Süddeutsche Zeitung

Bayern nur Remis in Neapel:Fahrlässig lässig

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Der FC Bayern gewinnt doch nicht immer: Nach starkem Beginn machen die Münchner beim Champions-League-Spiel in Neapel immer mehr Fehler und geben die zerfahrene Partie grundlos aus der Hand. Am Ende steht es 1:1 - auch, weil dem zuletzt so treffsicheren Mario Gomez die vermeintlich einfachste Übung im Fußball misslingt.

Anfang des Jahrtausends war dieser Begriff geschützt: Die Galaktischen, das war Real Madrid, das waren Zidane und Ronaldo und Beckham und Figo. Keiner, das stand fest, würde je so ruhmreich, so teuer und so gut aussehend sein können wie diese glorreichen Vier - außer natürlich Gomez und Schweinsteiger und Boateng und Kroos zehn Jahre später. "Eine galaktische Elf" habe der FC Bayern, sagte Neapels Trainer Walter Mazzarri vor dem Treffen mit dem Münchnern.

Zweierlei fällt auf in diesen Tagen: dass die Gegner - egal, ob Hertha oder Napoli - den FC Bayern schon vor Spielbeginn ausgiebig besingen; und dass die Bayern den an Unterwerfung grenzenden Respekt des Gegners dankbar zu frühen Toren nutzen. 99 Sekunden dauerte es bei diesem dritten Vorrundenspiel der Champions-League-Gruppe A, bis Toni Kroos das 1:0 erzielen durfte, es war ein Beginn, der vieles versprach - und zu wenig hielt.

Trainer Jupp Heynckes musste erstmals erleben, wie seine Elf nach starkem Beginn ihre Coolness einbüßte - am Ende eines eher zerfahrenen Spiels stand ein 1:1, das sich die Münchner selbst zuzuschreiben hatte.

Ein Sieg wäre auch nicht unverdient gewesen", sagte Heynckes später und verwies auf "die Dominanz in der zweiten Hälfte". In der Tat standen am Ende 15:2-Torschüsse in der Statistik - dennoch waren die Bayern weit entfernt von der Souveränität der vergangenen Wochen. In der Tabelle der Gruppe A bleiben die Bayern aber souverän vorn.

Toni Kroos' frühes Tor sollte gut zu einer Partie passen, die sich stellenweise den gängigen Interpretations-Standards entzog. Hat man je gesehen, dass ein Spieler in einer Champions-League-Partie vor dem feindlichen Strafraum so viel Platz bekommt, dass der Mannschaftsbus des FC Bayern in diesem Raum problemlos wenden könnte? Boateng hatte nach innen gepasst, wo sich Kroos den Ball so unbedrängt vorlegen durfte, wie man das nicht mal abends beim Betriebsfußball auf der grünen Wiese kann.

Die Dreier-Abwehrkette der Italiener erwies sich als interessante Einrichtung: Die drei Verteidiger standen anfangs so spektakulär weit auseinander, wie Trainer Mazzarri das eher nicht in Auftrag gegeben hatte. In dieser Phase war das die offenste italienische Abwehrformation seit Erfindung des Catenaccio.

Die Bayern müssen sich vorwerfen lassen, dass sie diese ungewollte taktische Innovation zwar mit Vergnügen beobachteten, dass sie locker und lässig den Ball an und in der Dreierreihe hin- und her schoben - dass sie die gegnerische Schwäche aber nicht weiter ausnutzten. Entspannt kontrollierten sie die Partie, entspannt nahmen sie zur Kenntnis, dass der lustige Dreierbund der Italiener ins Wackeln geriet, sobald die Münchner ihr Spiel ein wenig beschleunigten - aber irgendwann, zwischen Minute 30 und 40, überschritten die Münchner eine unsichtbare Grenze. Es war die Grenze, die Lässigkeit von Fahrlässigkeit trennt.

Aber vielleicht lässt sich Leichtsinn gar nicht vermeiden, wenn Boateng im gegnerischen Strafraum einen Scherenschlag ansetzen darf, der fast im Tor gelandet wäre (33.). Boateng ist ein guter Spieler, aber vor dem Tor ist er galaktisch ungefährlich.

Die Bayern nahmen's zum Anlass, sich vollends häuslich einzurichten in ihrer komfortablen, aber nicht mehr zwingenden Überlegenheit. So passierte, was nicht passieren durfte: Die Gastgeber fanden zurück ins Spiel, kombinierten flink und unberechenbar, Heynckes musste mit ansehen, wie seine seit mehreren Jahrmillionen unbezwungene Elf auf einmal offene Flanken zeigte.

Die Bayern brauchten eine Weile, um die Maschinen wieder auf ernsthaften Champion-League-Betrieb zu schalten - während sie noch damit beschäftigt waren, preschte Maggio die rechte Seite entlang, Kroos stellte den Passweg nicht zu, Lahm stand windschief im Raum und schaffte es nicht, Maggio zu bremsen - dessen Schuss sauste in die Mitte, wo Badstuber den Ball ins eigene Netz lenkte.

Es war das 1:1 (39.), das erste Gegentor nach 1146 Pflichtspiel-Minuten - ein Tor, das aus dem Nichts kam, einerseits. Aber die Bayern hatten dieses Nichts auch irgendwie heraufbeschworen.

Bayerns Spiel wirkte nun nicht mehr so konzentriert, nicht mehr so seriös wie zuletzt. Dazu passte der Elfmeter, den Gomez verschoss; lasch und ohne Spannung trat er den Ball in die Arme von Keeper de Sanctis (48.). Schiedsrichter Benquerenca hatte eine unnatürliche Handbewegung von Cannavaro bestraft, bei einer ähnlichen Szene von Schweinsteiger war seine Pfeife stumm geblieben. Fernsehbilder wiesen Blitze eines grünen Laserpointers in Gomez' Gesicht nach; ob ihn die Störung aus dem Publikum behinderte, war nicht nachzuweisen.

Die Partie blieb so eigenartig wie diese Szene. Bayern war überlegen, Bayern besaß meistens den Ball und hatte auch gute Chancen, aber es fehlten Klarheit und Überzeugung der letzten Wochen. Das Duell blieb ein rechtes Durcheinander, weshalb sich die Bayern irgendwann darauf konzentrierten, den einen Punkt zu retten. Das gelang. Und in zwei Wochen sieht man sich wieder.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2011
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