Süddeutsche Zeitung

Hertha BSC mit Kay Bernstein:Ein völlig neuer Typus Präsident

Kay Bernstein ist der erste Vereinschef, der früher als Ultra in der Fankurve stand. Er will die seit Jahren aufgewühlte Berliner Hertha einen - und muss mit vielen Widerständen rechnen

Von Javier Cáceres, Berlin

Ein paar Fotos mussten noch geschossen werden. Und dabei wurde deutlich, dass der neue Hertha-BSC-Präsident Kay Bernstein, 41, noch ein bisschen Arbeit vor sich hat, um die Aufgabe zu erfüllen, die er vorerst für seine vornehmste hält: Er wolle den seit Jahren taumelnden Berliner Verein "einen", sagte er, und er fand, es wäre deshalb gut, wenn seine sechs Präsidiumskollegen fürs Foto die Arme über die Schultern ihrer Nebenleute legen würden. Einigkeit unterm Hertha-Banner, in diese Richtung sollte es wohl gehen.

Doch ganz links stand das Präsidiumsmitglied Ingmar Peering, ein Vertreter der gerade in Schimpf und Schande versunkenen Ära von Bernsteins Vorgänger Werner Gegenbauer, und der ließ die Arme am eigenen Körper baumeln. Schulterschluss mit den Neuen? Nicht hier. Nicht jetzt. Das taugte ganz gut als Sinnbild dafür, dass Herthas Establishment, das bei der Mitgliederwahl am Sonntag eine deftige Niederlage erlitten hatte, seinen Platz in der neuen Ordnung noch sucht.

Es hat in der langen Geschichte der großen, weiten Welt des Fußballs schon alle erdenklichen Typen von Vereinspräsidenten gegeben: Leute, die wegen des Todes von Bauarbeitern zu Haft verurteilt wurden wie den verstorbenen Jesús Gil (Atlético Madrid); korrupte Ex-Politiker wie Silvio Berlusconi (AC Milan); aus Nahost herbei geeilte Investoren-Statthalter wie Nasser Al-Khelaifi (Paris SG); Schlagersänger wie Elton John (FC Watford); allmächtige Unternehmer und Strippenzieher wie Florentino Pérez (Real Madrid) - und ehemalige Fußballprofis wie Uli Hoeneß (FC Bayern).

Es hat in der Geschichte weiten Welt des Fußballs alle erdenklichen Typen von Vereinspräsidenten gegeben

Doch was nun in Berlin beschlossen wurde, ist eine veritable Neuigkeit, sogar über Deutschland hinaus: An der Klubspitze steht jetzt Bernstein, ein ehemaliger Vorsänger der Hertha-Ultras, ein "Kind der Kurve", wie er sich nennt. Oder, wie man auch sagen könnte: der Vertreter einer Bewegung, die das Fußball-Establishment seit Jahrzehnten herausfordert.

"Es bedeutet eine schwere Bürde, der erste zu sein, der aus der Ultra-Generation hervorspringt und diesen Weg geht. Aber für mich steht das 'Herthaner' oben drüber", erklärte Bernstein, "erst dann ist man der Fan, der Ultra, der Kuttenträger, der Haupttribünensitzer." Bernstein erhielt 1670 Stimmen, das entsprach einer absoluten Mehrheit von 54 Prozent. Er betonte: "Es geht auch darum, den 1300 Mitgliedern, die mich nicht gewählt haben, die Hand auszustrecken und ihnen zu sagen: 'Wir nehmen euch ernst, eure Sorgen, eure Vorbehalte.'"

Wie groß diese Vorbehalte sein können, und wie stark diese befeuert werden dürften, das konnte Bernstein am Montag in der Bild lesen, die sich in Berlin mit dem 14 Jahre lang amtierenden Bernstein-Vorgänger Werner Gegenbauer prächtig verstanden hatte. Sie gab sich entsetzt wie sonst nur früher bei Langhaarigen oder bis heute bei echten oder vermeintlichen Kommunisten.

"Was kommt da auf die Liga zu?", fragte das Blatt bang nach Bernsteins Wahl: "Wird er Pyros legalisieren und das Olympiastadion in einen Feuertopf verwandeln? Werden die von Ultras so verhassten Personen (wie Dietmar Hopp) oder Klubs (wie RB Leipzig) mit seinem Segen im Stadion beleidigt und verhöhnt? Und vergrault er den in der Kurve ungeliebten 375-Mio.-Hertha-Investor Lars Windhorst endgültig?"

