Beginn der Olympischen Spiele:Wenig Zuschauer, lange Schlangen

Die Olympischen Spiele 2012 sind eröffnet - mit zwei Fußballspielen im walisischen Cardiff. Die Züge haben Verspätung, vor dem Stadion werden Zuschauer behandelt, als wären sie Terroristen, viele verpassen den Anpfiff. Der Tag in Cardiff könnte ein Vorgeschmack darauf sein, was in London passieren wird.

Jürgen Schmieder, Cardiff

Es gibt diesen schönen Witz über die Einwohner Britanniens, der besagt, dass sie sich sofort anstellen würden, sobald sie irgendwo eine Schlange erblicken. Der Witz ist lustig, so wie jeder Witz lustig ist, wenn er wahr ist: Wenn dieser stets geduldige, gelassene und freundliche Brite warten muss, dann wartet er eben. Drängeln, Motzen oder gar Handgreiflichkeiten sind seine Sache nicht.

Beginn der Olympischen Spiele: Polizist vor Zuschauerschlange in Cardiff: "Einfach schlecht vorbereitet"

Polizist vor Zuschauerschlange in Cardiff: "Einfach schlecht vorbereitet"

(Foto: AP)

Am Donnerstag in Cardiff, bei den beiden Frauenfußballspielen zwischen Großbritannien und Neuseeland sowie zwischen Brasilien und Kamerun, da gibt es nicht nur eine Schlange, an der die Menschen anstehen dürfen, sondern gleich mehrere - von oben betrachtet muss das Millennium Stadium aussehen wie ein Krake mit mehr als 40 langen und dünnen Tentakeln.

Die Briten stehen wie immer gelassen und geduldig an, und weil sie eindeutig in der Überzahl sind, stellen sich die paar Neuseeländer, Brasilianer und Kameruner einfach dazu.

Die Schlangen werden immer länger, weil die Soldaten, Polizisten und Inspektoren penibel kontrollieren - schließlich ist der Chef der Organisationskomitees LOGOC, Sebastian Coe, zuvor vorbeigekommen und hat sie aufgefordert, "das Einmal-im-Leben-Ereignis zu genießen": Sie sehen in jede Tasche, dann fassen sie hinein und entfernen Flaschen und andere Gegenstände, sie diskutieren mit den Familien, die ein wenig Picknick machen wollen im Stadion und deshalb Wurst und Käse und Brot mitgebracht haben - auch das landet in den überdimensionalen Mülleimern.

"Die Menschen sind vor dem Spiel noch einkaufen gewesen", sagt einer der Kontrolleure, "außerdem sind sie nicht zwei Stunden vor dem Spiel gekommen, sondern erst 30 Minuten davor. Damit haben wir nicht gerechnet." Wohlgemerkt: Es ist wahrlich kein Ansturm der Massen, da wollten keine 74.500 Menschen ins Stadion wie sonst, sondern gerade einmal 24.549. Coe ist nicht dabei, er ist schon wieder in London. Dafür sitzt Sepp Blatter auf der Tribüne. Er hat nicht warten müssen, es sind aber auch keine Rücksäcke in seiner Nähe zu sehen.

"Wir werden die Menschen auffordern, künftig weniger mitzubringen und eher zu kommen", sagt der Ordner weiter. Es klingt schon arg naiv und hört sich ein wenig an wie die Aufforderung der Olympia-Organisatoren an die Bewohner Londons, doch während der Spiele zu Fuß zu gehen oder am besten gleich daheim zu bleiben.

"Bei Rugbyspielen in Cardiff geht das schneller und unproblematischer, da ist das Stadion aber voll", sagt Natalie Sawyer. Sie arbeitet für den britischen Sender Sky und ist Schlangestehen gewohnt. "Es ist eine Ausrede, wenn nun behauptet wird, dass die Besucher zu viele Sachen dabeihatten. Die Veranstaltung ist einfach schlecht vorbereitet", sagt sie.

Im Stadion wird das Essen knapp

Dass drinnen im Stadion das Spiel zwischen Großbritannien und Neuseeland, der erste Wettbewerb der Olympischen Spiele, bereits läuft, stört die geduldigen und gelassenen Briten zunächst einmal nicht. Wenn man warten muss, dann wartet man eben. "Wir sind rechtzeitig da, unser Spiel beginnt erst in ein paar Stunden", sagt ein Brasilianer und freut sich, als ihm ein Brite ein paar Wurstbrote überreicht, weil er sie nicht wegwerfen will.

Drinnen steht es noch 0:0. Großbritannien gewinnt die Partie am Ende durch einen Freistoßtreffer von Stephanie Houghton mit 1:0. Später siegt noch Brasilien gegen Kamerun mit 5:0. Abseits des Sports liefern die Partien einen ersten Eindruck dieser Spiele - und der ist doch bemerkenswert: Der Zug nach Cardiff ist deutlich verspätet, es gelingt den Organisatoren nicht, die wenigen Zuschauer rechtzeitig ins Stadion zu schleusen - dafür gibt es einen Berg weggeworfener Lebensmittel vor dem Stadion.

Im Stadion dagegen wird das Essen knapp, in einem Bereich gibt es gar nichts mehr. "Das tut uns sehr leid und wir hoffen, dass es nicht wieder passiert", sagt ein LOGOC-Sprecher später. Immerhin dürfen die Besucher das Stadion verlassen, um sich Essen zu kaufen - und sie dürfen es dann auch mit in die Arena nehmen. Der Austragungsort ist offiziell dazu da, die walisischen Fans an den Spielen teilhaben zu lassen.

In Wirklichkeit ist es aber auch die Gelegenheit, das mögliche Chaos schon einmal in dieser je nach Verspätung zwei bis drei Zugstunden von London entfernten Stadt zu testen. An London erinnern nur die freiwilligen Helfer in den lila-pinken Shirts, die zwar unglaublich freundlich sind, einen jedoch konsequent entweder in die falsche Richtung oder einfach zu einem anderen freundlichen Helfer schicken.

Nun haben die Organisatoren die Vorkommnisse am Freitag registriert. "Es tut uns leid", sagt Stadionmanager Gerry Toms zwar, er sagt aber auch: "Die Menschen müssen sich an die Hinweise halten und keine Taschen mitbringen." Er rechnet auch vor, dass vier Minuten nach Anpfiff alle Kontrollen abgeschlossen werden - dass die Menschen aber noch mehr als zehn Minuten brauchen, um ins Stadion und zu ihren Plätzen zu kommen, das verschweigt er lieber.

Am Freitag werden die Olympischen Spiele offiziell eröffnet. Dann werden an den Schlangen nicht nur gelassene Briten stehen, sondern vor allem Menschen aus Ländern, die nicht dafür bekannt sind, dass Geduld zu ihren Tugenden zählt. Diejenigen übrigens, die nach den Partien mit dem Zug zurück nach London fahren wollen, die sehen erst einmal: Ja, richtig, eine etwa 50 Meter lange Schlange vor dem Bahnhof.

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