Als Zeitzeuge wurde Wilbert Olinde, 70, zugeschaltet. Der stets gut gelaunte Basketball-Rentner hatte auch eine passende Geschichte parat, um den rasanten Aufstieg des deutschen Basketballs aus berufenem Munde zu dokumentieren. Olinde war einer der ersten US-Amerikaner, die den Sport hierzulande in einer Zeit anschoben, als dieser sich auch auf höchstem nationalen Niveau vorwiegend in Schulturnhallen abspielte. Mit der University of California hatte er die College-Meisterschaft gewonnen und ließ sich 1977 zum SSC Göttingen locken.
Schnell war er Kapitän und Publikumsliebling und führte den Klub zu drei deutschen Meisterschaften und zwei Pokalsiegen. Das ist nicht sonderlich bekannt, denn Basketball fand damals in den Medien nur sehr rudimentär statt. Olinde erzählte also im Pressegespräch zum Saisonauftakt der Bundesliga diese Woche, dass er kürzlich auf Sylt beim Radeln war und bei einem Päuschen in einem Café mit einer 83-jährigen Dame ins Gespräch kam. Als er ihr beim Plaudern erzählte, dass er einst professionell Basketball gespielt habe, berichtete die Seniorin sofort begeistert von dem Triumph der Deutschen bei der Europameisterschaft. Sie habe alle Spiele im Fernsehen verfolgt und konnte „die Namen der Spieler aufzählen“, wie Olinde lachend berichtete: „Das, was ich jetzt erlebe, war damals nicht einmal vorstellbar.“

Basketball:„Das ist die härteste Saisonvorbereitung, die ich jemals hatte“
Die FC-Bayern-Basketballer starten am Freitag gegen Jena mit hohen Zielen, aber quasi ohne gemeinsame Vorbereitung in die neue Saison. Verletzungsprobleme und der immer vollere Terminkalender trüben ihre Aussichten.
Am kommenden Freitag geht die Basketball-Bundesliga (BBL) in ihre 60. Spielzeit, und einmal mehr stellt sich die Frage, wie dieser Erfolg gewinnbringend in den Alltagsbetrieb implementiert werden kann. Welt- und Europameister, das ist der bisherige Höhepunkt in der nationalen Basketball-Historie. „Wir drängen mit Macht aus der Nische“, sagt Liga-Geschäftsführer Stefan Holz nicht ohne Stolz, denn in dem EM-Titel stecke „jede Menge BBL“. Was er mit ein paar Zahlen zu unterfüttern weiß: Von den insgesamt 15 Nationalspielern, die bei der WM und nun bei der EM triumphierten, hätten „zwölf ihr Profi-Debüt in der Bundesliga gegeben“. Und deren elf „entstammen dem Nachwuchs-Programm eines BBL-Klubs, das ist herausragend“.
Prominenteste Beispiele sind natürlich Dennis Schröder, der in Braunschweig ausgebildet wurde, oder der Berliner Franz Wagner – beide längst prägende Figuren in der NBA. Diese Erfolge seien nicht zuletzt mit einigen Entwicklungen der BBL verknüpft, sagt Holz, so habe die 6+6-Regel, nach der neben sechs Ausländern ebenso viele deutsche Spieler pro Partie eingesetzt werden müssen, das nationale Niveau über die Jahre spürbar gehoben. Auch die Verpflichtung, dass die Klubs hauptamtliche Nachwuchstrainer installieren müssen, sowie die Einführung der Jugend- und Junioren-Bundesliga hätten positive Effekte gezeitigt – und die Vorgaben der BBL gehen weiter: Bis 2032 soll das Programm „Triple Double“ greifen, sagt Holz, dann müssen unter anderem die Klubetats mindestens sechs Millionen Euro betragen, die Hallenkapazitäten werden nach oben angepasst, die Reichweiten mit Medienpartnern und Social-Media-Konzepten erweitert.

