Beachvolleyball:Mit Playstation nach Tokio

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Zu Silber gehechtet: Für Abwehrspieler Clemens Wickler war gemeinsam mit Julius Thole Platz zwei bei der WM 2019 in Hamburg der größte Erfolg. (Foto: BEAUTIFUL SPORTS/Peter Weber; via www.imago-images.de; imago/imago images / Beautiful Sports)

Der Starnberger Abwehrspieler Clemens Wickler und sein Hamburger Partner Julius Thole sind bei den Olympischen Spielen das einzige deutsche Männer-Duo im Beachvolleyball. Für beide ging ein Kindheitstraum in Erfüllung, ihre Aussichten waren glänzend - bis die vielen Verletzungen kamen.

Von Sebastian Winter, München

So richtig einig sind sich Clemens Wickler und Julius Thole nicht bei diesem Thema. Sie müssen sich entscheiden, ob sie in Tokio lieber einen Kühlschrank oder einen Fernseher in ihrem Appartement haben wollen. Thole sagt, "der Clemens ist seit drei Wochen ausschließlich damit beschäftigt, sich einen Fernseher zu organisieren ins Olympische Dorf. Seine größte Angst ist, dass er seine Playstation nicht anschließen kann". Wickler erklärt, "der Julius war eher für den Kühlschrank. Ich konnte mich zum Glück am Ende durchsetzen."

Auch für das einzige deutsche Männer-Duo im Beachvolleyball-Wettbewerb ist das Interieur seines Zimmers bei den in knapp zwei Wochen beginnenden Olympischen Spielen in Tokio ein großes Thema. Die Athleten dürfen ja wegen der Pandemie kaum raus aus ihrem Hotel, außer zum Essen, Training, zu Wettkämpfen. Für den Kraftraum sind bestimmte Zeiten vorgegeben, die sie vorher per App buchen müssen. Sich in Tokio abzulenken, die freie Zeit im Hotelzimmer zu überbrücken, "das wird eine der schwersten Aufgaben, die bei Olympia zu bewältigen sind", fürchtete Wickler bei der Abschlusspressekonferenz des Teams in Hamburg: "Man wird dort sehr isoliert leben müssen."

Ein paar Hörbücher möchte Wickler mitnehmen, Gesellschaftsspiele wie Doppelkopf oder Stratego, aber eben auch die Konsole, auf der er mit Freunden aus Deutschland Fifa spielen kann, das ist Wickler wichtig, um den Kontakt zur Außenwelt nicht völlig zu verlieren. Und Thole, der Blocker? "Ich werde mir Oropax mitnehmen, damit du dann in Ruhe mit deinen Kumpeln spielen kannst." Den Humor haben sie nicht verloren. Trotz allem.

"Man wird dort sehr isoliert leben müssen. Das wird eine der schwersten Aufgaben", sagt Wickler

Sie selbst könnten auch ganz geknickt sein, nach dieser "Katastrophensaison", wie Wickler dieses Jahr beschreibt. Eigentlich hatten sie sich in ihren dreieinhalb gemeinsamen Jahren seit 2018 zu, wenn man so will, Posterboys des deutschen Männer-Beachvolleyballs emporgespielt. Sie hatten, so schien es, das Erbe der London-Olympiasieger Julius Brink und Jonas Reckermann angetreten - erst recht nach der Silbermedaille bei der Heim-WM 2019 in Hamburg. Auch wenn sie diese Darstellung selbst etwas übertrieben finden: Wickler, 26, der gebürtige Starnberger, der in Bayern fernab der Strände sozialisiert wurde, sich dann im Urlaub in Italien mit seinen Eltern in diesen Sport verliebte; der viermal deutscher Meister wurde, 2018 und 2019 Beachvolleyballer des Jahres, und längst als talentiertester deutscher Abwehrspieler gilt. Und Thole, 24, der Hamburger Blocker, mit 2,06 Metern Körpergröße und seinen langen Armen eine schier unüberwindbare Krake am Netz.

