Süddeutsche Zeitung

Benefizspiel für Olaf Bodden:Das tapfere Lächeln des Hünen

3500 Zuschauer, Live-Übertragung im Fernsehen und viele Ex-Profis auf dem Platz: Das Benefizspiel zugunsten von Olaf Bodden zeigt, dass der Fußball seine Akteure nicht vergisst. Der frühere 1860-Stürmer leidet am Chronischen Erschöpfungssyndrom - und kämpft im Grünwalder Stadion mit den Tränen.

Aus dem Stadion von Gerald Kleffmann

Fast eine Stunde ist Olaf Bodden nun schon in der Umkleidekabine der Münchner "Allstars", ein Spieler nach dem anderen spricht mit ihm dort drinnen, wo früher so viele stolze Löwenherzen schlugen, ehe es hinausging in den Kampf, auf den Rasen des Stadions an der Grünwalder Straße.

Es ist klar, dass etwas Besonderes vor sich geht, hier und jetzt in Giesing. Viele der Besucher umarmen einander. Aber als sie aus der Kabine kommen, wo Bodden liegt, blicken die meisten ernst. Reiner Calmund, Leverkusens frühere Manager, hat Tränen in den Augen.

Um kurz nach 18 Uhr taucht er auf, der Mann, um den es geht. Bodden, einst ein kräftiger Hüne, nunmehr ausgemergelt und fahl im Gesicht, versucht, tapfer zu lächeln. Man sieht ihm das an, als er auf einer fahrbaren Liege von Sanitätern weggeschoben wird, an früheren Weggefährten, Reportern, Helfern vorbei. Bodden ist bewegt. Er hebt den Daumen.

Dann wird er, der frühere Stürmer des TSV 1860 München, der in den neunziger Jahren in 67 Erstligapartien 25 Tore erzielt hatte, hinausbefördert. Ja, es ist ein trauriger Anlass. Thomas Häßler, Rudi Völler, Herbert Waas, Horst Heldt, Peter Pacult, Werner Lorant, sie alle, die jeder für sich ein Stück zur speziellen Löwenhistorie beigetragen haben, sie alle sind wegen ihm hier an diesem Sonntagabend im nasskalten München.

Das Benefizspiel zwischen früheren Sechzigern und Bundesligakickern soll möglichst viel Geld einbringen, um Bodden zu unterstützen. Seit vielen Jahren leidet er an einem Chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS). Seitdem er ein kaum geprüftes Medikament eingenommen hat, in der Hoffnung, es könne ihm helfen, geht es ihm noch schlechter. Er erlitt einen "Crash", wie er auch kurz vor dem Anpfiff noch mal sagt. Deshalb richtet er nach allgemeinen Dankesworten auch einen ganz besonderen an eine "Freundin", die ihn aufgenommen hat in ihrer Wohnung.

Zwei Minuten spricht er, sagt, er habe gerade ein flaues, aber auch tolles Gefühl, Jörg Dahlmann von Kabel Eins interviewt ihn, das Spiel wird im Fernsehen übertragen. Der Sender übernimmt alle Kosten. Die Branche rückt zusammen für den Patienten, dem die Löwenfans ein riesiges Banner präsentieren mit dem Schriftzug: "Olaf - kämpf - wie ein Löwe". Jeder der 3500 Zuschauer und Besucher fühlt mit.

Was aber nicht heißt, dass alle nur mit Trauermiene umherlaufen. Allein die Minuten vor dem Spiel, als sich alle Protagonisten begegnen, sind durchaus eine Gaudi. So mancher kriegt einen Spruch ab. "Was? Du schreibst immer noch über die Löwen?", frotzelt Horst Heldt, heute Sportvorstand in Schalke, früher Dribbler bei 1860, einen Journalisten an, der in der Tat seit ungefähr 1882 über diesen Verein berichtet. "Ah, der beste Stadionsprecher aller Zeiten", lobt Manni Schwabl, Stefan Schneider grinst.

"Du konntest früher doch schon nicht spielen" - diesen knackigen Satz bekommt Matthias Imhof von Lorant ab, dem immer noch herrlich bärbeißigen Ex-Trainerkauz. Imhof, Mitglied der Aufstiegshelden von 1994, lächelt. Er, heute Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, hat den Abend mit 1860-Präsident Gerhard Mayrhofer organisiert. Alles läuft nach Plan. Nur fängt es plötzlich zu schneien an. "Bei Bayern würde die Sonne scheinen", sagt Peter Pacult passend. Wie wahr: Das Glück ist in der Löwenwelt kein so treuer Begleiter, was aber auch irgendwie den Mythos Sechzig ausmacht.

Bodden schaut sich das teils ganz ansehnliche Ballgeschiebe von der Seitenlinie aus an, er liegt unter einer 1860-Bettdecke. Die ersten Tore fallen. Olaf Marschall, Meister mit Kaiserslautern, trifft für die Liga-Allstars, das 1:1 vollbringt Bernhard Winkler, der nicht so wie einige andere ein Wohlstandsbauch vor sich her trägt. Zwischendurch gibt es Interviews. Dahlmann fragt Häßler, warum Lorant, der Sechzig coacht, ihn so bearbeitet habe. "Er fragte, warum wir nicht öfter aufs Tor schießen", erzählt Häßler nach seiner frühen Auswechslung. "Aber wenn wir schießen, fliegt die Kniescheibe gleich hinterher."

Gelächter, dem Staunen folgt. Auf die Frage, ob er zu den Löwen kommen würde, in irgendeiner Funktion, sagt Häßler fröhlich: "Wenn es eine Möglichkeit geben würde, sehr gerne." Und: "Wir können über alles reden." Hoppla, da dürfte ab sofort einer im Gespräch sein. Der Zweitligist, nur Elfter zurzeit, will sich ja neu und besser aufstellen, um endlich den Aufstieg mal zu schaffen. Seit 2004 wartet die weißblaue Gemeinde auf die Erlösung.

Munter geht's weiter, 2:1 Marschall, 2:2 Winkler, Lorant fuchtelt, seine schlohweißen Haare stehen prächtig zu Berge. Dann ein Schreck, Pacult, der Arme, verletzt sich bei einer Grätsche, die Diagnose später: Schienbeinprellung und Faserriss. Das 3:2 gelingt Franz Bleicher, einst Amateurspieler bei Sechzig, für die Liga-Auswahl, Michel Dinzey trifft zum 4:2-Endstand.

"Mir sind die Tränen gekommen", sagt Bodden, und dann zeigt er, dass er noch Mut in sich hat und für einen Spruch gut ist. "Werner hat die Mannschaft nicht richtig eingestellt, darüber werden wir noch reden." Der Abend, sein Abend, wird abgerundet mit einem Lied, das sich Bodden gewünscht hat: "You'll never walk alone!" Kein Motto passte besser als dieses heute.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2013/fued
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