Süddeutsche Zeitung

Berlin:Zwischen Angst und Zorn

Bei der schwächelnden Hertha gerät Trainer Ante Covic in die Kritik, genießt aber intern noch Rückendeckung.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Sonntag war bei Hertha BSC Mitgliederversammlung, was unter anderem bedeutete, dass sich auch die Abteilungen vorstellten. In Halle 22 auf dem Messegelände stellte die Tischtennisabteilung eine Platte hin, die Futvolley-Damen ertrugen gequält ein Kompliment, das mit ihrer sportlichen Leistung nichts zu tun hatte ("und die Damen seh'n auch noch sehr nett aus") und das deshalb von einem gehörigen Teil der Mitglieder missbilligt wurde; der Vorsitzende der Kegler warnte vor dem Aussterben seiner Abteilung: "Bei uns tritt keener aus. Bei uns wird jestorben." Die Boxabteilung wiederum leistete einen kreativen Beitrag zur Lage und stellte einen elektronischen Punching-Ball in die Vorhalle des Versammlungsraums.

Jedoch: Es waren rund 1400 Hertha-Mitglieder da, so dass nicht alle ihre Aggressionen am Schlagsack abbauen konnten. Sie trugen die Faust also geballt in der Tasche, als die Profi-Mannschaft kurz vor Mittag vom Präsidenten Werner Gegenbauer auf den Sportplatz verabschiedet wurde. Es gab Pfiffe und nicht zweifelsfrei zu entziffernde, aber unüberhörbar von Groll getragene Rufe gegen das Team - und am Ende auch massive Kritik an Manager Michael Preetz und Trainer Ante Covic.

Dass die Gallenproduktion der Herthaner am Sonntag auf Hochtouren lief, hatte viel, aber nicht nur mit dem Vorabend zu tun. Also damit, dass das Spiel gegen RB Leipzig mit 2:4 zu Ende gegangen war. Die Hertha hat somit aus den vergangenen vier Spielen nur einen Punkt geholt; zu den Spielen, die zuletzt verloren gingen, zählte auch das Hauptstadtderby beim 1. FC Union. Das kam im Westend nicht gut an, zumal Hertha die Backen zu Saisonbeginn ziemlich aufgeblasen, die sechs Punkte gegen Union schon budgetiert hatte. "Die Rechnung ist dann ja nich' so uffjejangen", sagte giftig ein Vereinsmitglied.

Das muss man wohl so sagen. Hertha hat nur zwei Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz, zwei Punkte Rückstand auf Union und eine Stimmung, die irgendwo zwischen Abstiegsangst und Zorn changiert. Vor allem Trainer Covic steht im Visier der Fans - auch wenn er zumindest am Samstag mit einigem Recht auf mildernde Umstände plädieren konnte: etwa wegen des Handelfmeters, den Timo Werner zum zwischenzeitlichen 1:1 (34.) traf. Oder dem nicht geahndeten Schlag auf das dann gebrochene Nasenbein von Verteidiger Niklas Stark. Diese Aktion hätte beim Stand von 2:1 für Leipzig einen Elfmeter und eine rote Karte für RB-Profi Konrad Laimer nach sich ziehen können.

Jenseits davon aber ist bei der Hertha keine richtige Entwicklung zu sehen, schon gar nicht hin zu einer nach Dominanz strebenden Mannschaft. Unter dem Gejohle der Menge äußerte der frühere Stürmer Axel Kruse, der Preetz und Geschäftsführer Ingo Schiller vor den Mitgliedern interviewte, den Verdacht, die Spieler hätten zu manchen Spielen "ihre Brüder geschickt". Die Quittung dafür folgte am Sonntag: Bei jeder Bemerkung, die sich bei der Mitgliederversammlung gegen Covic richtete (es klang sogar offen Neid auf Herthas Erzfeind FC Schalke 04 an, für die Verpflichtung von Trainer David Wagner), klatschten die Herthaner wie wild Beifall.

Covic musste das alles nicht persönlich ertragen, er stand auf dem Trainingsplatz. Doch als er am Morgen sich noch einmal den Journalisten stellte, konnte man ahnen, dass er ein Tribunal gegen sich erwartet hatte. Es sei "legitim", dass der Trainer hinterfragt werde, sagte er, und versuchte, dem Ganzen Positives abzugewinnen: "Solange die Leute darüber diskutieren, weißt du, dass du in einem Verein arbeitest, an dem sehr viel Herzblut hängt. Alle Leute, die mich kennen, wissen, dass es bei mir nicht anders aussieht", fügte er hinzu. Gleichzeitig dankte er Manager Michael Preetz und dem "inneren Zirkel Herthas" dafür, dass sie hinter ihm stünden.

Das scheint tatsächlich so zu sein. "Selbstverständlich werden wir auch in schwierigen Zeiten den Weg aus der Misere gemeinsam gehen", sagte Preetz, der ein paar Mal schlucken musste. Gleichwohl nahm er die Mannschaft und ihren Coach in die Pflicht. Elf Punkte aus elf Spielen, "das ist zu wenig. Wir sind hinter dem Plan, überhaupt keine Frage. Wir können mehr, wir wollen mehr und müssen das auch in den nächsten Wochen zeigen".

Zuspruch gab es für Geschäftsführer Schiller - und für seine Rolle beim Einstieg von Investor Lars Windhorst. Dieser hatte 225 Millionen Euro in die Hertha gesteckt, die dadurch zum 30. Juni dieses Jahres über ein Eigenkapital von 123,7 Millionen Euro verfügte. Ein Jahr vorher waren es 25,8 Millionen Euro gewesen. Windhorst saß am Samstag beim 2:4 gegen Leipzig auf der Tribüne, neben Jürgen Klinsmann, den er in den Hertha-Aufsichtsrat schickt. "Das spannendste Fußballprojekt Europas" sei diese Hertha, sagte Klinsmann. Tja, antwortete die Hertha. "Wir haben ausreichend Geld und zu wenig Punkte", sagte Präsident Werner Gegenbauer und fügte hinzu, dass sich Letzteres bis Weihnachten ändern müsse, ehe er die Gemeinde in den Sonntag entließ.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4675790
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.