Süddeutsche Zeitung

Karim Benzema:Schnapsidee eines Verstoßenen

  • Der Real-Madrid-Stürmer Karima Benzema ist seit einigen Jahren kein Nationalspieler mehr, nachdem er in Frankreich in Ungnade fiel.
  • Jetzt erwägt er, für Algerien aufzulaufen. Er besitzt auch die algerische Staatsbürgerschaft.
  • Sein Problem ist aber: Länderwechsel sind schwierig im Fußball.

Von Jean-Marie Magro

Momentan läuft es für Karim Benzema eigentlich blendend. In 14 Ligaspielen dieser Saison erzielte der Mittelstürmer von Real Madrid zehn Tore und legte vier auf. Benzema befindet sich, das schreiben die - aus seiner Sicht - sehr kritischen französischen Kommentatoren, "in der Form seines Lebens". Vergangene Woche, beim 2:2 im Champions-League-Topspiel gegen Paris Saint-Germain, traf Benzema zweimal für Real. Der französische TV-Experte Vikash Dhorasoo beschrieb die Leistung seines Landsmanns als "fabelhaft", bei jeder Ballberührung habe Benzema "etwas bewirkt, das den Unterschied ausgemacht hat".

Kein Zweifel, wenn es nur um Fußball ginge, hätte dieser Karim Benzema einen Stammplatz in fast jeder Elf dieser Welt - gewiss auch in der französischen Nationalmannschaft. Benzema ist der aktuell erfolgreichste französische Klubfußballer. Viermal gewann er mit Real Madrid die Champions League, er schoss 64 Tore in Europas Königsklasse und hat seit mehr als zehn Jahren seinen Stammplatz verteidigt - egal, ob der Trainer Mourinho, Ancelotti oder Zidane hieß und auch dann, wenn sich Real mit millionenschweren Transfers verstärkte: Benzema spielte.

Trotzdem wird er schon lange nicht mehr für die französische Nationalelf, die bei der EM 2020 auf Deutschland trifft, nominiert. Als sein letztes Spiel steht ein 4:0 gegen Armenien am 8. Oktober 2015 in den Akten, Benzema schoss zwei Tore und bereitete eines vor. Es dürfte kein weiteres Länderspiel folgen, denn an dieser Stelle kommt sein zweites Talent ins Spiel: die Gabe, sich in Schwierigkeiten zu bringen.

"Das Abenteuer Frankreich ist für ihn beendet"

Der französische Verbandschef Noël Le Graët sagte zuletzt über Benzema: "Karim ist ein sehr guter Spieler, niemals habe ich an seinen Qualitäten gezweifelt." Und trotzdem, schob Le Graët nach, sei "das Abenteuer Frankreich für ihn beendet".

Dieser Satz beweist: Benzema kann noch so gut spielen, Frankreich wird nie wieder nach ihm rufen. Denn Nationaltrainer Didier Deschamps wählt seine Spieler nicht alleine nach ihrer Klasse aus. Oberstes Gebot für "DD" ist Folgsamkeit. Und Benzema war alles, nur nie folgsam. 2015 wurde er ausgeschlossen, weil er den "Geist der Mannschaft" störe, wie es hieß. Bekannte von Benzema besaßen ein Sexvideo des Teamkollegen Mathieu Valbuena und drohten, es zu veröffentlichen. Benzema soll dann, so Valbuenas Vorwurf, Druck ausgeübt haben, damit Valbuena ein Schweigegeld von 150 000 Euro zahle. Der Beschuldigte erzielte Teilerfolge vor Gericht, doch die Sache ist noch immer nicht ausgestanden und wird noch verhandelt.