An ihr Traumturnier von damals wollen Julius Thole (links) und Clemens Wickler in Tokio anknüpfen. (Foto: Steffen Prößdorf; via www.imago-images.de; imago/imago images / foto2press)

Bänderrisse, Fußprobleme, eine Blinddarm-Operation: Die letzten Monate nennen sie "eine Katastrophensaison"

Doch dann kamen Corona und die Verletzungen. Ende September 2019 knickte Wickler beim "Sporthilfe-Club der Besten" auf Fuerteventura am Swimmingpool mit dem Fuß um, die Blessur bereitete ihm lange Zeit Probleme. Im Sommer 2020 plagte ihn dann eine Kapselzerrung im linken Großzehengelenk, Ende März 2021 musste er während des Trainingslagers, wieder auf Fuerteventura, ins Krankenhaus - OP wegen einer akuten Blinddarmentzündung. Kaum war Wickler wieder einigermaßen auf den Beinen, knickte Thole Ende Mai beim Weltserienturnier in Sotschi um - Bänderriss. Nun versucht er, bis zu den Spielen wieder einigermaßen fit zu werden. "Wir wissen, dass wir extrem wenig zusammengespielt haben in dieser Saison und hätten es uns gewünscht, anders vorbereitet zu den Spielen zu fahren", sagt Wickler, aber "wir werden bei Olympia konkurrenzfähig sein".

Der Deutsche Volleyball-Verband, dessen Hallenteams die Spiele hauchdünn in der Qualifikation verpassten, gab schon vor längerer Zeit eine Medaille als Ziel aus, was nicht vermessen klingt nach zwei Olympiasiegen 2012 und 2016. Nur mit einer solch langen Formdelle, die auch die beiden Frauenduos Laura Ludwig und Margareta Kozuch sowie Julia Sude und Karla Borger plagt, hat der Verband nicht gerechnet. Alle drei deutschen Teams im Sand gehen nun eher als Außenseiter ins Turnier, die Topfavoriten sind andere: Bei den Männern vor allem die russischen Weltmeister Krasilnikov/Stojanowski, denen Thole und Wickler im Finale von Hamburg knapp unterlagen, sowie die WM-Dritten und Europameister von 2018, 2019 und 2020, Anders Mol und Christian Sørum aus Norwegen. Aber auf Thole und Wickler warten auch in der Gruppe schon unangenehme Gegner. Neben den schlagbaren Japanern zwei starke Polen und die italienischen Olympiazweiten Nicolai/Lupo.

Diese Gruppenphase zu überstehen, allein das dürfte eine Herausforderung für die Deutschen werden. "Das Männer-Beachvolleyballniveau ist gerade brutal hoch, die Europäer haben flächendeckend stark aufgeholt", sagt Thole: "Da müssen wir zusehen, dass wir auf Augenhöhe bleiben."

Sie werden alles versuchen, die Sommerspiele sind für sie "ein Kindheitstraum", wie sie betonen, trotz aller Widrigkeiten. Klar, die Zuschauer fehlen, was für Thole und Wickler vielleicht noch etwas schwieriger ist als für andere Duos im Sand. Man denke nur an die Heim-WM, als das enthusiastische Publikum die beiden zu Platz zwei getragen hatte. "Andererseits haben wir unter den aktuellen Bedingungen volles Verständnis dafür", sagt Thole: "Die Zahlen in Japan steigen wieder. Und wir konnten in den letzten eineinhalb Jahren viel üben. Geisterspiele waren ja die Regel."

48 Stunden nach dem Ausscheiden müssen sie Japan schon wieder verlassen. Andere Wettkämpfe anschauen, noch ein wenig verweilen? Unmöglich in Pandemie-Zeiten. Sie wollen diesen Moment so lange wie möglich hinauszögern. Und danach zusammen weiterspielen. Oder? "Es kommt für mich ein bisschen darauf an, ob wir künftig auch mal wieder Kühlschränke in unseren Wohnungen haben werden", sagt Thole. Da muss auch Wickler lachen.

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