlitten hat: Bayer Leverkusen. Das überrascht auf den ersten Blick, weil Roger Schmidts Kader selbst viele herausragend begabte Spieler aufweist.

Typischerweise werden Teams, die gerne den eigenen Ballbesitz pflegen, deutlich häufiger gefoult. Das liegt in der Natur der Sache. Was Tuchel aber tatsächlich anprangern wollte: Seine Spieler werden fast immer taktisch gefoult. Seit Jahren haben Schiedsrichter die klare Anweisung, dass jedes taktische Foul, also das typische Festhalten oder das klassische Auflaufen-Lassen, sofort eine Verwarnung nach sich ziehen muss - zum Schutz des Spiels.

Manuel Gräfe, Leiter der besagten Partie Leverkusen gegen Dortmund, verteilte zwar recht früh zwei gelbe Karten, ließ es aber, womöglich aus Angst vor der eigenen Courage, bei zahlreichen anderen taktischen Fouls mit Freistößen bewenden. Das war es, wogegen sich Tuchels Kritik wendete - dass dieser Ansatz im anschließenden medialen Hype etwas unterging, lag womöglich auch daran, dass der Coach seine Kritik wenig diplomatisch äußerte, unmittelbar im Anschluss an eine Niederlage gegen einen starken Konkurrenten.

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Dennoch scheint der Trend auffällig, dass das breite Mittelmaß der Liga die hohe spielerische Qualität von teuren Mannschaften wie München und Dortmund zunehmend mit taktischen Fouls aushebeln will. Das mag legitim sein und den Anhängern der guten, alten Zeiten des Männersports sogar gefallen - Spitzen-Schiedsrichter wie Gräfe allerdings hätten eigentlich den Auftrag, solche taktisch motivierten Rangeleien deutlicher zu unterbinden.

Aus Dortmund und München hört man hinter vorgehaltener Hand zurzeit oft diese Einschätzung: Ja, Schiedsrichter geben schon gelbe Karten für taktische Fouls - aber gerade in umkämpften Anfangsphasen achten sie nicht genug darauf, dass nicht nur die Gesundheit der Dribbler, sondern auch der Spielfluss geschützt gehört. Mitunter, so der Vorwurf der Top-Klubs, würden Schiedsrichter eine Karte auch mal bewusst stecken lassen, weil man ihnen zu viele Karten als Schwäche auslegen könnte. "In Freundschaftsspielen kann man es vielleicht darauf anlegen, dass man als Schiedsrichter mit möglichst wenig Karten auskommen will - aber in der Bundesliga nicht", sagt einer aus den großen Klubs, der ohne Namen zitiert werden will.

Der BVB führt in der Fairnesstabelle, Hertha BSC folgt auf Platz zwei. Was das für das Spiel am Freitagabend bedeutet, weiß noch niemand; allerdings darf man davon ausgehen, dass Thomas Tuchel hinterher nichts zum Schiedsrichter sagen wird. Man ahnt ja auch so schon, was mancher auf der Tribüne im Falle eines Falles raunen wird: Soll er den Ball halt früher abspielen, dann wird er auch nicht gefoult.

© SZ vom 14.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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