Süddeutsche Zeitung

Hertha BSC:Marketing gegen Erbgut

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Vor dem Bayern-Gastspiel herrscht in Berlin ein Reizklima zwischen Verein und Fans. Die Debatte ums Stadion könnte zur Zerreißprobe werden.

Von Javier Cáceres, Berlin

Beim bisher letzten Besuch von Bayern in Berlin hatten die Hertha-Fans mal wieder eine Botschaft an die Verantwortlichen ihres eigenen Klubs: "Wo sind denn Eure 226 000 Follower?", stand spitz auf einem Spruchband, das vor die Ostkurve gehängt wurde und die Marketingexperten des Hauptstadtklubs als Adressaten hatte. Es war, natürlich, ironisch gemeint: Die Bayern, die vor zwei Wochen zu Gast waren, waren jene vom FC Ingolstadt, im Olympiastadion verloren sich gut 30 000 Zuschauer - keine Spur von den digitalen Followern der Hertha, jedenfalls nicht im gigantischen Oval. Diese Geschichte war nur das jüngste Beispiel dafür, wie angespannt sich die Beziehungen zwischen dem Verein und seiner Stammklientel derzeit gestalten.

Schon seit Saisonbeginn ist im Berliner Westend ein mürrischer Grundton zu vernehmen, der deshalb überrascht, weil er so gar nicht zu der "bemerkenswerten sportlichen Entwicklung" passen mag, die Hertha BSC genommen hat, wie Manager Michael Preetz mit gutem Recht betont. Zwei Mal war der Verein im vergangenen Jahrzehnt ab- und wieder aufgestiegen, in dieser Saison hat er daheim 24 von 27 möglichen Punkten geholt. Der FC Bayern, der am Samstag in Berlin gastiert, hat dieselbe Ausbeute - bei sogar einem ausgetragenen Heimspiel mehr.

Obwohl Hertha um den Jahreswechsel in "ein so genanntes Loch" gefallen ist, wie es Trainer Pal Dardai formuliert, bewegen sich die Berliner zum zweiten Mal in Serie in Tabellenregionen, die eine Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb verheißen. "Vor so einem Hintergrund ist es natürlich schade, dass das aktuell nicht zusammenpasst", sagt Preetz mit Blick auf die Stimmung im Umfeld.

Auch in Berlin wird um die bundesweit debattierte Frage gestritten, wem der Fußball eigentlich gehört. Den zu Unternehmen gewandelten Klubs, die sich in einem Wettbewerb behaupten wollen, den sie zunehmend als global empfinden? Oder den Fans, die sich als Träger des Vereins-Erbguts fühlen und um ihre Teilhabe fürchten? Hier und da: Irrationalitäten. In Berlin ging das über einen recht langen Zeitraum gut; es gab vierteljährliche Treffen des Vereins mit den aktivsten Fans, man ging aufeinander zu, einigte sich auf Dinge wie das Design des Heimtrikots, das nun quasi verbindlich blauweiß-gestreift sein muss. Vor ein paar Wochen aber kündigten drei Ultra-Gruppierungen den Dialog mit dem Klub auf, weil man sich zu "Bittstellern und vermeintlich Ewiggestrigen" degradiert fühlte, wie es in einem Offenen Brief hieß: "Wenn wir nicht ernst genommen werden, dann darf man auch nicht erwarten, dass wir weiterhin gute Miene zum bösen Spiel machen."

Für Zorn sorgt vor allem, dass Herthas zweites, grell pinkes Ausweichtrikot oft und mitunter ohne zwingenden Grund zum Einsatz kommt, auch die orangenen Trainingsleibchen würden mehr an die Müllabfuhr erinnern als an Herthas traditionelle Farben, heißt es. Und dass Hertha die Start-up-Generation mit mal mehr, mal weniger witzigen Werbebotschaften auf Sozialnetzwerken umgarnt, halten die Ultras für deplatziert und fehlorientiert. Die Kritik, so kontert Preetz, komme von einem "nicht unbedeutenden, weil sehr aktiven Teil unserer Fanszene". Sie sei aber nicht repräsentativ, es gebe auch viele positive Reaktionen auf die Image-Strategie: "Jeder kann eine Meinung haben, dann muss es aber irgendwann auch gut sein", sagt Preetz. Gleichwohl halte Hertha an der Dialogbereitschaft mit den Fans fest: "Wir stehen weiter für einen Austausch zur Verfügung."

Ganz und gar abgerissen sind die Kontakte, wie man aus beiden Lagern hört, nicht, und das ist für die Hertha wohl vor allem deshalb gut, weil die eigentliche Bewährungsprobe noch aussteht: die Debatte um Herthas Heimat, die längst aus dem Olympiastadion in die Stadt geschwappt ist und das Zeug zu einer echten und Jahre währenden Zerreißprobe hat. Schon seit Jahren spielt Hertha mit dem Gedanken, sich ein eigenes, reines Fußball-Stadion zuzulegen. Und es gibt nachvollziehbare Gründe, die dafür sprechen.

Orte in Brandenburg locken mit Vorzügen, die es in der Hauptstadt nicht gibt

Das Olympiastadion ist wegen seiner Laufbahn zu weitläufig und nur dann heimelig, wenn es ausverkauft ist. Das wiederum ergibt sich bei Hertha-Heimspielen nur dann verlässlich, wenn der FC Bayern oder Dortmund vorbeischauen. In allen anderen Fällen weicht die Stimmung in gleichem Maße aus dem Stadion, wie die kalte Luft ins Rund hineinpfeift. So greifbar wie zurzeit war die Frage nie. Hertha hat bei einem Architekturbüro eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, sie soll spätestens Anfang April präsentiert werden. Spekuliert wird aber schon jetzt über mögliche Standorte.

Bei Hertha heißt es, dass man im Falle eines Neubaus natürlich einen Standort in Berlin bevorzugen würde. Nur: Ein vor einem Jahr geäußerter Satz des Präsidenten Werner Gegenbauer ("Unsere Überlegungen müssen nicht an der Stadtgrenze aufhören") hat immer noch Bestand. Es gibt diverse Orte in Brandenburg, die mit Vorzügen locken, die das Land Berlin kaum oder gar nicht zur Verfügung hat: Fläche, Infrastruktur, gute steuerliche Rahmenbedingungen. Zuletzt wurde in Berliner Zeitungen aber auch die Option diskutiert, auf dem weitläufigen Olympiagelände ein neues Stadion zu errichten, in Laufweite des Olympiastadions, sozusagen.

Doch es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Berliner Politik gewillt wäre, bei einem solchen Vorhaben mitzuziehen; das aber wäre allein deshalb nötig, weil das Gelände denkmalgeschützt ist. Das Land Berlin ist Eigentümer des Olympiastadions, das wiederum zu einem beträchtlichen Teil von Herthas Mietzahlungen lebt, der aktuelle Vertrag läuft bis Mitte der 2020er-Jahre. "Aus Sicht des Senats gibt es keinen Bedarf für ein neues Stadion als Ersatz und in Konkurrenz zum Olympiastadion", sagt ein Sprecher. Und so darf man gespannt sein, ob Hertha nicht doch vor die Tore der Stadt zieht.

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Quelle:
SZ vom 18.02.2017
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