Süddeutsche Zeitung

Berlin-Marathon:Den Weltrekord zertrümmert

Lesezeit: 3 min

Von Fabian Dilger, Berlin

Eliud Kipchoge hielt sich beim Jubeln bemerkenswert zurück, er freute sich eher still, ohne große Gesten, ohne sich aufzuplustern, sich auf die Brust zu klopfen. Als der 33 Jahre alte Marathonläufer aus Kenia mit einem neuen Weltrekord ins Ziel lief, schlug er zuerst die Hände vors Gesicht, sank auf die Knie, bekreuzigte sich, erst dann gingen beide Daumen nach oben. So, als ob er die Zeit, die er hingelegt hatte, noch nicht realisiert habe. In 2:01:39 Stunden hatte Kipchoge ja nicht nur eine neue Bestmarke aufgestellt - er hatte die alte richtiggehend zertrümmert, jene 2:02:57, die sein Landsmann Dennis Kimetto 2014 ebenfalls in Berlin errichtet hatte.

Immerhin sah man dem introvertierten Kipchoge die tiefe Zufriedenheit mit dem Erreichten an. Als er später über das Rennen sprach, erlebte man einen in sich ruhenden und mit breitem Lächeln ausgestatteten Athleten. Einen Läufer, der seinen Status als Bester seines Faches gefestigt hatte, bei seinem Erfolg aber auch immer wieder auf andere verwies. Ein ums andere Mal sagte Kipchoge, er sei "dankbar" - seinem Team, seinem Trainer Patrick Sang, den er gleich nach dem Zieleinlauf umarmte, den Zuschauern, den Organisatoren. Es hätte nur noch gefehlt, dass er seinen Schuhsohlen dankte, dafür dass sie in diesem Jahr standhaft blieben.

Vor drei Jahren hatten sich gleich zu Beginn des Berlin-Marathons die Innensohlen seiner Schuhe gelöst und waren herausgerutscht - der bereits damals angestrebte Weltrekord war dahin. 2017 konnte Kipchoge auf den regennassen Straßen von Berlin die Zeit wieder nicht knacken. Aber in diesem Jahr passte endlich alles.

Kipchoge startete gleich in der angekündigten Geschwindigkeit, der alten Weltrekordzeit immer ein paar Schritte voraus. Zu Beginn hatte Wilson Kipsang, der am Ende Dritter wurde, noch Sichtkontakt, doch dann lief Kipchoge mit seinen Tempomachern ein eigenes Rennen. "Das Tempo vorne war mir heute zu schnell", sagte Kipsang später, immerhin selbst mal Weltrekordhalter. Bei Kilometer 15 stiegen bereits zwei von Kipchoges Wegbereitern aus, bei Kilometer 19 zeigte der letzte Begleiter Verbissenheit. Das Lauftempo war einfach zu hoch. Die Halbmarathon-Marke passierte Kipchoge nach 61:06 Minuten, Weltrekordkurs. "Es war gut, zur Hälfte im Plan zu sein", sagte Kipchoge, "das ist der Punkt, an dem Marathon beginnt."

Ab Kilometer 25 musste Kipchoge komplett ohne Tempomacher auskommen, was aber nicht weiter schlimm gewesen sei, wie er hernach sagte. Er offenbarte jedenfalls keinerlei Probleme, souverän und nahezu unberührt stapfte er voran, Kilometer für Kilometer in konstantem Tempo, ohne irgendwelche Einbrüche oder Schwächephasen. Seine schnellsten fünf Kilometer lief er zwischen dem 30. und 35., da, wo die Läufer normalerweise an einen toten Punkt gelangen und kämpfen müssen.

Doch selbst in der Endphase des Rennens hielt Kipchoge scheinbar mühelos durch, er lief flüssig durch das Brandenburger Tor und setzte sogar noch einen Schlussspurt an. Er verbesserte den Weltrekord schließlich um 1:18 Minuten, seit einem halben Jahrhundert ist die Bestmarke der Männer nicht mehr um eine derart große Spanne gesteigert worden; als erster überhaupt bewältigte er die 42,195 Kilometer in weniger als 2:02 Stunden. Diese Zeit ist in einer eigenen Liga, abgekoppelt vom Rest der Welt.

Wer, wenn nicht Kipchoge, wäre zu einem solchen Rennen in der Lage gewesen, und wo, wenn nicht in Berlin? Die letzten Marathon-Weltrekorde bei den Männern wurden allesamt dort aufgestellt. Die Strecke ist eine der schnellsten der Welt, flach, mit fast keinen Höhenunterschieden. Die äußeren Bedingungen waren am Sonntag ebenfalls wie bestellt, mehr als 44 000 Läufer, so viele wie noch nie, gingen bei perfektem Läuferwetter auf die Strecke: Es hatte knapp unter 20 Grad, es war nicht zu kühl und nicht zu heiß, kein Wind störte und auch kein Regen. Von den idealen Voraussetzungen profitierten auch die Frauen. Die ersten Drei blieben unter 2:19 Stunden, was es auch noch nie und nirgends gegeben hat; jede von ihnen unterbot den alten Streckenrekord. Die Kenianerin Gladys Cherono gewann wie im Vorjahr, diesmal in 2:18:11, Zweite wurde Ruti Aga (2:18:34), Dritte die ursprüngliche Favoritin Tirunesh Dibaba (beide Äthiopien, 2:18:55).

Dass Kipchoge zu ultraschnellen Marathon-Zeiten in der Lage ist, hatte er schon im vorigen Jahr in Monza/Italien bewiesen. Da war er sogar noch schneller gelaufen, 2:00:25. Der Schönheitsfehler dabei: Den offiziellen Regeln entsprach die Veranstaltung nicht. Das Unternehmen Nike hatte das Projekt "Breaking2" initiiert, um zu zeigen, dass Menschen die Distanz in weniger als zwei Stunden zurücklegen können. Bei dem Lauf auf einer Automobilrennstrecke herrschten gewissermaßen Laborbedingungen mit wechselnden Tempomachern und einem vorausfahrenden Fahrzeug; Wissenschaftler und Techniker loteten jede Möglichkeit der Verbesserung aus. Das stand im Gegensatz zu den Umständen, unter denen Kipchoge sonst arbeitet. In Kenia trainiert er unter eher einfachen Bedingungen, in einer großen Gruppe.

Jetzt hat Kipchoge aber auch unter offiziellen Bedingungen gezeigt, dass er die Grenzen im Marathon verschieben kann. Er hat wie die meisten Marathonläufer auf der Bahn angefangen, wurde über 5000 Meter Weltmeister (2003) und Olympia-Zweiter (2008). Seit 2013 ist er ausschließlich auf der Straße unterwegs, er herrscht regelrecht über den Marathon. Von seinen letzten zehn Starts hat er neun gewonnen, darunter bei Olympia 2016 in Rio. In Berlin war er schon zum dritten Mal erfolgreich.

Nur der Weltrekord stand noch auf Kipchoges Liste der unerledigten Dinge, bis zu diesem Sonntagvormittag in Berlin. "Ich habe in den letzten vier Monaten nur mit dem Zweck trainiert, diesen Rekord zu brechen" sagte er.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2018
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