Als Deschamps den Stürmer auch für die EM 2016, die in Frankreich stattfand, nicht berücksichtigte, eskalierte der Streit. Benzema warf dem Trainer vor, er habe sich dem Druck eines "rassistischen Teils" von Frankreich gebeugt. Deschamps gab seither in der Sturmmitte dem vielleicht nicht ganz so talentierten, aber aufopferungsvoll kämpfenden Olivier Giroud den Vorzug, selbst wenn dieser beim FC Chelsea nur auf der Bank saß. Das Thema Benzema ist durch. Frankreich kam 2016 ins EM-Finale, wurde 2018 Weltmeister - ohne ihn. Wer braucht Benzema, wenn für Frankreich Speedangreifer wie Mbappé und Griezmann wirbeln?

Doch dann kam eben diese Wortmeldung von Verbandsboss Le Graët - und die Geschichte bekam eine neue Wendung. "Wenn Sie denken, dass ich am Ende bin", schrieb Benzema Le Gräet auf Twitter direkt an, "dann lassen Sie mich doch für ein anderes Land spielen, für das ich auflaufen darf, und wir werden sehen." Hintergrund dieses Vorstoßes: Benzema besitzt neben der französischen die algerische Staatsbürgerschaft. Zudem dürfte er, da er schon mehrere Jahre in Madrid lebt, einen Antrag auf die spanische stellen.

Das Problem ist, dass Länderwechsel bei Fußballnationalteams sehr schwierig sind. Möglich ist er nur beim Übergang von Jugendnationalmannschaften zu den A-Teams der Erwachsenen - und theoretisch auch noch, solange ein Spieler nur Freundschafts-, aber noch keine Pflichtspiele für ein Land bestritten hat. Die einzige Option für Benzema wäre der Verlust der französischen Staatsangehörigkeit. Insofern ist seine Idee mehr Hirngespinst als durchdacht - und bestätigt das Bild, das die Mehrheit der Franzosen von ihm hat.

Im Fußball wird oft von "goldenen Generationen" gesprochen, zum Beispiel die spanische "generación de oro" um Xavi, Iniesta und Xabi Alonso. In deren Blütezeit, mit einem WM- und zwei EM-Titeln von 2008 bis 2012, sprachen die Franzosen mit Blick aufs eigene Nationalteam von der "génération gâchis" - einer Generation des vergeudeten Talents. Dabei waren die Perspektiven vielversprechend, als die 1998er-Weltmeister um Zidane, Thuram und Co. in Rente gingen. Neben Benzema wurden begehrte Talente früh für Frankreich berufen, Franck Ribéry, Samir Nasri oder Hatem Ben Arfa, Künstler am Ball. Sie galten als noch talentierter als die "Generation Zidane". Sie lösten ihr Versprechen nie ein.

Stattdessen blieben aus dieser Zeit vornehmlich Skandale hängen: das Debakel bei der WM 2010 in Südafrika, als die Spieler das Training sabotierten und streikten. Die Prostitutionsaffäre mit einer Minderjährigen, in die Ribéry und Benzema verwickelt waren. Und eben die Valbuena-Videoaffäre. In ihren Vereinen waren diese Spieler mehr oder weniger erfolgreich. Doch in ihrem Heimatland gelten sie als wenig beliebt. Das Geld sei ihnen zu Kopf gestiegen, sagen viele Franzosen. Benzema etwa kaufte sich mal einen mit Diamanten bestückten Fußball für 250 000 Dollar. Auch Ribéry, der in München für die Fans "der Kaiser" war, wird zu Hause kritisch gesehen - man mokiert sich gerne über seine Grammatik. Und Ben Arfa, der mit 14 schon für Frankreichs U 17 spielte, fällt vor allem dadurch auf, dass er von seinem Ex-Klub Paris Millionenprämien einklagen will.

Von Benzema hatte sich die große Fußballnation besonders viel erhofft. Er erbte sogar die Nummer 10 von seinem Idol und Trainer Zidane. Er selbst hat seine Länderspielvita noch nicht abgeschlossen: "Nur ich alleine bestimme, wann meine internationale Karriere zu Ende ist."

Große Spieler bestimmen selbst, wann Schluss ist? Die Nummer 10 der französischen Nationalelf trägt inzwischen übrigens Kylian Mbappé.

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Quelle:
SZ vom 05.12.2019/jki
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