Süddeutsche Zeitung

Benzema bei Real Madrid:Ab jetzt Hauptdarsteller

Im Rückspiel bei Manchester City ruhen Reals Hoffnungen auf Stürmer Karim Benzema. Seit dem Abgang von Cristiano Ronaldo ist er nicht mehr nur der Luxuskomparse.

Von Javier Cáceres

Am Donnerstag enthüllte Pep Guardiola, Trainer bei Manchester City, dass er ein eigenes Kriterium für die Erstellung einer Liste der besten Spieler der Welt hat. Seit seiner Zeit als Coach des FC Barcelona, die 2012 endete, führe er eine Liste derer, die er mit dem besten Spieler der Welt vergleichen sollte, mit Lionel Messi. Karim Benzema, der am Freitagabend als Aushilfskapitän von Real Madrid bei Manchester City im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League antreten wird, sei einer von ihnen, sagte Guardiola. Einer von circa 20. Wenn man so will, war es das höchstmögliche Lob, das Guardiola aussprechen konnte. Und falls jemand an der Wertschätzung Guardiolas zweifeln sollte, schob er auch dies hinterher: "Er ist ein außergewöhnlicher, fantastischer Spieler."

Der Chor derer, die Benzema in diesen Tagen mit Lob überhäufen wie noch nie, schwoll damit noch einmal an. Sein größter Mentor, Real-Präsident Florentino Pérez, war nicht einmal eine Solostimme, als er für Benzema den Ballon d'Or forderte, die Trophäe für den besten Spieler der Saison. "Ich habe keinen besseren Spieler gesehen, weder in dieser noch in der vergangenen Saison", erklärte der Real-Boss. Und es liegt beileibe auch nicht nur an der Abwesenheit des gesperrten Verteidigers Sergio Ramos, dass die kargen Hoffnungen der Madrilenen, das 1:2 aus dem Hinspiel noch umzudrehen, vor allem auf den Schultern Benzemas lasten. Noch nie hat Real Madrid in der Champions League eine Heimniederlage wettmachen können.

Aber: Seit Cristiano Ronaldo, der über Jahre hinweg der Matchwinner Real Madrids schlechthin war, vor zwei Spielzeiten zu Juventus Turin wechselte, hat sich Benzema von einem Luxuskomparsen zu einem Hauptdarsteller gewandelt. Ursprünglich war diese Rolle dem 100-Millionen-Euro-Einkauf Eden Hazard zugedacht, der Belgier war zu Beginn dieser Saison vom FC Chelsea in die spanische Hauptstadt gewechselt. Doch am Ende war es Benzema, der gemeinsam mit Mittelfeldmann Casemiro und Sergio Ramos für den 34. Meistertitel der Madrilenen bürgte.

Zum ersten Mal in seiner Karriere hat Benzema zwei Spielzeiten nacheinander mehr als 20 Tore erzielt. In dieser Saison kam er auf 21, nur der Kapitän des FC Barcelona, Lionel Messi, war mit für ihn eher mäßigen 25 Treffern erfolgreicher. Mittlerweile ist Benzema mit 248 Toren fünftbester Schütze in der Geschichte von Real Madrid, hinter Ronaldo (450), Raúl (323), Alfredo Di Stéfano (308) und Carlos Santillana (290). Das verweist einerseits darauf, dass Benzema nun auch schon seit 2009 bei Real spielt; der 32 Jahre alte Franzose kam seinerzeit aus Lyon. Andererseits ist das aber auch deshalb eine bemerkenswerte Zahl, weil er sich von anderen Mittelstürmern unterscheidet: Er ist nicht davon besessen, den Ball über die Linie zu drücken.

"Ich bin ein Neuner mit der Seele eines Zehners", sagt er, also ein Mittelstürmer mit dem Herzen eines Spielmachers. Dass er das sagte, klang nach Katharsis. So, als habe er seine Persönlichkeit endlich definiert. Als ob er die ehrabschneidende Stigmatisierung durch seinen früheren Trainer José Mourinho endlich überwunden habe. "Wenn ich keinen Hund habe, muss ich eben mit einer Katze jagen gehen ...", hatte der Portugiese über Benzema gesagt, als er noch Real trainierte. Und damit das Bild des Franzosen entscheidend geprägt.

Benzema hat eine neue Dimension erreicht

Auch wenn er nie so in der Kritik stand wie unter dem Portugiesen - im Verein wurde Benzema lange als ein Spieler angesehen, auf den man sich nicht verlassen kann. Zwar erkannten alle an, dass er über "eine sehr seltene Palette" verfügt, wie es in diesen Tagen Sidney Govou, Benzemas früherer Sturmpartner bei Olympique Lyon, in der französischen Zeitung L'Équipe ausdrückte. Aber das künstlerische Wesen Benzemas war vielen suspekt.

Denn: So wie niemand je einzuschätzen wusste, was bei Benzema jene Motivationsschübe auslöst, die ihn zu einem brillanten Angreifer machen, konnte keiner die Faktoren erklären, die ihn unvermittelt wieder abtauchen ließen. Dass er selbst sich mitunter über das eigene Schaffen in kryptischen Worten äußerte, vervollkommnete das Image eines Spielers, der mehr als andere von den Musen geküsst werden will. Oder muss. "Ich spiele für die, die andere Dinge sehen wollen", orakelte er einmal, und was das bedeuten kann, konnte man in dieser Saison zum Beispiel bei einem Spiel gegen Espanyol Barcelona sehen, als er dem Kollegen Casemiro den Ball per Hacke auflegte, wie es nur Künstler tun.

Benzema scheint nun ein anderes Level der Zuverlässigkeit erreicht zu haben, in der vergangenen Spielzeit bürgte er für ein Drittel aller Real-Treffer. Ob das Trainer Zinédine Zidane zuzuschreiben ist, der so viele Dinge mit Benzema teilt? Den französischen Pass, die algerischen Ahnen, das Leben in den Banlieues, und der wohl deshalb einen so guten Draht zu seinem Stürmer hat, dass er in Madrid als Benzemas älterer Bruder durchgeht? Wer weiß. Gewiss ist dies: Benzema hat eine neue Dimension erreicht, selbst das Bild, das Mourinho zeichnete, hat sich ins Positive verkehrt.

Ja, schrieb jüngst der Argentinier Jorge Valdano, einst Weltmeister und nun Fußballdeuter: Benzema sei eine Katze - "aber eine Angorakatze".

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SZ vom 07.08.2020/chge
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