Beachvolleyball: WM in Stavanger:Aufstieg nach Absturz

Beachvolleyball galt in Deutschland einst als Trendsport, dann als Show ohne Wert. Vor der WM im norwegischen Stavanger träumt die Szene nun von einem neuen Aufbruch.

Thomas Hummel

Die Augen von Siegbert Brutschin füllten sich plötzlich mit Tränen, die Mikrofone übertrugen einen Schluchzer. Verbandsfunktionäre, Sportler und Journalisten sahen etwas besorgt hin zum Organisator des Berliner Beachvolleyball-Turniers, den während einer Pressekonferenz die Gefühle übermannten. "Es ist das erste Mal in 15 Jahren, dass es ein TV-Interesse an unserer Veranstaltung gibt", erklärte Brutschin. Und er erinnerte an das unerquickliche und zumeist erfolglose Klinkenputzen bei den Sendern "um jede Fernsehminute".

Beachvolleyball: WM in Stavanger: Nummer eins in Deutschland, Nummer drei in der Weltrangliste: Jonas Reckermann (l.) und Julius Brink.

Nummer eins in Deutschland, Nummer drei in der Weltrangliste: Jonas Reckermann (l.) und Julius Brink.

(Foto: Foto: dpa)

Am vergangenen Wochenende beglückte die ARD-"Sportschau" ihre Zuschauer mit dem Europa-Turnier der Beachvolleyballer vor dem Berliner Hauptbahnhof. Das zweitbeste deutsche Frauen-Duo Katrin Holtwick und Ilka Semmler kam zu einem Auftritt ins ZDF-"Morgenmagazin". Das Interesse der öffentlich-rechtlichen Sender trifft die Sportart derart unvorbereitet, dass langjährige Vermarktungskämpfer wie Brutschin nicht wissen, wohin mit ihren Emotionen. Steht Beachvolleyball etwa vor einer Wiederbelebung auf dem deutschen Markt?

Es ist eigentlich eine paradoxe Frage, die sich die Beachvolleyball-Szene da stellt. Denn die sportliche Entwicklung weist seit Jahren bergauf, die Strukturen nehmen immer professionellere Konturen an. Bei der am Freitag beginnenden WM in Stavanger in Norwegen werden neun deutsche Paare am Start sein, nur die Brasilianer stellen genauso viele Teams. Und nicht nur in der Breite wollen die Deutschen mithalten, einige Duos gehören zumindest zum erweiterten Favoritenkreis.

"Es wäre schön, wenn ein deutsches Team mal einen raushaut", sagt Jürgen Wagner, Trainer des Topduos Julius Brink/Jonas Reckermann. Werner von Moltke, Präsident des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV), spricht von einer Medaille als "Wunsch im stillen Kämmerlein", und dass "so ein Erfolg allen guttun würde: den Spielern, dem Verband und den Sponsoren".

Von Moltke weiß, dass eine weitere WM-Enttäuschung die Einstufung in die lukrative Fördergruppe eins beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gefährdet, nachdem die Nationalteams bereits bei Olympia in Peking die Sehnsucht nach einer Medaille nicht erfüllten - nur ein fünfter Platz von Eric Koreng und David Klemperer aus Kiel stand dort zu Buche. Was helfen all die EM-Siege, die Turniergewinne auf Kontinental- und Welttour, wenn die breite Öffentlichkeit doch nur auf die Großereignisse blickt? Und dort waren die Bronzemedaillen von Ahmann/Hager 2000 bei Olympia in Sydney und von Brink/Schneider bei der WM 2005 in Berlin die bislang einzigen Erfolge.

In Norwegen ist die Ausgangslage noch ein bisschen hoffnungsvoller als vor einem Jahr. Bei den Frauen beherrschen Sara Goller und Laura Ludwig (Hamburg) sowie Katrin Holtwick und Ilka Semmler (Berlin) die europäische Szene, wie selten zwei Paare zuvor. In der Weltrangliste sind Goller/Ludwig auf Platz fünf geführt, hinter vier brasilianischen Teams. Bei den Männern haben sich vor der Saison die Topspieler Julius Brink und Jonas Reckermann zusammengetan und derart schnell gefunden, dass sie sogar als Mitfavoriten auf den Titel gelten.

Ein WM-Erfolg würde in Deutschland wohl keinen Überschwang erzeugen, doch er wäre ein mächtiger Schritt hin zur "Normalisierung", wie es Trainer Wagner nennt. Denn Beachvolleyball erlebte ja bereits den Überschwang. Anfang des Jahrzehnts sprangen Sponsoren auf die Trendsportart an, es gab eine lukrative deutsche Turnierserie, 2005 nahm sich der Sender RTL dem Spektakel mit Sand, Sonne und schönen Körpern an. Doch die Präsentation, aufgebaut auf Sex-Appeal und B-Promis, ging schief, RTL stieg wieder aus, die anderen Sender waren vergrault. Die Party schien vorbei zu sein. "Der Euphorie folgte der tiefe Absturz", sagt Wagner.

Doch im Schatten der klagenden Turnierveranstalter wurden in Hamburg und Berlin technisch hochmoderne Beach-Hallen gebaut mit verschiedenen Sandböden und Video-Kameras im Hallendach. Trainer schwärmen von der medizinischen Betreuung ihrer Nationalteams. "In einigen Bereichen sind wir weltweit führend", sagt Andreas Künkler, Trainer von Semmler/Holtwick. Die Toppaare unterhalten heute ein Team mit mehreren Trainern, Mentalcoach und Physiotherapeut für knapp 100.000 Euro im Jahr.

Viel Aufwand, der in einem Erfolg bei WM oder Olympia gipfeln soll. Erst dann können die deutschen Paare hoffen, einmal so bekannt zu werden wie Jörg Ahmann, der sich 2000 in Sydney in die deutschen Wohnzimmer baggerte. Ahmann ist heute U-23-Nationaltrainer und kennt die Veränderungen in seinem Sport: "Axel Hager und ich, wir haben uns damals noch selbst trainiert."

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