Süddeutsche Zeitung

Beachvolleyball:Was zu beweisen war

Das Beach-Duo Behrens/Tillmann setzt sich mit EM-Silber auch gegen den DVV durch.

Von Sebastian Winter, Jurmala/München

Kim Behrens und Cinja Tillmann waren stinksauer, nachdem gerade der größte Erfolg ihrer Karriere amtlich geworden war. Tillmann sank in den Sand und wurde von Weinkrämpfen geschüttelt, Behrens, die den letzten Ball ins Aus geschmettert hatte, schleuderte ihre Sonnenbrille Richtung Grundlinie und schrie ihre Wut hinaus ins Stadion, in dem am Sonntag beim Finale immerhin 1500 Zuschauer zugelassen waren.

Dass das Duo aus Münster und Bremen gerade Silber bei der Beachvolleyball-Europameisterschaft im lettischen Ostseebadeort Jurmala gewonnen hatte - als Nachrücker - schien ziemlich nebensächlich zu sein in diesem Moment. Sie hatten ja den ersten Satz gegen die Schweizerinnen Joana Heidrich und Anouk Vergé-Dépré gewonnen, im dritten hatten sie die Chance, 9:6 in Führung zu gehen, und später gar einen Matchball. Eigene Fehler mündeten dann in der bitteren 1:2 (21:18, 14:21, 16:18)-Niederlage, die in der Nachbetrachtung aber ein immenser Erfolg ist - vielleicht auch ein wenig über den eigenen Verband, mit dem Behrens und Tillmann seit inzwischen mehr als einem Jahr im Streit liegen.

Dass ausgerechnet das einzige Nicht-Nationalteam des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) im Turnier am erfolgreichsten war bei dieser EM, dürfte auch deshalb insgeheim nicht nur Freude hervorrufen bei den Funktionären. Denn so schön die Medaille auch glänzt für Team und Verband: Sie wird das schwierige Verhältnis nicht gerade entlasten. Im Kern geht es bei dem Zwist darum, dass der DVV Behrens, die an diesem Dienstag 28 Jahre alt wird, und Tillmann, 29, keine große, gemeinsame Zukunft bescheinigt. Sportdirektor Niclas Hildebrand sagt, er sehe durchaus Perspektiven für 2024 oder 2028, "aber individuell unterschiedlich", beide also eher als Abwehrspielerinnen zusammen mit anderen Blockerinnen.

Der Verband baut im laufenden Olympiazyklus dagegen auf folgende vier Frauen-Nationalteams: Laura Ludwig/Margareta Kozuch, Karla Borger/Julia Sude, Sandra Ittlinger/Chantal Laboureur und Victoria Bieneck/Isabel Schneider. Behrens und Tillmann sind quasi das fünfte Rad am Wagen, an der EM in Jurmala durften sie nur teilnehmen, weil Borger und Sude ihren Start wegen Unwägbarkeiten in Corona-Zeiten abgesagt hatten. Doch dann fanden die Nachrückerinnen immer besser ins Turnier und landeten bei den sturmumtosten, regenreichen Titelkämpfen, die zwischenzeitlich wegen des überschwemmten Center-Courts ins Landesinnere verlegt werden mussten, weit vor allen deutschen Nationalteams. "Wir haben immer versucht, in dieser Geschichte sportliche Antworten zu geben. Deshalb sind wir auch sehr froh um das Ergebnis bei dieser Europameisterschaft", sagte Tillmann am Montag nach ihrer Rückkehr.

Am Sonntagabend waren sie noch mit ihrem kleinen Team beim Abendessen und stießen auf den überraschenden Erfolg an. Die Silbermedaille ließ sie auch weit über die von den WM-Zweiten Clemens Wickler und Julius Thole angeführten DVV-Männer hinaus strahlen. Thole und Wickler landeten diesmal nach ihrem Vorrunden-Aus auf den Nebencourts auf dem ernüchternden 17. Platz, die restlichen Duos, die aus verschiedenen Gründen zusammengewürfelt waren, schnitten in Lettland nicht viel besser ab.

Der Clinch zwischen Behrens/Tillmann und dem DVV droht unterdessen, die Grundfeste der Nominierungspraxis zu erschüttern. Normalerweise sind bei internationalen Turnieren pro Geschlecht nur vier Teams einer Nation zugelassen (bei Olympischen Spielen sind es zwei). Im vergangenen Jahr hatte der Verband Behrens und Tillmann daher bei mehreren Weltserien-Turnieren abgemeldet und den Nationalteams den Vorzug gegeben, obwohl diese teilweise in der Rangliste hinter Behrens und Tillmann standen. Das Duo, argumentiert der Verband, sei auch deshalb weiter vorne platziert gewesen, weil es von Punkten profitiert habe, die Behrens mit ihrer vorherigen Partnerin Sandra Ittlinger gesammelt hatte. Immerhin hatten Behrens und Tillmann in Jurmala die Möglichkeit bekommen, Scouts und Physiotherapeuten des DVV in Anspruch zu nehmen.

Die Lage ist kompliziert, längst haben Behrens und Tillmann beim Landgericht Frankfurt Klage gegen den DVV eingereicht. Sie sprechen von Einnahme-Ausfällen in Höhe von rund 25 000 Euro und entgangenen Sponsoreneinnahmen durch die verpassten Turniere und fühlen sich in ihrer freien Berufsausübung eingeschränkt. Der DVV hingegen fürchtet um seine Entscheidungsgewalt bei der Nominierung. "Der Verband sollte diese Hoheit behalten", sagt Sportdirektor Hildebrand.

Der ursprünglich für diesen Mittwoch anberaumte zweite Verhandlungstermin wurde am Dienstag auf den 7. Oktober verlegt. Es könnte ein Fall mit Präzedenzcharakter werden.

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SZ vom 22.09.2020
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