Belgien - Ungarn (21 Uhr):Launisch wie das Wetter

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Noch nicht sein Turnier: Kevin de Bruyne.

(Foto: imago)

Kevin De Bruyne spielt nicht am Limit. Wollen die Roten Teufel wirklich um den Titel mitreden, muss sich der Ex-Wolfsburger steigern. Immerhin, er lächelt wieder.

Von Frank Hellmann, Toulouse

Es ist wirklich unberechenbar, dieses Wetter in den mittleren Pyrenäen. Wer in Toulouse, anderthalb Autostunden vom Mittelmeer und vom Atlantik entfernt, am Samstagmorgen aus seinem Hotelzimmer schaute, blickte in graue Wolken, die über der Garonne gerade den nächsten Regenschauer ausschütteten. Bereits zur Mittagzeit spannte sich weitgehend blauer Himmel über das Stade Municipal, das direkt auf einer Flussinsel gelegen ist.

Dass genau hier die belgische Nationalmannschaft nun am Sonntag (21 Uhr) ihr Achtelfinale gegen das ungarische Überraschungsteam austrägt, passt ganz gut: Die meteorologischen Kapriolen sind ja ungefähr deckungsgleich mit den launigen Leistungen der "Red Devils", der Roten Teufel. Gestern zu Tode betrübt, morgen himmelhochjauchzend. Eben noch Regenwetter, dann bald Sonnenschein.

"Die Chance unseres Lebens"

Als Nationaltrainer Marc Wilmots am Samstagnachmittag im fensterlosen Presseraum zum obligatorischen Verhör erschien, verbreitete der 47-Jährige keinerlei Trübsal. "Wir werden zu den fünf, sechs besten Nationen gezählt, also sind wir auch der Favorit." Alle wissen, dass sich "die Chance unseres Lebens" (Torwart Thibaut Courtois) bietet. Ein Erfolg gegen die Magyaren würde die Tür weit öffnen, denn die eigentlichen Großmächte wie Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien und England sammeln sich allesamt in der anderen Hälfte des Tableaus.

Dass der Weltranglistenzweite seinem eigenen hohen Anspruch so wenig gerecht wird, hat auch mit den Formschwankungen seiner vermeintlichen Weltklassespieler zu tun. Bestes Beispiel: Kevin De Bruyne. Der Rotschopf von Manchester City, der aus dem vergangenen Sommer ein 75-Millionen-Preisschild mit sich herumträgt, hat bisher ein Turnier mit allen Facetten gespielt. Abgetaucht gegen Italien (0:2), aufgeblüht gegen Irland (3:0) und - ja was eigentlich? - gegen Schweden (1:0).

De Bruynes schwere Saison: "Es hat sich in seinem Leben viel verändert"

Der 24-Jährige schoss häufig aufs Tor, gab erstaunliche Zuspiele, um dann wieder beim Dribbling hängenzubleiben oder den Ball ins Niemandsland zu passen. Nach der Vorrunde sind gelistet: null Tore, eine Vorlage. "Gegen Italien war er nicht so gut, gegen Irland war es besser, gegen Schweden kam der letzte Pass nicht, aber er kann ein Schlüsselspieler für uns werden", sagte Wilmots am Samstag. Man müsse immer berücksichtigen, dass es sich auch bei bisweilen herausragenden Fußballern "immer nur um Menschen handelt".

Wilmots hatte schon vor Turnierstart darauf hingewiesen, dass er bei seiner Nummer sieben ein bisschen Nachsicht walten lasse. "Kevin hat eine schwere Saison hinter sich. Es hat sich in seinem Leben viel verändert." Einerseits eine Anspielung darauf, dass De Bruyne Anfang der Rückrunde wegen einer Knieverletzung mehrere Wochen ausfiel, andererseits ein Hinweis, dass der Fußballer jetzt auch als Vater Verantwortung trägt.

Wie sehr den feinfühligen Filigrantechniker diese Umstände beschäftigen, war kürzlich beim Grillabend im Teamquartier in Bordeaux zu bemerken, als ihn Freundin Michele Lacroix und Söhnchen Mason Milian besuchten. "Es war wirklich schön", sagte er tags darauf, "schließlich sind wir alle schon lange ohne unseren Familien unterwegs." Trotzdem will er natürlich nicht vorzeitig aus dem Turnier scheiden; wenn er am kommenden Dienstag seinen 25. Geburtstag feiert, dann sollen die Belgier bitte auch weiter im "Le Haillan", dem Trainingscamp von Girondins Bordeaux üben.

Die Kritik ficht ihn nicht an: "Ich weiß, was ich kann"

Die Kritik ist an ihm weitgehend abgeperlt. "Damit kann ich leben", entgegnete De Bruyne leicht genervt. Er zweifelt nicht an sich. "Ich weiß, was ich kann." Hat er nicht gegen die Skandinavier kurz vor Schluss auf der eigenen Torlinie gerettet? Und ist doch nicht schlecht, wenn noch Luft nach oben ist - jetzt, wo es mit der K.-o.-Runde erst richtig ernst wird. Und pünktlich dazu berichtete Wilmots am Samstag von gestiegener Laune bei seinem Dampfmacher. "Er hat sein Lachen wiedergefunden. Der Fußball macht ihm wieder Spaß."

Deutschlands aktueller Fußballer des Jahres - der Nachfolger wird erst nach der EM gewählt - vereint schließlich alle Anlagen, die Spaß machen: ungeheure Dynamik, schneller Antritt, präziser Schuss. Anderthalb Jahre haben ihm beim VfL Wolfsburg gereicht, um dem Werksverein zum nächsten Entwicklungsschritt zu verhelfen: Vor allem seinem Torhunger und Tatendrang war es zu verdanken, dass die Niedersachsen 2015 Pokalsieger und Vizemeister wurden.

Solche Dekoration fehlt dem 44-fachen Auswahlspieler in der Nationalmannschaft noch. Und gerade deshalb sollte der Prinz-Harry-Verschnitt gegen den Eindruck vorgehen: Da ginge manchmal noch mehr. Wenn er vergangenen Mittwoch vorwurfsvoll die Hände hob oder den Kopf schüttelte - dann war nicht immer sofort klar, ob sich der Spieler über sich selbst oder seine Kollegen ärgerte. Aber vielleicht wechseln die Stimmungslagen beim impulsiven Instinktfußballer ja so rasch wie dieser Tage das Wetter in Toulouse.

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