Ski alpin auf der Streif:Gute Zeiten, schnelle Zeiten

Ski alpin auf der Streif: Anflug aufs Karriereende: Beat Feuz springt über den Hausberg dem Ziel auf der Streif entgegen - zum letzten Mal in seiner Laufbahn

Anflug aufs Karriereende: Beat Feuz springt über den Hausberg dem Ziel auf der Streif entgegen - zum letzten Mal in seiner Laufbahn

(Foto: Alexis Boichard/Getty Images)

Das Schwere leicht aussehen lassen: In Beat Feuz beendet einer der erfolgreichsten Abfahrer in Kitzbühel seine Karriere. Die Laufbahn des Schweizers bündelte alles, was die schwerste alpine Disziplin ausmacht: das Schöne und das Brutale.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Er sei "nicht besonders schlau", hat der große Liedermacher Neil Diamond einmal gesagt, sonst hätte er Biologie studiert und ein Mittel gegen Krebs erfunden. "Ich bin besser darin, Dinge zu fühlen, als sie zu verstehen", befand Diamond, und diese Gefühle verpackte er auf besonders schöne Weise in seinen Liedern. Ein außerordentlich schönes Destillat ist "Sweet Caroline", eine Liebeshymne über schöne Zeiten und eine noch schönere Zukunft, in den vergangenen Jahren in Sportarenen ein wenig arg strapaziert. Am Samstag am Hahnenkamm in Kitzbühel aber, da passte sie: Als der Schweizer Beat Feuz im Zielraum die Skier abschnallte, im österreichischen Alpin-Amphitheater, da trällerten sie fast alle ein Abschiedsständchen für den großen Rivalen: Oh, oh, oh / Good times never seemed so gooood!

Der Samstag auf der Streif war der Tag der kommenden und aktuellen Veteranen, wie fast immer in Kitzbühel. Es schneite, die Sicht war fürchterlich. Der Norweger Aleksander Aamodt Kilde gewann seine fünfte Abfahrt des Winters, obwohl er sich am Donnerstag im Training einen Handwurzelknochen gebrochen hatte und am Freitag fast ins Netz gekracht war. Zweiter wurde der Franzose Johan Clarey im zarten Alter von 42 Jahren und 13 Tagen. Geschichten gab es unzählige. Die zweifellos größte gehörte dann aber doch dem Fahrer, der sich am Start das Trikot mit der Nummer 217 übergestreift und dabei seinen gut gebauten Bauch getätschelt hatte. Es war eine letzte, schöne Geste der Jury: Feuz' 217. Rennen im Weltcup war sein letztes im Profibetrieb.

Ski alpin auf der Streif: Ein stilles Lächeln zum Abschied: Der Schweizer verabschiedet sich so, wie er ist: ohne Allüren.

Ein stilles Lächeln zum Abschied: Der Schweizer verabschiedet sich so, wie er ist: ohne Allüren.

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Beat Feuz ist, wie Neil Diamond, weder Biologe geworden, noch hat er ein Mittel gegen Krebs erforscht, jedenfalls noch nicht. Er war dafür auch sehr, sehr begabt darin, die Dinge zu fühlen, wobei das in Feuz Fall hieß, das Eis unter seinen rund zwei Meter langen Abfahrtsskiern zu erspüren, um dann am schnellsten eine Abfahrtspiste hinunterzurasen. Feuz gewann in der schwersten aller alpinen Prüfungen vor einem Jahr Olympiagold, 2017 wurde er Weltmeister, vier Mal sicherte er sich die Gesamtwertung im Weltcup; Letzteres schaffte sonst nur Franz Klammer. Er wirkt wie ein unlogischer Großmeister in dieser Disziplin, in der alles immer etwas entrückt wirkt, auf der Piste und daneben. Aber das täuscht.

Auf der Abfahrt gewinnen ja oft die, die gelassen sind, die wissen, wo sie mit dem Risiko tanzen müssen und wo nicht. Feuz hatte früh in seiner Karriere begriffen, dass es selten 100 Prozent braucht, um zu 100 Prozent erfolgreich zu sein, und so fuhr er dann auch meist. Der 35-Jährige sei "einer der besten Abfahrer aller Zeiten", sagte Thomas Dreßen in Kitzbühel, der beste deutsche Abfahrer der Vergangenheit und allmählich auch wieder der Gegenwart. So ein Lob staubt man nicht so einfach ab in diesem Geschäft, in dem der Respekt für die Kollegen viel zählt, das Vertrauen in die eigene Stärke aber noch ein bisschen mehr. Gezwungenermaßen.

Wer nie eine mit Eis versiegelte Abfahrt auch nur hinuntergerutscht ist, kann kaum erfassen, welchen Kräften sich die Fahrer aussetzen. Feuz indes schaffte es immer auch, für alle Beobachter nahbar zu wirken. Er galt früh als kommender Champion, genoss aber auch mal das schnell zubereitete Essen in den einschlägigen Restaurants so sehr wie schnelle Abfahrten. Rasch hatte er den Spitznamen Kugelblitz weg.

