Süddeutsche Zeitung

Bayern-Trainer Thomas Wörle:Das überraschende Ende einer Ära

  • Thomas Wörle übernahm vor neun Jahren den Posten des Trainers der Fußballerinnen des FC Bayern von seinem Vater.
  • An diesem Sonntag spielt er zum letzten Mal zu Hause vor eigenem Publikum.
  • Zu den Trennungsgründen gibt es vom Verein nur eine schlichte Mitteilung. Wörle selbst will sich öffentlich nicht äußern.

Von Anna Dreher

Sein Gesicht ist in diesem Moment nicht zu sehen gewesen. Die Kamera verharrte in der Totalen, die Spielszene war ja nicht vorbei, vielleicht würde noch etwas passieren. Thomas Wörle stand am Seitenrand im Mini Estadi, mehr als 12 000 Zuschauer um sich herum, angespannt, aufgeregt. Aber es passierte nichts. Und auch wenn es nicht von der Kamera eingefangen wurde, war klar, was nun in dem Trainer vorging. Wörle beschäftigte die erstaunliche Beharrlichkeit des Pfostens, der nicht anders konnte und nun mal dort stand, wo er stand: im Weg. Ausgerechnet im Halbfinale der Champions League gegen den FC Barcelona. Schon im Hinspiel war ein Schuss von Sara Däbritz ins Feld zurückgeprallt, und nun, im Rückspiel, zog Melanie Leupolz ab - und traf wieder den weißen Balken.

Die Fußballerinnen des FC Bayern München hatten sehr viel richtig gemacht. Nur brachten sie den Ball nicht ins Tor. Was kann ein Trainer da noch tun?

Diese Niederlage ist nun bald eine Woche her. Wörle hatte Zeit, darüber nachzudenken. Aber sie wird ihn noch lange beschäftigen. Seine Mannschaft hätte erstmals in der Geschichte der Bayernfrauen das Endspiel der Champions League erreichen können, zuvor hatten sie es nie weiter als unter die besten Acht geschafft. Für Wörle wäre es das große Finale seiner Trainerkarriere gewesen. Zwei Tore in zwei Spielen haben das verhindert.

Niederlagen haben Wörle immer gequält, solche wie gegen Barcelona besonders. Misserfolge, sagte der 37-Jährige vor dem Hinspiel, würden ihn nicht ruhen lassen, "die machen mich verrückt". Er saß in einem Raum auf dem Bayern-Campus, von dem aus man durch eine Fensterwand auf das Stadion blickt, vorfreudig und zuversichtlich. Das Ende dieses Kapitels seiner Geschichte kannte er da noch nicht.

Aber dass bald alles vorbei sein würde mit ihm und dem FC Bayern, das wusste er schon seit vorigem Sommer. Und da wurde Wörle, sonst eher nüchterner Realist, doch ein bisschen sentimental. "Ich genieße das jetzt besonders, doch", sagte er, schaute auf den Rasen und nickte langsam. "Ich bin im neunten Jahr hier, das ist schon eine lange Zeit. Ich will hier noch mal das Bestmögliche bringen."

Das Bestmögliche bedeutete bis Ende März, Titelchancen in allen drei Wettbewerben zu haben. Der FC Bayern war punktgleich mit Tabellenführer VfL Wolfsburg Zweiter der Bundesliga, stand im Halbfinale von Pokal und Champions League. Mehr ging nicht. Aber egal aus welchem Winkel, der Ball wollte auf einmal nicht mehr ins Tor. Bayern ging im Pokal 0:4 gegen Wolfsburg unter. In der Liga machten zwei Unentschieden alle Titelchancen zunichte. Die Spiele gegen Barcelona fügten sich in dieses Muster - und hinterließen Ratlosigkeit.

Aus der Perspektive mancher Beobachter macht das den Abschied wahrscheinlich leichter. Wie wäre es zu erklären gewesen, einen Trainer zu entlassen, mit dem man seit Jahren konstant auf hohem Niveau spielt und der am Ende auch noch einen, zwei, gar drei Titel gewonnen hätte?

