Berlin-Marathon:Ein Kilometer in 2:51 Minuten

Berlin Marathon 2005

Marathon in Berlin:

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Beim Berlin-Marathon rückt eine magische Marke ins Blickfeld: Bald schon wollen die ersten Läufer in weniger als zwei Stunden ins Ziel kommen.
  • Sie müssten dafür jeden Kilometer in 2:51 Minuten zurücklegen, den aktuellen Rekord um 177 Sekunden verbessern.
  • Dabei rückt auch das Thema Doping wieder in den Vordergrund.

Von Johannes Knuth

Der Marathonläufer Eliud Kipchoge mag die einfachen Spielregeln seines Sports, die manchmal so schwer sein können. Ein Marathon beginnt ja erst so richtig nach 35 Kilometern: Wenn der Kopf will, die Beine aber streiken; Scheitern gehört im Marathon zum Alltag. Wobei Eliud Kipchoge, 30, aus Kenia hofft, dass er die Spielregeln des Sports mittlerweile verinnerlicht hat. "Ich glaube, ich bin so weit, dass ich mich auf eine Zeit von unter 2:03 Stunden verbessern kann", sagte er dem Magazin Runner's World. Unter 2:03 Stunden, das ist fast Weltrekord.

"Ich setze mir keine Grenze", sagt Kipchoge.

An diesem Sonntag bricht in Berlin die zweite Jahreszeit der Marathons an. Der Berlin-Marathon markiert den Beginn der Herbstläufe, weitere Höhepunkte sind Chicago (11. Oktober) und New York (1. November). Sollten sich die kenianischen Läufer in Berlin nicht noch die Mägen am Frühstücksbuffet verderben, dürften sie der Welt mal wieder ihre Dominanz vorführen. Neben Kipchoge bewirbt sich Landsmann Emmanuel Mutai um den Welt- rekord. Falk Cierpinski, Julian Flügel und Philipp Pflieger, die aussichtsreichsten deutschen Starter, wären schon über die Olympia-Norm von 2:12:15 Stunden froh.

Die Marathon-Welt ist längst zerfallen in Ostafrika und den Rest. Ob angesichts der jüngsten Dopingenthüllungen alles mit rechten Dingen zugeht, kann man kaum überprüfen, die Anti-Doping-Netze in Ostafrika sind noch immer löchrig. Aber man kann schon davon ausgehen, dass die Natur die Läufer aus den Hochebenen bevorteilt. Ihre Körper sind leichter als die der Europäer, die dünne Luft des ostafrikanischen Hochlandes wirkt wie eine Höhenkammer, und diese natürlichen Gaben kombinieren sie immer häufiger mit Wissen aus der westlichen Welt.

42,195 km unter 2 h: Das wäre, als würde Usain Bolt 100 Meter in 9,35 Sekunden schaffen

Rekord-Strecke

Marathon-Weltrekordlisten werden erst seit dem 1. Januar 2004 geführt, nachdem der Leichtathletik-Weltverband 2003 verbindliche Kriterien für die Strecken festgelegt hatte. Bei den Männern wurden bisher sechs Bestmarken notiert. Alle wurden beim Berlin-Marathon erzielt. Die Rekord-Entwicklung im Überblick:

2:04:55 h: Paul Tergat/Kenia, 28.9.2003

2:04:26 h: Haile Gebrselassie/Äthiopien, 30.9.2007

2:03:59 h: Haile Gebrselassie/Äthiopien, 28.9.2008

2:03:38 h: Patrick Makau Musyoki/ Kenia, 25.9.2011

2:03:23 h: Wilson Kipsang/Kenia, 29.9.2013

2:02:57 h: Dennis Kipruto Kimetto/ Kenia, 28. 9.2014

"Als Teenager bin ich gelaufen", erinnert sich Stephen Kiprotich, der Olympia- sieger aus Uganda: "Jetzt habe ich einen Trainer, Physiotherapeuten, Manager und eine GPS-gestützte Uhr." Und weil es auf der Bahn nicht mehr viel zu verdienen gibt, steigen die meisten Afrikaner gleich ins lukrative Straßen-Gewerbe ein. Die Weltrekorde rollten dort zuletzt wie Massenware vom Fließband, vor allem in Berlin, sechs Mal haben sie dort die Bestmarke gesteigert. Im Vorjahr drückte sie Dennis Kimetto auf 2:02:57 Stunden. Und jetzt will also Eliud Kipchoge die 2:03-Stunden-Marke knacken, bald vielleicht auch die 2:02 Stunden, im Sport muss es ja immer schneller gehen. So sehr, dass ein paar Vertreter der Zunft derzeit Läufer ausbilden, die den Marathon bald in weniger als zwei Stunden absolvieren sollen.

Ein Marathon in weniger als zwei Stunden? Sie müssten dafür jeden Kilometer in 2:51 Minuten zurücklegen, den aktuellen Rekord um 177 Sekunden verbessern. Das wäre, als würde Usain Bolt seinen Weltrekord über 100 Meter von 9,58 auf 9,35 Sekunden drücken.

