Süddeutsche Zeitung

Bert van Marwijk beim Hamburger SV:"Ich mag Druck"

Erster Auftritt von Bert van Marwijk beim Hamburger SV: Der neue Trainer deutet an, dass er mehr Struktur in die Mannschaft bringen will als Vorgänger Thorsten Fink. Auch um "Liebhaber" Rafael van der Vaart will er sich kümmern.

Von Carsten Eberts, Hamburg

Bert van Marwijk ist weder Engel noch Tormaschine, von daher ist der Rummel beträchtlich, der ihn am Mittwochmittag erwartet. Mehr als 120 Journalisten und 20 TV-Kameras empfangen den neuen Trainer des Hamburger SV, diese Dimensionen erreichte der Klub zuletzt bei Rafael van der Vaart (dem Engel) und Ruud van Nistelrooy (der Tormaschine). Was zum einen zeigt, dass das Interesse am schwer wankenden Bundesliga-Urgestein noch beträchtlich ist. Und zum anderen, wie oft der Klub neue Hoffnungsträger aus den Niederlanden benötigt.

Van Marwijk kommt zwei Minuten zu früh. Er trägt ein dunkles Hemd zum dunklen Anzug, er schreitet voran, erst hinter ihm kommen Vorstandsboss Carl-Edgar Jarchow und Sportchef Oliver Kreuzer. Der Niederländer lächelt milde, aber entschlossen.

"Die Situation ist nicht gut", sagt er auf Deutsch, "sie ist schlecht."

Das trifft die aktuelle Lage des Hamburger SV ganz gut. Jarchow und Kreuzer erheben auch keine Einwände, als van Marwijk sein Urteil spricht. Der Niederländer, 61, sei ihr Wunschtrainer gewesen, wiederholt Jarchow, weil der Klub nach den planlosen Auftritten der vergangenen Wochen und dem Absturz auf Rang 16 dringend "einen Mann mit gewisser Erfahrung" (Kreuzer) brauche.

Van Marwijk bringt diese Voraussetzungen sicher mit. Er kennt die Bundesliga, war zwei Jahre lang Coach von Borussia Dortmund, trainierte anschließend die holländische Nationalmannschaft, führte sie zu Platz zwei bei der WM 2010 in Südafrika. Ein Trainer, der das offensive Spiel mag, jedoch auch vor robusten Defensivmaßnahmen nicht zurückschreckt.

"Ich bin kein Typ, der Druck wegnehmen will, ich mag Druck", sagt van Marwijk: "Ich denke, dass jedes Team Druck braucht. Wenn man Druck hat, leistet man auch mehr." Klingt ein bisschen nach Oliver Kahn, zeigt aber auch, dass van Marwijk nicht gedenkt, mit Wattebäuschen um sich zu werfen.

Nach dem Ende der zweijährigen Amtszeit von Thorsten Fink dürften viele Fans dankbar aufsaugen, was ihnen der erfahrene Niederländer zu sagen hat. Er sei ein Freund offensiven Fußballs, berichtet van Marwijk, er möge jedoch auch gut organisierten Fußball. Der HSV habe die meisten Gegentore der Liga kassiert, wiederholt er mehrfach, zuletzt beim 2:6 gegen Dortmund. Da müsse er ansetzen. "Die Mannschaft muss lernen, als Mannschaft zu verteidigen", sagt van Marwijk. Sportchef Kreuzer, der neben ihm sitzt, nickt deutlich vernehmbar.

Es ist van Marwijk hoch anzurechnen, dass er zum offiziellen Vorstellungstermin überhaupt erscheint. Manch einer unkte, van Marwijk hätte bei seinen Interviews im holländischen Fernsehen und Radio schon alles gesagt, was zu sagen ist. Dort hatte der Niederländer nicht nur etwas vorschnell nur seine Verpflichtung bestätigt, sondern auch über seine Ideen für den HSV geplaudert, noch bevor der Hamburger Aufsichtsrat seinen Daumen heben konnte (was er schließlich tat).

"Ein Missverständnis", entschuldigt sich van Marwijk, er habe eine SMS seines Beraters falsch verstanden, die ihm signalisierte, es sei bereits alles fix. Auch an der Personalie Andreas Möller sollte der Wechsel schließlich nicht scheitern. "Ich hätte Andy gern dabei gehabt", sagt van Marwijk, als Assistenztrainer oder Spielbeobachter, van Marwijk wollte dies aber nicht als Forderung verstanden wissen. Der Vorstand widersprach, wohl aus Kostengründen.

Auch ohne Möller hat van Marwijk nur drei Tage Zeit, sein Team auf die Auswärtsaufgabe bei Eintracht Frankfurt vorzubereiten. Den Pokalauftritt gegen Fürth (1:0) hat der Coach noch in seinem Hamburger Hotelzimmer verfolgt. Er habe nicht nur schlechte Dinge gesehen, sagt er immerhin. Er will in den kommenden Tagen viele Einzelgespräche führen, auch mit aussortierten Spielern wie Michael Mancienne oder Slobodan Rajkovic, das sei ihm wichtig. "Natürlich hätte ich auch lieber, dass der HSV um die Meisterschaft spielt", sagt van Marwijk, "aber das hier ist auch eine Herausforderung." Der Klub gehöre eigentlich "zwischen Platz eins und sechs". Das sei aktuell jedoch nicht drin.

Reden will van Marwijk auch mit Rafael van der Vaart, seinem aktuell arg schwächelnden Landsmann, bei dem sich viele Hamburger wünschen, dass er unter seinem alten Bondscoach zu verbesserter Form zurückfindet. Das gehe nur über Vertrauen, deutet van Marwijk an. "Rafael ist ein Liebhaber", sagt er, ein Blick in die verwunderte Zuhörerschaft, die sofort an van der Vaarts Nähe zum Boulevard denkt, wo der Spielmacher zusammen mit Freundin Sabia Boulahrouz zuletzt den ein oder anderen kleinen Auftritt hatte. "Ein Liebhaber des Fußballs", konkretisiert er schnell. Gelächter. Van Marwijks Deutsch ist ansonsten hervorragend.

Warum er sich so eine Aufgabe wie den HSV überhaupt antue, wird van Marwijk noch gefragt. "Weil ich hier ein gutes Gefühl habe", antwortet er. Van Marwijk hat einen Zweijahresvertrag unterschrieben, mit Option auf eine weitere Saison. Drei Jahre, das hat schon lange kein HSV-Coach mehr geschafft.

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