Schon der WM-Titel vor zwei Jahren hat deutlich mehr Spuren hinterlassen als etwa der EM-Triumph 1993, der recht flott verpufft war. Der Deutsche Basketball Bund (DBB) meldet mit knapp 275 000 Mitgliedern einen Rekord, vor allem bei Kindern und Jugendlichen steigen die Zahlen stetig. „Die Vereine werden regelrecht gestürmt“, findet Holz, „die Hallen sind voll“, nie zuvor wollten so viele junge Menschen Basketball spielen, so viele Fans Basketball sehen, die knapp sechs Millionen Zuschauer beim EM-Endspiel nannte er „Wetten-Dass-Zahlen“. Den aktuellen Erfolg nun will die Liga mit „einer offensiven Kommunikation“ nutzen, weshalb dem bekannten BBL-Motto „Welcome to Wow“ zusätzlich das Label „Liga der Champions“ verpasst wird. Zudem plane die BBL insgesamt sechs „Event-Games“, wie etwa zwei Partien der Academics Heidelberg in der großen SAP-Arena in Mannheim mit knapp 14 000 Zuschauern Kapazität – undenkbar vor nicht allzu langer Zeit.
Standortnachteil Basketball-Bundesliga: Vereine sind steuerlich belastet wie nirgends sonst in Europa, zudem locken Colleges den Nachwuchs
Maßgeblichen Anteil am Boom der vergangenen Jahre hat der deutsche Meister FC Bayern, womit der absolute Topfavorit, der am Freitagabend im heimischen BMW Park (20 Uhr) die Saison gegen Aufsteiger Jena eröffnet, genannt ist. In dessen Kader stehen neben einer illustren Ansammlung internationaler Topspieler in Andreas Obst, Justus Hollatz, Johannes Voigtmann, Oscar da Silva und Leon Kratzer alle BBL-Europameister, die Kollegen spielen bekanntlich zumeist in der NBA oder bei Euroleague-Klubs. Die Münchner sind zudem das einzige deutsche Team, das in der Euroleague zu Werke geht, nachdem Alba Berlin seinen Etat spürbar reduziert und folgerichtig auf einen Start in der europäischen Beletage verzichtet hat.
Holz gibt zu, dass die BBL im europäischen Vergleich, nicht sehr weit oben „in der Nahrungskette steht“, weshalb die besten Spieler regelmäßig zu finanziell potenten NBA- oder Euroleague-Klubs abwandern. Standortnachteil Bundesliga: „Wir haben die größte Brutto-Netto-Schere“, sagt der BBL-Geschäftsführer, „in keinem anderen relevanten europäischen Land“ würden die Vereine steuerlich derart belastet.
Eine weitere negative Entwicklung betrifft die besten Talente der Liga, denn die amerikanischen College-Mannschaften dürfen nach einem Gerichtsurteil nun neben einer Ausbildung auch Geld bieten. Viel Geld. Münchens Ivan Kharchenkov oder Würzburgs Hannes Steinbach, beide Silbergewinner der U19-WM, haben sich bereits nach Übersee verabschiedet, wo sie siebenstellige Dollar-Gehälter bekommen. „Das ist ein Thema, das uns beschäftigt“, sagt Holz, allerdings hofft er auf eine Rückkehr vieler Spieler, „die sicher nicht alle in der NBA landen werden“. Dass es auch in die andere Richtung gehen kann, würden die Nationalspieler Joshua Obiesie und Jack Kayil zeigen. Obiesie, 25, kommt aus Athen nach Braunschweig, der 19-jährige Kayil ist ebenfalls U19-WM-Zweiter und stand im vorläufigen EM-Kader des A-Nationalteams. Er wurde wie die Wagner-Brüder in Berlin ausgebildet und kehrt nach einem Gastspiel beim serbischen Erstligisten KK Mega Basket zu Alba zurück. Natürlich habe er die Entwicklung an den Colleges zur Kenntnis genommen, noch sei er aber Schüler, also zu jung für ein College. „Das ist schon sehr attraktiv, ich bin gespannt, was noch auf mich zukommt“, sagt Kayil offen über die Verlockung aus Übersee.
Ob die Berliner nach einer schlechten Saison zu alter Klasse zurückkehren können, ist fraglich, zumal sie nach 14 Weggängen einen umfassenden Kaderumbau zu bewältigen haben. Die Münchner haben zwar die brutale Belastung der drei Wettbewerbe Euroleague, Meisterschaft und Pokal, sind zudem kaum eingespielt – denn als die Nationalspieler von der EM zurückkehrten, war die Saisonvorbereitung bereits in der Endphase. Doch der Kader des FCB ist qualitativ wie quantitativ der Konkurrenz so weit entrückt, dass wie im Fußball ein unschöner Nebeneffekt droht: Langeweile im Meisterschaftskampf.