Yannis Pitsiladis und Jos Hermens glauben, dass sie sich so einen Zwei-Stunden-Läufer heranziehen können. Pitsiladis forscht an der Universität Brighton/England auf dem Feld der Leistungsphysiologie, Hermens betreut seit Jahren Langstreckenläufer aus Ostafrika. "Die letzten Weltrekorde wurden ohne jeglichen wissenschaftlichen Aufwand gebrochen", sagt Pitsiladis. Er hat mit Hermens ein Experten-Team aufgebaut, sie haben Trainingszentren in Kenia und Äthiopien hochgezogen, zuletzt haben sie dort junge Läufer Gentests unterzogen. Die Talentiertesten sollen in rund einem halben Jahr "dem Besten ausgesetzt werden, was Medizin und Wissenschaft hergeben", sagt Pitsiladis.

Die Sportler stecken in einem Dilemma

Trainingswissenschaftler und Biomechaniker steuern Belastung und Training. Ernährungswissenschaftler bestimmen, was die Athleten essen, was sie im Rennen trinken, in welchem Abstand. Physiker bestimmen mit Hilfe von Satelliten die Luft- und Bodentemperatur an der Strecke, damit der Läufer weiß, welche Bedingungen ihn erwarten. 30 Millionen Dollar soll das Ganze kosten. Es ist der Schritt von der Natur ins Labor, der Versuch, den Zufall auszutricksen, die Spielregeln zu kontrollieren. Und Grenzen zu überwinden, die als unüberwindbar gelten.

Hochleistungssportler stecken in einem Dilemma. Es gehört zu den Grundanforderungen ihres Berufs, ihre Grenzen zu verschieben, doch sobald sie in allzu ferne Dimensionen vordringen, schwindet mittlerweile das Vertrauen des Publikums. Derzeit kommt fast jeder Welt- rekord mit einem weiteren Titel frei Haus: Der beste Athlet ist oft auch derjenige, dem am wenigsten Glauben geschenkt wird. Die Sportler trifft dabei wenig Schuld. Es sind vor allem die Funktionäre, die das Misstrauen wuchern ließen, die den Anti-Doping-Kampf irgendwo zwischen gut und nicht so gut festgefahren haben. Die ARD berichtete unlängst von positiv getesteten Athleten, die sich in Kenia bei ihrem von Korruption zerfressenen Verband freikaufen können.

Hermens will sich davon seinen Unternehmergeist nicht kaputt machen lassen. "Wir glauben, dass die zwei Stunden in fünf bis zehn Jahren möglich sind", sagt er, auf einem flachen Kurs wie Berlin, vor allem: sauber. Sie haben auch Olivier de Hon verpflichtet; de Hon arbeitet für die niederländische Anti-Doping-Agentur, er wird alle Athleten ausgiebig testen. Hermens glaubt aber ohnehin, dass man die Zwei-Stunden-Mauer nicht mit Pharmakologie, sondern mit dem Kopf durchbricht. Wie in den Fünfzigerjahren, als etliche Läufer daran scheiterten, die Meile in weniger als vier Minuten hinter sich zu bringen. Als der Brite Roger Bannister die Mauer 1954 durchbrochen hatte (3:59,4 Minuten), folgte wenige Wochen später der Australier John Landy. "Es braucht immer einen, der die Barriere niederreißt", sagt Kipchoge.

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Marathon

Grafik: SZ

Allzu viele Fürsprecher hat er dabei nicht. Die Marathonläufer, so der Tenor vieler Sportwissenschaftler, würden sich bereits im Grenzbereich des Machbaren bewegen. Der Mainzer Dopingexperte Perikles Simon findet, dass die Wissenschaftler nicht an einem Athleten herumschrauben sollten wie an einem Motor. Und überhaupt: "Wir sind momentan wissenschaftlich noch gar nicht in der Lage, die geeignetsten Athleten für derartige Projekte zu identifizieren", auch mit Gentests nicht. Und so könnten Forscher zwar einiges am Körper optimieren, "aber mir geht dabei ganz schnell die Fantasie aus", sagt er: "Mir fallen da spontan nur zehn Substanzen ein, die mit derzeitigen Dopingtests noch gar nicht nachweisbar sind."

Früher, sagt Simon, seien die Sportler von den Systemen des Kalten Kriegs vereinnahmt worden. Jetzt trete der Athlet gegen sich selbst an, unterstützt von Technik und Wissenschaft, "utilitaristischer geht es eigentlich nicht mehr". Vielleicht wohnt dem Zwei-Stunden-Projekt ja tatsächlich so etwas wie ein amerikanischer Traum inne: Arbeite hart, glaube daran, dann geht dein Traum in Erfüllung! Aber zur Natur mancher Träume gehört eben auch, dass sie Träume bleiben.

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