Behindertensport:Silber für den Spätberufenen

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Die Kraft aus den Bauchmuskeln: Daniel Scheil, einziger Bayer bei der Para-WM, stößt seine Kugel in London 10,36 Meter weit. (Foto: Axel Kohring/imago)

Der Weidener Kugelstoßer Daniel Scheil gewinnt in London seine zweite WM-Medaille. Der Paralympics-Sieger hadert kurz, blickt aber schon auf ein neues Ziel.

Von Johannes Kirchmeier

Manchmal braucht es nach einer schweren Diagnose einen kleinen Stups, um seine Bestimmung zu finden oder gar um richtig zurück ins Leben zu finden. So war es beim Kugelstoßer Daniel Scheil. 2008 marschierte er zum Bäcker, erlitt dort einen Herzinfarkt. Weil sein Gehirn mit zu wenig Sauerstoff versorgt wurde, entwickelten sich Folge-Erkrankungen. "Ich bin von Hundert auf Null gerauscht", sagt er. Zwei Jahre später wurde die Muskelerkrankung Spastische Tetraperese diagnostiziert. Scheil sitzt seitdem im Rollstuhl. "Ich bekam Depressionen", berichtet er. "Mir ist zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen."

Birgit Kober weckt Scheils Interesse an der Leichtathletik

Bis zum Stups: Denn dass er am Sonntag in London seine zweite Medaille bei einer Leichtathletik-Weltmeisterschaft gewonnen hat, hat mit dem Stups zu tun. Der war für Scheil, der für den BVS Weiden in der Oberpfalz startet und als einziger Bayer dieser Tage in London antritt, ein Fernsehbeitrag über Birgit Kober. Die Münchner Speerwerferin und Kugelstoßerin ist mittlerweile Scheils Kollegin in der Nationalmannschaft. Von ihr hat er sich erklären lassen, wie er den Weg in die Leichtathletik schafft. Sportbegeistert war Scheil ja schon zuvor, er durchlief als junger Fußballer die Jugend-Mannschaften der DDR. Wie wichtig die Chance im Sport damals für ihn war, beschrieb er in London: "Einige haben geglaubt, dass es nie wieder etwas wird mit mir." Seit dem Gespräch mit Kober trainiert der Erwerbsunfähigkeitsrentner wie ein Wilder, an bis zu sechs Tagen in der Woche jeweils sechs Stunden.

Scheil ist durch seine Erkrankung ja zwangsläufig ein Spätberufener - allerdings einer, der sich mit seinem Eifer schnell in der Weltspitze etabliert hat. Im Alter von 42 Jahren bestritt er 2015 seine erste WM in Doha und gewann gleich Bronze, nun als 44-Jähriger bei der zweiten WM eben Silber. "Ich habe heute Gold verloren", sagte der bisweilen etwas selbstkritische Scheil anschließend: "Ich war einfach zu schlecht, ich kann es besser und das werde ich bald wieder zeigen." Mit einer Weite von 10,36 Metern reihte er sich in der Klasse F33, in der Athleten mit spastischen Lähmungen und Bewegungsstörungen antreten, hinter dem Algerier Kamel Kardjena ein, der auf 10,43 Meter stieß. Bei den Paralympics in Rio 2016 gestaltete sich das Ergebnis noch andersherum, zudem stieß Scheil auch schon weiter als elf Meter.

Nun muss er mindestens bis 2019 auf WM-Gold im Kugelstoßen warten. Das störte Scheil wohl nach dem Wettkampf, der jedoch auch sagte: "Es ist echt schön gewesen, vor allem ist für eine Vormittagsveranstaltung echt viel los, ein super Feeling." Kurz vor der WM war er noch krank und wusste gar nicht, ob und in welchem Zustand er starten kann. Im Grunde sei er daher schon zufrieden, fasste Scheil dann später zusammen. Er erneuerte am Sonntag auch seine Ziele, blickte schon einmal bis zu den Paralympics 2020 in Tokio nach vorne: "Vielleicht reicht es dort zu Gold."

Unterstützung bekommt er bis dahin nicht nur von Kober, sondern sicher auch von einem anderen großen Sportler seines Fachs. Scheil pflegt auch enge Beziehungen zum Kugelstoß-Weltmeister 2011 und 2013 David Storl, der wie Scheil ursprünglich aus der Nähe von Chemnitz stammt. Nur hat er dessen Handynummer nicht mehr: "Ich habe ein neues Handy. Und beim Übertragen der Nummern ist mir auch die von David verloren gegangen", sagte Scheil vor dem Wettkampf und fügte hinzu: "Aber ich kriege die schon wieder." Möglicherweise hat ihm Storl ja schon am Sonntag gratuliert. So wie bei den Paralympics, als Storl seine Glückwünsche per WhatsApp übermittelte. Anders als Storl stößt Scheil jedoch mit der Kraft aus den Bauchmuskeln. Die Armkraft ist ihm nicht so wichtig. Scheil lehnt sich bei seinen Stößen weit zurück, spannt den Oberkörper an, bevor er hochschnellt wie bei einem Sit-Up und die Kugel ins Feld wuchtet.

In Gedanken ist er beim tödlich verunglückten Konkurrenten

Den Wettkampf überschattete ein Trainingsunfall aus der vergangenen Woche. Da kam der Kugelstoßer Abdullah Hayayei aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, ein langjähriger Konkurrent und Freund Scheils, ums Leben. Der fünffache Familienvater wurde von einem einstürzenden Diskuskäfig tödlich getroffen. "Er war in Gedanken dabei", sagte Scheil nach dem Wettbewerb.

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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