Bayern-Torhüter Sven Ulreich:Opfer einer Gedankenkollision

  • Bayern-Torwart Sven Ulreich wird im Spiel gegen Real Madrid zum einsamsten Mannschaftssportler der Welt.
  • Als sich Manuel Neuer im vergangenen Herbst den Mittelfuß brach, war die Sorge groß, dass Ulreich den Ansprüchen nicht genügen könnte. Doch angeleitet von Trainer Jupp Heynckes wurde Ulreich immer souveräner.
  • Ulreichs Tritt ins Leere steht dafür, dass der FC Bayern auch wegen einiger Slapstick-Einlagen das Champions-League-Finale verpasst hat.

Von Benedikt Warmbrunn

Am Ende eines großen Fußballspiels bleibt oft ein einsamer Mann. 1990, nach dem Sieg im WM-Finale, spazierte der deutsche Teamchef Franz Beckenbauer alleine im Mondschein von Rom. 2002, nach der Niederlage im WM-Finale, lehnte Torwart Oliver Kahn noch lange am Torpfosten; er hatte den entscheidenden Fehler gemacht. Nach dem 2:2 im Halbfinal-Rückspiel in der Champions League zwischen Real Madrid und dem FC Bayern saß nun ein Mann im schwarzen Trikot auf dem Rasen von Madrid, die Arme auf den Knien, den Blick ins Leere gerichtet. In diesen Minuten war Sven Ulreich der einsamste Mannschaftssportler der Welt.

Ulreich, geboren 1988 in Schorndorf, ist ein Torwart, der zwischen den Extremen lebt. Als junger Torwart war er ein großes Talent beim VfB Stuttgart. Wenige Jahre später wollten sie ihn beim VfB nicht mehr, sie jagten ihn weg, zum FC Bayern. In München war er bloß der Ersatzmann des großen Manuel Neuer; gleich im ersten Spiel kassierte er ein peinliches Gegentor, in der ersten Pokalrunde, gegen einen Fünftligisten. Als sich Neuer im vergangenen Herbst den Mittelfuß brach, war die Sorge groß, dass Ulreich den Ansprüchen nicht genügen könnte. Doch angeleitet von Trainer Jupp Heynckes wurde Ulreich immer souveräner. Er sicherte für den FC Bayern in der zweiten Pokalrunde den Sieg im Elfmeterschießen in Leipzig, auch im Viertelfinale der Champions League gegen Sevilla rettete er mit seinen Paraden das knappe Weiterkommen.

Am Dienstag allerdings holte ihn die Tragik seiner Karriere wieder ein. Die zweite Halbzeit im Rückspiel in Madrid lief erst seit wenigen Sekunden, an der rechten Außenlinie hatte Corentin Tolisso den Ball, er passte in den eigenen Strafraum. Der Ball rollte direkt in die Gefahrenzone hinein, Madrids Stürmer Karim Benzema sprintete ihm hinterher, noch stand da aber auch Ulreich. Doch in den zwei, drei Sekunden, die folgten, konnte die ganze Fußballwelt dem Torwart dabei zusehen, wie er Opfer einer Gedankenkollision wurde.

Er beugte den Oberkörper nach unten, er fuhr die Arme aus, er hatte die Hände fast am Ball. Erst als er beinahe auf dem Rasen kniete, erinnerte er sich daran, dass den Ball ein Mitspieler gespielt hatte, dass er, Ulreich, ihn also nicht in die Hand nehmen durfte. Verzweifelt zog er die Hände zurück, er versuchte, den Ball mit dem rechten Fuß wegzuschlagen. Er trat ins Leere. Benzema traf zum 2:1, es war das Tor, das Real den Weg ins Finale ebnete.

Der FC Bayern ist in dieser Saison souverän deutscher Meister geworden, die Mannschaft spielt Mitte Mai noch das Pokalfinale. Doch das Dramatische an dieser Spielzeit ist, dass sich für die Mannschaft alles zuspitzt auf diese zwei Halbfinalspiele gegen Real, und diese zwei Partien wiederum spitzen sich zu auf die 46. Minute beim 2:2 in Madrid - und auf den unglücklichen Mann im Tor. So ungerecht ist der Fußball manchmal.

Ulreichs Tritt ins Leere steht dafür, dass der FC Bayern auch wegen einiger Slapstick-Einlagen das Finale verpasst hat; schon beim 1:2 im Hinspiel hatte Außenverteidiger Rafinha orientierungslos den Siegtreffer für Madrid vorbereitet. Ulreichs Verwirrung erinnert auch daran, dass der FC Bayern ohne viele Verletzte in Madrid angetreten war; vor dem Rückspiel ging es vor allem um Innenverteidiger Jérôme Boateng und Flügelspieler Arjen Robben. Nun steht da eine weitere Frage: Wäre Manuel Neuer, bis zu seinem Mittelfußbruch im Herbst 2017 der beste Torwart der Welt, das auch passiert?

Bayern-Trainer Jupp Heynckes hat angekündigt, dass er den nahezu wieder genesenen Neuer noch in dieser Saison einsetzen wird; drei Spiele stehen noch an. Für Ulreich heißt das, dass er nicht viele Gelegenheiten haben wird, um den Eindruck vom Dienstagabend zu korrigieren. Und so werden von einer eigentlich guten Saison ein paar Sekunden der Vergesslichkeit bleiben.

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