Das alles war dann doch überraschend viel Skepsis für einen adrett frisierten Familienvater. Nach allem, was man weiß, steht Bernstein fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung; er gründete nicht nur die Ultra-Gruppierung "Harlekins '98", sondern auch ein nach kapitalistischen Regeln geführtes Kommunikationsunternehmen. Ja, er hat einst sogar Stadionverbote bei der Hertha erteilt bekommen - ob die immer gerechtfertigt waren, ist so eine Frage, denn Herthas Verhältnis zu den Ultras ist ein Thema für sich. Fakt ist: Es gibt Dinge, die würde Bernstein im Jahr 2022 so nicht mehr tun.

Häutung hin, Häutung her: Herthas Investor Lars Windhorst, der auch Vereinsmitglied ist und am Sonntag der Wahl beiwohnte, gab sich vergleichsweise entspannt. Er hat zwar eine größere Nähe zum unterlegenen Kandidaten Frank Steffel, ein früherer CDU-Bundestagsabgeordneter mit Hang zu skurrilen Affären. Aber alarmiert klang Windhorst am Sonntag nicht. Eher im Gegenteil: "Es kann ja nur besser als früher werden", sagte Windhorst dem Kicker in Anspielung auf die Jahre mit dem geschassten Gegenbauer, in denen die 374 Millionen Euro, die der Finanzunternehmer Windhorst seit 2019 der Hertha zuführte, verbrannt wurden.

"Es kann ja nur besser als früher werden", sagt Hertha-Investor Lars Windhorst

Wer eine Kriegserklärung Bernsteins an den in der Kurve weitgehend verteufelten Windhorst erwartet hatte, sah sich ebenfalls getäuscht. Die ersten Äußerungen klangen nach Pragmatismus: "Die Realität sagt: Herr Windhorst ist da, er hat die Anteile. Wir werden versuchen, ihn bestmöglich einzubinden und mit ihm unsere Ziele zu erreichen."

Das bedeutet nicht, dass Bernstein seine roten Linien vergessen will. Er betonte: "Wir haben in den letzten Jahren im Verein die Debatte über '50+1' inhaltlich nicht geführt" - über jene Regel also, die den Einfluss von Investoren auf die Entscheidungen von Vereinen beschränkt. Bernstein strebt sogar an, 50+1 in der Vereinssatzung zu verankern, was dem Investor Windhorst nicht schmecken kann. "Ich glaube, dass wir die Debatte brauchen, um in der inneren Zerstrittenheit der Mitglieder das zu thematisieren und eine Haltung herauszuarbeiten", sagte Bernstein.

Das gilt wohl auch für die Stadionfrage, die bei der Hertha und in der Stadt kontrovers diskutiert wird. Ein neues, reines Fußballstadion ohne Leichtathletik-Laufbahn soll her. Das ist nachvollziehbar bis unabdingbar aus der Perspektive eines Bundesligisten, der das Olympiastadion nur dann füllt, wenn die ganz großen Gegner kommen. Herthas Hausmacht, die Ultra-Szene, gilt in der Stadionfrage als skeptisch. Auch das ist eines der Themen, die den dauerkriselnden, von jahrelangem Abstiegskampf zermürbten und noch immer zerrissenen Verein aufwühlen.

Bernstein, das wurde klar, kann vorerst in der Fankurve auf Unterstützung zählen. Insbesondere die Wortmeldungen bei der Fragerunde mit seinem Gegenkandidaten Steffel wirkten so effektiv orchestriert wie eine Choreo - die Mobilisierung des Bernstein-Lagers gelang. Es ist jedoch nicht klar, wie viele Stimmen für Bernstein von Nicht-Ultras kamen, viele dürften es nicht gewesen sein. Das heißt: Die Gesamtheit der 40 000 Hertha-Mitglieder bildet die Mehrheit für den neuen Präsidenten eher nicht ab. Nicht alle Herthaner mögen Ultras.

Gleichwohl stimmt wohl, was Bernstein sagte: dass seine Hertha-DNA den Ausschlag für den Wahlsieg gegeben habe. Die Mannschaft und den neuen Trainer Sandro Schwarz müsse oder wolle er erst noch kennenlernen, "wenn das gewünscht ist, unbedingt", sagte er. Auch eine Begegnung mit Sportchef Fredi Bobic steht noch aus. Und am Mittwoch um 18 Uhr steht die erste Präsidiumssitzung an. "Die Hauptaufgabe wird sein, aus dem Präsidium einen eingeschworenen Haufen mit Teamspirit zu machen, der Hertha vorlebt", sagte Bernstein. Das klingt nach Arbeit.

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