Bericht zum Doping in Deutschland:Wer hat wie viel gewusst?

Heidi Schüller

Weitspringerin Heidi Schüller bei Olympia 1972. Gegen Thomas Bach erhebt sie schwere Vorwürfe.

(Foto: dpa)

Der Bericht zum Doping in Westdeutschland wirft viele Fragen auf - und beantwortet viele davon mit Platzhaltern wie "N.N." Namen werden kaum genannt. Ehemalige Sportler üben Kritik an DOSB-Präsident Thomas Bach.

Die Kolbe-Spritze sei auch ihm angeboten worden, sagt der ehemalige 800-Meter-Läufer Willi Wülbeck. Doch er habe abgelehnt. Auch Edwin Klein, der bei Olympia 1972 und 1976 im Hammerwurffinale stand, äußerte sich im heute-journal des ZDF zu seiner sportliche Vergangenheit. Der umstrittene und mittlerweile verstorbene Arzt Joseph Keul habe ihm ausrichten lassen: "Gegen die Einnahme von Antibiotika sei nichts einzuwenden."

Die zweimalige Hochsprung-Olympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth sagte: "Ich habe nie sowas genommen, mir hat auch niemand solche Mittel angeboten." Doch: "Natürlich wurde auch damals schon getuschelt." Die frühere Weitspringerin Heidi Schüller wiederum sagt in einem Interview mit der tz: In ihrer aktiven Zeit sei Doping vor allem in den Leichtathletik-Wurfdisziplinen alltäglich gewesen. "Jeder konnte es im Kraftraum sehen. Anabolika wurden genommen, die übrigens auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurden." Thomas Bach, Präsident des Deutsche Olympische Sportbundes und in den Siebzigern Florettkämpfer, dagegen beteuert: "In Fechterkreisen war das Thema Doping kein Thema."

Nach den Enthüllungen über weitreichende Dopingpraktiken in der Bundesrepublik stellen sich nun viele Fragen: Wer hat damals was gewusst? Wer hat womöglich sogar mitgemacht? Und: Wie geht es jetzt weiter? Welche Lehren werden aus der Studie zum "Doping in Deutschland seit 1950" gezogen?

Zahlreiche Politiker und der Deutsche Leichtathletik-Verband fordern ein Anti-Doping-Gesetz, in wenigen Wochen soll eine Sondersitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages stattfinden. Und auch der Deutsche Olympische Sportbund hat bereits Maßnahmen ergriffen. "Wir haben eine unabhängige Kommission eingesetzt", sagte Thomas Bach im ZDF. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Steiner soll den Bericht der Berliner Humboldt-Universität evaluieren und dem DOSB Empfehlungen aussprechen.

Schwere Vorwürfe gegen Bach

Die ehemalige Leichtathletik Heidi Schüller erhebt dagegen schwere Vorwürfe gegen den DOSB-Präsidenten. "Thomas Bach muss mehr gewusst haben, als er jetzt zugibt. Er kann doch auch lesen", sagte Schüller in der tz. "Aber wenn man IOC-Präsident werden will, dann schweigt man besser."

Auch Ines Geipel, ehemalige DDR-Leistungssportlerin und Vorsitzende des Dopingopfer Hilfevereins DOH, ist noch nicht zufrieden. "Wenn so viele Leute involviert waren, stellt sich die Frage: Um welche Sportler und Funktionäre handelt es sich?", gab die Buchautorin zu bedenken und hinterfragte auch die Rolle des IOC-Präsidentschaftskandidaten Bach: "Inwieweit ist zum Beispiel auch Thomas Bach involviert? Wenn keine Namen genannt werden, bleibt alles anonym."

Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, kritisierte im Gespräch mit hr-info den am Montag veröffentlichten Bericht, der nur eine Zusammenfassung der Doping-Studie darstellt und Lücken enthält. Die Minimalversion der Studie, so SPD-Politikerin Freitag, sei ein Bericht, der "von Auslassungen und Platzhaltern wie N.N. dominiert" werde. "Vermutlich interessante Namen" seien geschwärzt worden, allerdings habe die Politik ein Anrecht darauf, mehr zu erfahren, "auch um die richtigen Lehren für die Zukunft daraus zu ziehen".

Der Aussage, dass datenschutzrechtliche Gründe für die Auslassung von Namen angeführt werden, hält Freitag entgegen: "Diese Argumentation hat man sich ja auch nicht bei der Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen zu eigen gemacht." Die SPD-Politikerin fordert, dass "in einem Rechtsstaat gleiche Maßstäbe angesetzt werden müssen".

Auch der Vorstand der Nationalen Anti Doping Agentur (Nada), Lars Mortsiefer, wünscht sich die Namensnennung der beteiligten Ärzte und Betreuer. "Um ein Gesamtbild zu zeichnen, muss ich sicherlich auch die gesamte Möglichkeit haben, alles zu bewerten" sagte er in Stuttgart am Rande des Betrugsprozesses gegen Radprofi Stefan Schumacher. Er schränkte aber ein: "Das ist eine historische Aufarbeitung, deshalb muss man sich das genau anschauen, was man machen kann und machen darf, rechtlich."

Den früheren 200-Meter-Europameister Manfred Ommer, der 1977 Doping einräumte, überrascht das systematische Doping, das die Studie belegt, nicht. "Im Moment ist ja noch vieles Spekulation. Aber sollte das Innenministerium den kompletten Bericht wirklich freigeben, dann wird die Bombe sicherlich erst richtig platzen."

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