Bayern-Trainer Mehmet Scholl:Flott nach unten korrigiert

Lesezeit: 3 Min.

Wie schlägt sich Mehmet Scholl als Trainer der FC-Bayern-Reserve? Als Erstes wagt der frühere Nationalspieler den gezielten Tabubruch. 35 Spiele vor Saisonende in der Regionalliga erklärt er: "Der Aufstieg ist kein Thema mehr."

Benedikt Warmbrunn

Im Aschenbecher liegen ein paar Zigarettenstummel, die Luft im Nebenraum des Vereinsheims des SV Heimstetten ist stickig. Mehmet Scholl atmet tief ein, dann schaut er konzentriert auf die Stummel vor sich. Er will jetzt erklären, wie das funktioniert: als Angestellter des FC Bayern München frühzeitig das Saisonziel nach unten zu korrigieren, weg von der Meisterschaft, hin zu einem angenehmen Tabellenplatz fern aller Sorgen. Scholl bietet erst einmal Feuer an.

Tabubruch in München: Trainer Mehmet Scholl. (Foto: dapd)

Wenige Minuten zuvor saß Scholl in der Gaststätte des Vereinsheims, auf den Tischen um ihn herum lagen große Schnitzel auf den Tellern, es ist gemütlich, sie sind hier Fans des FC Bayern, die zweite Mannschaft trägt in Heimstetten vorerst auch ihre Heimspiele aus. In diese Atmosphäre hinein sollte Scholl, der Trainer des FC Bayern II, ein paar nette Worte zum Spiel seiner Mannschaft gegen Heimstetten sagen.

Die Partie war 1:1 ausgegangen, es war das dritte Unentschieden im dritten Spiel, der als Favorit auf die Meisterschaft gestartete FC Bayern II steht nun auf dem zwölften Tabellenplatz der Regionalliga Bayern, punkt- und torgleich mit Aufsteiger Heimstetten. Scholl also sagte: "Heute ist der Tag, an dem ich ganz bewusst öffentlich mache, dass die Ziele korrigiert werden. Der Aufstieg ist kein Thema mehr."

Eine derartige Aussage 35 Spieltage vor Saisonende, das ist in diesem Verein ein gezielter Tabu-Bruch. Als zum Beispiel Christian Nerlinger, bis zu diesem Sommer Sportdirektor, in der vergangenen Saison öffentlich gesagt hatte, dass er Platz eins in der Bundesliga abgehakt habe, sorgte das intern für Grummeln, gerade Präsident Uli Hoeneß war nicht sehr erfreut. Dennoch betont Scholl: "Diese Zielvorgaben sind weder machbar noch realistisch."

Scholl sitzt daher also nun im Nebenzimmer, und er erzählt die ganze Geschichte. Sie beginnt damit, dass der 41-Jährige schon einmal Trainer des FC Bayern II war, und auch damals, in der Saison 2009/2010, war er nicht gut gestartet, mit nur zwei Siegen in der ersten 13 Spielen. Die Mannschaft spielte danach eine starke Rückrunde, beendete die Saison auf einem sehr beachtlichen achten Platz in der dritten Liga, und trotzdem, klagt Scholl, sei von ihm das Bild als "Trainer-Wurst" geblieben. Es ärgert ihn bis heute.

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:Trainertyp Asien-Jogi

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In Bildern

Die Geschichte, die Scholl erzählt, endet damit, dass er aus den Zeitungen zitiert. So sei nach dem zweiten Spieltag geschrieben worden, dass "die Scholl-Mannschaft" in Hof "nur unentschieden" gespielt habe, das "nur" ruft Scholl laut aus. Daher habe er vor der Partie in Heimstetten gemeinsam mit Jörg Butt, dem Jugendleiter, und Michael Tarnet, dem Junioren-Sportdirektor, beschlossen, dass diese Saison dazu diene, die Talente an das Tempo bei den Erwachsenen heranzuführen. Er habe zwar in Tobias Schweinsteiger, Altin Lala und Stefan Buck "gestandene Profis", die die "Kinder" unterstützen sollen, "aber das sind nicht Pirlo, Totti und Lahm".

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Ob das auch Selbstschutz sei, um frühzeitig zu vermeiden, dass wieder von einer Trainer-Wurst gesprochen werde? Scholl hat die Frage erwartet. Ruhig erklärt er, dass er so die Mannschaft schütze, dass diese sich in Ruhe entwickeln könne und dass es dabei nicht um seine Person gehe. "Das Wichtigste für diesen Verein ist, dass die Profis funktionieren", sagt Scholl, und sie funktionierten nun einmal am besten, wenn er Talente nachliefere; am Samstag etwa spielten vier A-Jugendliche. Das ist das Ziel, an dem er sich messen lassen will, alles andere bezeichnet er als "Käse".

Natürlich wird es aber auch weiter um seine Person gehen. In der Samstagsausgabe der Bild-Zeitung äußerte sich Hoeneß etwa über Scholls Vertrag als ARD-Experte: "In den nächsten zwei Jahren ist kein wichtiges Länderspiel, deshalb gibt es kein Problem. Wenn er Trainer bei uns bleibt, wird er den Vertrag mit der ARD nicht verlängern."

Scholls Vertrag als Trainer läuft ebenfalls bis 2014, sein Job als TV-Experte war während der Vertragsverhandlungen bekannt, dennoch wird immer wieder darüber diskutiert. Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge hatte gesagt, dass er darin "eine gewisse Problematik" sehe; gerade dann, wenn Scholl andere Angestellte des FC Bayern kritisiere, so wie bei der EM den Stürmer Mario Gomez.

Trotz dieser Debatte wird Scholl im Verein als Fachmann anerkannt, gerade von Hoeneß, auch Sportvorstand Matthias Sammer ist ein Scholl-Sympathisant. Sie haben ihm Zeit zugesichert, um das Team aufzubauen; sie haben aber auch erwartet, dass er in diesem Jahr um den Aufstieg mitspielen wird. Nun vertröstet Scholl auf den Oktober. Dann wisse er, was in dieser Saison realistisch sei. Scholl schiebt den Becher mit den Stummeln von sich weg.

© SZ vom 30.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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