Vor zehn Jahren entzündete sich sein linkes Knie nach einer Operation dann so schwer, dass sie ihm fast das Bein abnehmen mussten. Er kam, nach ungefähr zehn weiteren Operationen, zurück, trainierte viel weniger als die anderen, aber für die Großereignisse, den einen Versuch an dem einen Tag, kratzte er die Kräfte meist zusammen. Dann fing er vor ein paar Jahren plötzlich damit an, die ganze Saison über zu brillieren. Es gab Winter, da stand er bei fast jeder Schnellfahrt auf dem Podest.

Er habe mit der Zeit nun mal gelernt, die wenigen Einheiten, die ihm sein Körper gestattet, besser zu nutzen, sagte Feuz. Wobei Andreas Evers, der Trainer der deutschen Abfahrer, der Feuz lange betreut hat, oft betonte, dass Feuz viel konsequenter schufte, "als man ihm nachsagt". Und: Der oft so in sich Ruhende flippe auch mal aus - "aber innerhalb von zwei Minuten ist er wieder bei sich und kann sich auf seinen Lauf konzentrieren".

Wenn Feuz sein Können bündelte, floss alles so prächtig zusammen wie eine Sinfonie

Und wenn Feuz all sein Können in so einen Lauf packte, floss alles so prächtig zusammen wie eine Sinfonie - zupackend, energisch, gefühlvoll. Dann presste er die Kanten stets wohl dosiert ins Eis, verlor selten das Gleichgewicht. Das verlieh der Schwerarbeit etwas Leichtes, wie die Tennisschläge seines Landsmanns Roger Federer. Erst als die Konkurrenten die Fahrten sehr genau studierten, begriffen sie, wie sehr Feuz am Limit tanzte. Wie er in der Luft, während andere sich streckten, schon wieder in die Hocke ging, die Skier dabei so ausrichtete, dass sie ihn bei der Landung sofort in die richtige Richtung trugen. Und wie er dann nie die vermeintliche Idealspur hielt, sondern sich löste, sobald es Untergrund oder Tempo erforderten.

"Schon beeindruckend", sagte der Österreicher Vincent Kriechmayr, der aktuelle Abfahrtsweltmeister und Streif-Sieger vom Freitag.

"Ich habe fast eine kleine Träne im Auge gehabt, als er abgeschwungen hat, weil er einfach so ein feiner Kerl ist", sagte Romed Baumann, am Samstag als Achter bester Deutscher.

"Brutal", sagte Thomas Dreßen.

Feuz ließ andere immer an seinem Wissen teilhaben - auch aus anderen Nationen

Viele staunten, als Feuz zuletzt verkündete, er werde nach den Klassikern in Wengen und Kitzbühel aus dem Betrieb aussteigen, kurz vor den Weltmeisterschaften im Februar. Aber je länger man ihm zuletzt zuhörte, desto stimmiger wirkte der Schritt, wie vieles in seiner Karriere. Es sei immer mühsamer, den Körper fitzukriegen, vor allem das lädierte linke Knie, sagte Feuz. Er habe sich nur ein bisschen von seiner besten Version entfernt, aber das mache viel aus, auf der Abfahrt sowieso. Und bei der WM zählten ohnehin nur die Medaillen. "Ich habe", sagte Feuz, "genug miterlebt und genug erreicht."

Als er am Samstag ein letztes Mal im Zielraum stand, als 16. der Tageswertung, erwähnte er wenig Materielles. Er sei stolz, sagte er, dass ihn so viele Kollegen beglückwünscht hatten, "das zeigt, dass ich mich nie verschlossen habe, auch gegenüber Konkurrenten nicht". Er hat der neuen Generation der Schweizer viel Wissen gespendet, Niels Hintermann, der Dritte vom Freitag, Marco Odermatt, auch Rivalen wie Dreßen.

"Er ist noch immer ein extremes Vorbild", sagte Dreßen in Kitzbühel, er meinte: wie Feuz auf unscheinbaren Pfaden zum Erfolg raste, nach schweren Verletzungen, immer und immer wieder. Es ist eine Biografie, die der Deutsche gerade auf recht ähnliche Art nachzubauen versucht, wobei ihm der Samstag nicht ganz so gelang wie die Abfahrt am Tag zuvor. Dreßen stürzte in der Alten Schneise, ärgerte sich, dass die Stelle nicht gut genug mit Farbe am Boden ausgewiesen war, fluchte dann vor allem über seinen Fahrfehler: "Weilst halt einfach so a Depp bist!"

Eine Abfahrt ist ja immer auch eine Metapher für eine Karriere, oft auch fürs Leben. Der Fahrer bricht am Start auf in der Stille, ringt mit Kräften, für die er nicht immer gemacht ist, kommt - meistens zumindest - im Ziel an, wo die Wärme der anderen auf ihn niederprasselt. Am Samstag warteten dort Feuz' Frau und die Töchter, "das ist das Wichtigste", sagte Feuz, die Familie und die Gesundheit. Good times never seemed so good.

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