Das Ende der Zusammenarbeit kam überraschend, auch wenn ein Trainerwechsel nach so langer Zeit an und für sich nachvollziehbar ist. Managerin Karin Danner wollte sich bis zuletzt nicht dazu äußern. Von Vereinsseite blieb es bei einer schlichten Mitteilung, die im Oktober nach dem 0:6 gegen Wolfsburg verschickt wurde. Als Wörle das erste Mal öffentlich darüber sprach, sagte er nur, zu den Gründen wolle er sich nicht äußern, das werde intern besprochen. Sein Team und er hätten schon vor dem ersten Trainingstag gewusst, dass sie Ende der Saison nicht mehr bei Bayern arbeiten würden. Nach der in der Mitteilung transportierten Einvernehmlichkeit klang das nicht.

Als Wörle vor neun Jahren bei der Frauenfußball-Abteilung des FC Bayern anfing, übernahm er die Mannschaft von seinem Vater. Auch das ist ja das Besondere an dieser Geschichte: Es ist die sportliche Ära einer Familie, die nun endet.

Günther Wörle hatte 2009 den Gewinn der Meisterschaft am letzten Spieltag verpasst, wegen der um ein Tor schlechteren Tordifferenz gegenüber Turbine Potsdam. Im Jahr darauf wurde Bayern Vierter. Dann kam Thomas Wörle, als 28-jähriger Ex-Profi. Er hatte für die Amateure des TSV 1860 gespielt, in der zweiten Liga für Offenbach und Greuther Fürth, bis er aus gesundheitlichen Gründen aufhörte. Trainer war er nie vor seiner ersten Einheit auf dem damaligen Trainingsplatz der Bayernfrauen im Sportpark Aschheim. "Ich wusste überhaupt nicht, was mich erwarten würde", sagt Tanja Wörle. Seine Schwester spielte damals bei Bayern, die ganze Familie war dem Verein eng verbunden. "Tom hat sich vor die Mannschaft gestellt, fing an zu reden - und ich hatte das Gefühl, er habe noch nie was anderes gemacht. Seine Präsenz war so selbstverständlich, das war erstaunlich."

Wörle durfte Fehler machen und sich mit seiner Elf entwickeln. Viele Zugänge kamen seinetwegen. Der Krumbacher gilt als moderner, fordernder Trainer, der auch langjährige Spielerinnen voranbringen konnte. "Ich wusste nach unserem ersten Gespräch: Das mache ich auf jeden Fall", sagt Melanie Behringer, bis zu ihrer Verletzung im vorigen Jahr Kapitänin des FC Bayern. "Er kann so motivieren, das ist eine große Stärke von ihm. Und man hat ja auch gesehen, wie er Bayern entwickelt hat. Er arbeitet sehr akribisch für den Erfolg und tut wirklich alles dafür."

Im ersten Jahr als Trainer wurde Bayern Fünfter, im zweiten Jahr Sechster - im Pokal aber gewannen die Münchner 2012 das Finale gegen den 1. FFC Frankfurt und machten so im Klub darauf aufmerksam, dass es sich lohnen könnte, mehr in Frauenfußball zu investieren. Es war die Zeit, als sich die Rangordnung im deutschen Frauenfußball veränderte. Nicht mehr Duisburg oder Frankfurt spielten alle schwindelig. 2013 fing Wolfsburg an, zum Dauersieger zu werden. Und Bayern mischte mit. Die Professionalisierung der Abteilung beruht auch auf Wörles Arbeit.

2015 gewann die Mannschaft die erste Meisterschaft nach 39 Jahren - und verteidigte sie im Jahr darauf. Dass nicht mehr Titel folgten, lag auch an der Stärke Wolfsburgs. Wörle hat das oft betont und sich lieber zurückgenommen, bevor er größere Ambitionen öffentlich machte - er konnte einschätzen, was ging und was nicht. Eine bodenständige Zurückhaltung, die ihm manche negativ auslegten. "Dieses nach außen getragene Selbstbewusstsein, das man bei Bayern spürt, da sind wir im Frauenfußball noch nicht weit genug", sagt Wörle. "Wir wollen uns nicht kleinmachen. Ich war sicher nicht der, der gebremst hat. Man sollte nur bescheiden sein und sich immer entwickeln wollen."

Die Ironie des Spielplans will es nun, dass das letzte Heimspiel der Saison Abschied und Begrüßung zugleich sein wird. Wörle trifft am Sonntag um 14 Uhr auf seinen Nachfolger Jens Scheuer und den SC Freiburg. Die prägnante Stimme, mit der Thomas Wörle so viele Jahre seine Spielerinnen lenkte und die immer heiserer wurde, je mehr Minuten vergingen, sie wird dann erst mal nicht mehr über die Sportplätze des FC Bayern hallen.

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Quelle:
SZ vom 04.05.2019
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