Die Fans der Berlin Recycling Volleys sollten sich beeilen. An diesem Montagabend um 19 Uhr ist Saisonabschlussfeier im VIP-Bereich der Max-Schmeling-Halle, aus logistischen Gründen mit begrenzter Teilnehmerzahl. Es gilt auch in diesem Jahr das „First-come-first-serve-Prinzip“. Festes Schuhwerk ist unbedingt empfehlenswert, keine glatten Sohlen. Denn es ist gut möglich, dass noch einige Konfettischnipsel und Bierpfützen übrig sind vom Samstagabend.
An jenem Abend sind Berlins Volleyballer durch einen fast unverschämt souveränen 3:0 (25:12, 25:23, 25:21)-Erfolg über die SVG Lüneburg zum 15. Mal deutscher Meister geworden. Lüneburg hatte in den drei Spielen der Best-of-five-Serie, die sie 0:3, 1:3 und 0:3 verloren, nicht die Spur einer Chance. Vor allem nicht am Samstag, als die Berliner vor 8553 Zuschauern in der ausverkauften Halle nach nur 77 Minuten das einseitige Schauspiel beendeten – und ihren Ausnahmestatus im deutschen Volleyball zementierten. Seit 2012 war Berlin ständig Finalist, seither konnte nur Friedrichshafen 2015 den Volleys die Bronzeschale entreißen, und 2020 die Corona-Pandemie. DVV-Pokalsieger sind sie auch geworden und haben den Liga-Cup gewonnen, das Triple ist also perfekt.

Volleyball:Party-Hopping nach der Durststrecke
Schwerins Volleyballerinnen sind erstmals seit 2018 wieder deutsche Volleyball-Meisterinnen – trotz großer Verletzungssorgen. In Zukunft kämpfen sie mit der kriselnden Liga gegen schier übermächtige US-Konkurrenz an.
Im Mittelpunkt diesmal: Jake Hanes, Berlins 2,12 Meter langer Diagonalangreifer, der seine Mannschaft im ersten Satz des Playoff-Finales durch wuchtige Aufschläge und Angriffe auf 9:4 davonziehen ließ und später zum MVP, zum wertvollsten Spieler der Saison, gekürt wurde. Aber auch Kapitän Ruben Schott, der den Vorsprung in diesem ersten Satz mit einer beeindruckenden Aufschlagserie auf 17:5 ausbaute. Und schließlich Zuspieler Johannes Tille, der famos die Fäden zog, Berlin aber nun in Richtung Polen verlässt, auch weil ihm der Wettbewerb in Deutschland nicht mehr genug geben konnte.

Berlins Manager Kaweh Niroomand zeigte sich am Sonntag stolz auf den neuerlichen Titel, es gebe da „keine Routinen in dem, was man empfindet“. Zumal der Gegner nicht wie sonst so oft Friedrichshafen war, sondern erstmals Lüneburg, das sich in jüngster Zeit zum ernst zu nehmenden Rivalen und Champions-League-Klub entwickelt hat. Im höchsten europäischen Wettbewerb warf Lüneburg die Berliner in dieser Saison sogar im Achtelfinale aus dem Wettbewerb. „Was habe ich mir alles anhören müssen“, sagt Niroomand, „der Fernsehturm wackelt, die Wachablösung kommt, das Imperium geht unter.“ Nichts davon trat nun ein, die Berliner demonstrierten im Finale gegen Lüneburgs Hünen, wie sie sich nennen, ihre Stärke – der Gegner war nur noch ein Scheinriese.
Berlin behält nun einen Großteil seiner Stammformation: Hanes, Schott, Moritz Reichert, die Blocker Matthew Knigge, Nehemiah Mote und Florian Krage bleiben. Aber eben nicht Tille, der Kopf der Mannschaft. Dies, sagt Niroomand, sei auch „ein Zeichen: Wenn jemand zu mir kommt und sagt, er möchte ins Ausland, weil ihm der Wettkampf in der deutschen Liga zu schwach ist“.
Die Abgaben für hiesige Profiklubs sind zu hoch, sagt der Manager: „Sie werfen uns im Vergleich zum Ausland extrem zurück.“
Niroomand sieht ein Strukturproblem im deutschen Männer-Volleyball, dem Teamsport Nummer fünf hinter Fußball, Handball, Eishockey und Basketball. Er lobt ausdrücklich Klubs wie Lüneburg, Giesen, Herrsching oder die aufstrebenden Freiburger, die sich alle nicht nur sportlich professionalisiert hätten. Die Zuschauerentwicklung an vielen Standorten sei auch positiv. „Aber die Liga muss sukzessive spannender werden. Es ist zu wenig Professionalität und Kapital in ihrem System. Und zu wenig Tradition an den Standorten. Wir bauen diese Tradition in Berlin gerade auf, brauchen uns dort nicht zu verstecken. Volleyball insgesamt hat aber nach wie vor eher dieses Breitensport-Image.“
Und so verlässt nun also Tille, der Steller der deutschen Nationalmannschaft, Berlin in Richtung Polen, wo er rund das Zweieinhalbfache an Gehalt bekommt. Die Volleys aus der Hauptstadt hatten in der Vergangenheit immer mal wieder damit kokettiert, als ganzer Verein in die polnische Liga zu wechseln, mangels Wettbewerbs in der heimischen Bundesliga. Niroomand sagt, er habe diesen möglichen Schritt sogar nochmals rechtlich begutachten lassen, aber letztlich Abstand davon genommen. Ein solcher Entschluss wäre zugleich ein riesiger Imageverlust für die Volleyball-Bundesliga gewesen, deren großes Zugpferd Berlin ja ist.

Seinen Regisseur hätte Niroomand schon gerne gehalten, auch als Identifikationsfigur. Doch neben den im Ausland höheren Gehältern sieht der Berliner Manager die Last an Abgaben für die hiesigen Profiklubs als extrem belastend an. „Sie werfen uns im Vergleich zum Ausland extrem zurück.“ Sein Problem: Berlin zahlt für Tille und die anderen Spieler nicht nur das Netto-Gehalt, das dann auf dem Konto der Profis landet, sondern trägt auch sämtliche Nebenkosten, Steuern und Versicherungen. Die Zusatzbeiträge zur Berufsgenossenschaft, eine Versicherung, die bei Unfällen und Krankheiten der Spieler einspringt, kommen hinzu. Sie betragen Niroomand zufolge „momentan 31 Prozent des Brutto-Gehalts“. Inklusive aller Nebenkosten, rechnet Niroomand vor, verteuere sich dadurch ein Euro Spielergehalt für den Klub auf 2,30 Euro.
Sein neuer polnischer Verein muss für Tille demzufolge wegen der dort wesentlich geringeren Abgaben gar nicht viel mehr investieren, als es Berlin bislang getan hat – trotz des weitaus höheren Gehalts. „Der Arbeitsplatz in Deutschland ist zu teuer“, findet Niroomand: „Und warum gibt es im Sport eigentlich – Stichwort EU-Beihilferecht – nicht auch jene einheitlichen Regeln in ganz Europa, die für Unternehmen gelten?“
Die Lage Berlins hat also durchaus eine politische Komponente, bei allen Meisterfreuden. Es dürfte ein bittersüßer Abend werden bei der Saisonabschlussfeier im VIP-Bereich der Max-Schmeling-Halle.