Bayern mit 8:0 gegen Schalke:Schon wieder beängstigend gierig

FC Bayern Muenchen v FC Schalke 04 - Bundesliga

Joshua Kimmich brüllt seine Freude heraus.

(Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Der FC Bayern macht in der neuen Spielzeit so weiter wie in der Triple-Saison: gnadenlos und mit intensivem Pressing. Lässt sich das durchhalten?

Aus dem Stadion von Tim Brack

Leroy Sané und Serge Gnabry bauten Spannung auf. Gleich würde das Signal kommen, das wussten beide. Sie harrten an den Seiten des Strafraums aus, die Knie leicht gebeugt, der Oberkörper nach vorne gerichtet. Dann der Startschuss: Schalkes Torwart Ralf Fährmann hatte den Ball gespielt. Sané und Gnabry schnellten vorwärts, perfekt aufeinander abgestimmt, zwischen ihnen Robert Lewandowski. Dahinter jagte der Rest der Bayern-Mannschaft den Ball, jeder wusste, was er zu tun hat, wohin er laufen muss. Die Schalker überwältigte dieses perfekt synchronisierte Ballett, der Ball landete bei einem Münchner.

Szenen dieser Art wiederholten sich mehrfach im Eröffnungsspiel der 58. Bundesliga-Saison. Für die Schalker verlief es alles in allem so, als habe jemand die Büchse der Pandora über ihren Köpfen geöffnet. Als prasselte all das Übel daraus ausschließlich auf sie. Mit 8:0 (!) fertigte der FC Bayern die Gäste aus dem Ruhrpott ab. Die krachende Auftaktniederlage hatte natürlich nichts mit dem Behältnis aus der griechischen Mythologie zu tun. Eher schon mit der Büchse des Hansi, in der sich bekannte taktische Mittel verbergen. Denn die Bayern von Trainer Flick führten trotz eines kurzen Urlaubs ihr intensives Pressing auf, trotz einer Triple-Saison verströmten sie eine Gier aufs Siegen. Das war in dieser Form durchaus bemerkenswert - und auch ein wenig beängstigend.

Wer die Bayern im Energiesparmodus erwartet hatte, den belehrten sie eines Besseren. Der Triple-Sieger ließ es keine Spur gemächlich angehen, auch wenn die neue Saison einen aufgrund der Corona-Pandemie dicht getakteten Spielplan bereit hält. Flick hatte vor der Liga-Eröffnung zwar angedeutet, seine Mannschaft könne in manchen Phasen gemäßigter auftreten, sich im Ballbesitz erholen. Gegen Schalke war davon beinahe nichts zu sehen. Angeführt vom Pressing-Chef Thomas Müller hetzten die Münchner bei jeder Gelegenheit dem Ball nach, als hätten sie ein zweimonatiges Trainingslager mit Felix Magath hinter sich, in dem nur Medizinbälle verordnet waren.

Schalke präsentiert sich dabei als gefälliges Opfer

Im Moment "ist noch der Spirit drin", sagte Flick über die Angriffslust. Schlimm sei das aber nicht. "Wir wollen von unserer Spielidee nicht abgehen", erklärte der Bayern-Trainer, diese habe auf der ganzen Welt Sympathien gebracht. Aber: Ab und an müsse man cleverer agieren, den Gegner laufen lassen. "Damit kann man sich ein bisschen erholen", sage der 55-Jährige. Doch natürlich meinte er das nicht als ernsthafte Kritik nach einem fulminanten Auftritt, bei dem Gnabry (4./47./59.), Leon Goretzka (19.), Lewandowski (31./FE), Müller (69.), Sané (71.) und der 17-jährige Einwechselspieler Jamal Musiala (81.) die Tore schossen. "Wir haben es hervorragend gemacht. Vor dem Spiel haben wir es als Standortbestimmung ausgegeben", sagte Flick, "die haben wir bravourös gemeistert."

Schalke präsentierte sich dabei als gefälliges Opfer. Verteidigte erst passiv, rannte dann in Konter hinein, die vor allem das Sprinter-Duo Gnabry/Sané nutzte. "Was wahnsinnig ärgerlich ist: Dass wir nach dem vierten, fünften Tor weiter nach vorne spielen wollten, das war naiv", sagte Schalke-Trainer David Wagner. Er hob aber auch die Qualität des Gegners hervor. Und niemand konnte ihm in diesem Punkt guten Gewissens widersprechen. Allerdings brachte Verteidiger Bastian Oczipka die Schalker Leistung auf den Punkt: "Dieses Ergebnis ist eine Schande."

Wie lang halten die Bayern dieses Tempo durch?

Ein wenig war der Bayern-Trainer Flick auch selbst schuld an der Unnachgiebigkeit seiner Spieler in Sachen Pressing. Er lebte gegen Schalke diesen Erfolgshunger vor. Als es bereits 7:0 stand, rief er weiter aus seiner Coaching Zone hinaus aufs Feld, ordnete seine Elf. "Es war mir wichtig, die Mannschaft auf Linie zu halten", erklärte er. Die Null sollte schließlich auch ins Ziel gebracht werden. Ob die Extra-Motivation wirklich nötig war für die Spieler? Sie machten eher den Eindruck, als hätten sie bereits im Urlaub nervös mit den Füßen im Sand gewippt in Erwartung der neuen Saison. "Das gesamte Team war hungrig und hat sich auf den Neuanfang gefreut", sagte Sané beim Streamingdienst Dazn.

Die große Frage ist: Wie lang halten die Bayern dieses Tempo durch? Etwa bis zum Ende der Saison? Spannung in der Meisterschaftsfrage wäre damit praktisch ausgeschlossen. Doch der bayerische Spielstil ist auch kräftezehrend, und die Reserven beim Meister sind begrenzt. Thiago (Liverpool) ist der jüngste Abwanderer. Javi Martínez könnte bald dessen Beispiel folgen und zu Athletic Bilbao gehen. Aktuell haben die Münchner den zahlenmäßig kleinsten Kader der Bundesliga.

Kahn lässt deutlich durchblicken, dass die Alaba-Seite in seinen Augen zu viel Geld verlangt

"Natürlich machen wir uns Gedanken", sagte Vorstandsmitglied Oliver Kahn im ZDF, "es sind unglaublich viele Spiele, die auf uns zukommen. Wir werden in aller Ruhe weitere Überlegungen anstellen, wir sind ständig im Austausch mit Hansi Flick." Allerdings müsse man "nicht immer gleich von Neuverpflichtungen reden, sondern schauen, was wir selbst noch in der Hinterhand haben". Trotz dieser Aussagen gibt es Berichte, der FC Bayern sei sich bereits mit Ajax Amsterdam über den Transfer des Außenverteidigers Sergiño Dest einig.

Mit David Alaba konnte in Sachen Vertragsverlängerung jedoch noch keine Einigung verkündet werden. Der Innenverteidiger, der noch ein Arbeitspapier bis 2021 besitzt, fehlte gegen Schalke mit muskulären Problemen. "Wir sind gut beraten, Ruhe zu bewahren", mahnte Kahn in der Causa an. "Wir sind weiter mit ihm im Austausch. Er weiß, wie sehr wir ihn als Mensch und Spieler schätzen." Kahn ließ aber recht deutlich durchblicken, dass die Alaba-Seite in seinen Augen zu viel Geld will. "Wir leben nicht mehr in der Fußballwelt vor Corona", sagte Kahn. Man müsse auch die "wirtschaftliche Seite bedenken". Zurzeit ziemt sich beim FC Bayern eher das Verlangen nach dem Ball.

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