Berti Vogts zum 70.:Die Würde des kleinen Mannes

Bundestrainer Berti Vogts Jubel Europameister Deutschland Fußball Europameisterschaft 1996 E

Sein größter Trainer-Triumph: La Ola mit den deutschen Fans nach dem EM-Sieg 1996 in London.

(Foto: Camera 4/imago)

Berti Vogts stieg aus armen Verhältnissen zum Welt- und Europameister auf. Nur der öffentliche Auftritt lag ihm nie. Jetzt wird er 70 Jahre alt.

Von Dominik Fürst

Als auch das peinliche Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft in Malta überstanden war und Berti Vogts im September 1998 als Bundestrainer zurücktrat, sagte er noch einen Satz, der in seinem rührend übertriebenen Pathos einiges erzählte über den Fußballlehrer und sein Verhältnis zur deutschen Öffentlichkeit: "Ich bin es mir selbst schuldig, den letzten Rest Menschenwürde zu verteidigen, welcher mir noch gelassen worden ist."

Seitdem sind 18 Jahre vergangen und wenn Hans-Hubert Vogts, geboren am 30. Dezember 1946 im Dörfchen Kleinenbroich am Niederrhein, an diesem Freitag seinen 70. Geburtstag feiert, darf man beruhigt feststellen: Die Würde hat er sich bewahrt. Auch wenn es ihm damals anders vorgekommen sein mag.

Zwei Jahre war Vogts, der Europameistertrainer von 1996, ein Held gewesen im Fußballland, zwei Jahre durfte er sich sogar vor Attacken der Bild-Zeitung einigermaßen sicher fühlen, obwohl sich das Boulevardblatt zuvor selbst für fiktive Rücktrittsschreiben ("Berti, hier unterschreiben!") nicht zu schade war. Dann schieden die deutschen Fußballer bei der WM 1998 in Frankreich im Viertelfinale aus, es rumpelte wieder - und aus dem Helden Vogts war die Witzfigur geworden.

Der öffentliche Auftritt gehörte nicht zu Vogts' Spezialgebieten, und dass er, der gelernte Werkzeugmacher, den Job des Bundestrainers ausgerechnet als Nachfolger des charismatischen Franz Beckenbauer antreten musste, war in der Hinsicht nicht hilfreich. Vielleicht war Vogts deshalb immer so wichtig, wie er ankam und wie über ihn geredet und geschrieben wurde. Noch ein Satz von ihm: "Wenn ich übers Wasser laufe, dann sagen meine Kritiker: Nicht mal schwimmen kann er."

Dabei hätte er auch einfach mal zufrieden auf sein beeindruckendes Lebenswerk als Fußballer zurückschauen können. Denn da erreichte Vogts so gut wie alles, obwohl die Voraussetzungen kaum schlechter hätten sein können: Mit 13 Jahren wurde er zum Vollwaisen, als ein Jahr nach seiner Mutter auch sein Vater starb. Am Grab sagte der Pfarrer, dass die Eltern noch leben könnten, wenn Berti ein besserer Junge gewesen wäre.

Als "Terrier" blühte er auf, in Argentinien versagte er

Der Mönchengladbacher Trainer Hennes Weisweiler wurde dann zum Vorbild für Vogts, und im Gegenzug trainierte, ackerte und spielte dieser 14 Jahre lang so hart und fleißig für die Borussia, wie er konnte. Vogts gewann mit Mönchengladbach, dem einzigen Verein, für den er als Profi je spielte, fünfmal die Deutsche Meisterschaft, zweimal den Uefa-Pokal und einmal den DFB-Pokal. Er war Welt- und Europameister schon als Spieler und zweimal gewann er die Auszeichung als Deutschlands Fußballer des Jahres.

Vogts blühte auf als "Terrier", der so offensiv verteidigte, dass er in 419 Bundesligaspielen 33 Tore erzielte und im WM-Finale 1974 beim deutschen 2:1-Sieg sogar das niederländische Fußballgenie Johan Cruyff kaltstellte. Vogts versagte vier Jahre später als Mannschaftskapitän nicht nur auf dem Spielfeld (Aus in der Zwischenrunde), sondern auch daneben: "Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen", sagte er im von einer Militärjunta regierten WM-Gastgeberland Argentinien.

Das alles blieb in Erinnerung - wie sein Auftritt im Tatort ("Gib dem Kaninchen eine Möhre extra") oder Stefan Raabs Spott-Lied ("Böörti, Böörti Vogts"), der manchmal hölzern und ungeholfen wirkende Vogts war immer auch ein leichtes Ziel für Häme. In den vergangenen fünfzehn Jahren hat man ihn vor allem als wandernden Fußballprediger im Gedächtnis, der nach einem kurzen Engagement in Leverkusen die Nationalmannschaften von Kuwait, Schottland, Nigeria und Aserbaidschan trainierte. Dort schmiss er nach sechs Jahren hin, weil ihm die Wertschätzung fehlte - diesmal nicht die der Öffentlichkeit, sondern von Spielern und Verband.

Seinen 70. Geburtstag will Vogts alleine "mit einem guten Glas Rotwein" verbringen, sagte er dem sid. Man darf davon ausgehen, dass er sich schon wieder nach Arbeit umschaut, er war schließlich meistens rastlos. Vielleicht treibt ihn heute noch um, dass ihm die Revolution des deutschen Fußballs nicht gelungen ist (die kam ein paar Jahre später), vielleicht ist Berti Vogts mit 70 Jahren aber auch zu ein bisschen Zufriedenheit gelangt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: