Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Luxusproblem in der Innenverteidigung

  • Vor dem Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League des FC Bayern gegen den FC Liverpool ist Jérôme Boateng wieder eine Option in der Innenverteidigung.
  • Mats Hummels dürfte gesetzt sein. Das Duell zwischen Niklas Süle und Boateng ist auch eines zwischen der defensiven Stabilität und mehr offensiver Dynamik.

Von Benedikt Warmbrunn

Niko Kovac zieht beide Mundwinkel zur Seite, sein Mund ist nun eine Gerade, die streng parallel verläuft zu seinen Augenbrauen und auch zu den Falten, die sich auf seiner zusammengezogenen Stirn stapeln. Diese Mundgerade scheint aber immer wieder durch ein leichtes Zucken zu vibrieren, es wirkt, als ob Kovac sich bloß kein Lächeln erlauben will. Natürlich könnte er etwas verraten, natürlich könnte er sagen, wie weit er mit seinen Gedanken gekommen ist. Aber lieber lächelt Kovac das geradeste Lächeln des Weltfußballs.

Dienstagmittag, der Pressesaal der Münchner Arena. Kovac sieht frisch aus, die Haare sind exakt gescheitelt, dazu trägt er einen dunklen Trainingsanzug, der ihm eine gewisse Lässigkeit verleiht. Knapp 30 Stunden sind es an diesem Mittag bis zum wichtigsten Spiel in der noch jungen Schaffensphase von Kovac als Trainer des FC Bayern, bis zum Rückspiel im Achtelfinale der Champions League gegen den FC Liverpool an diesem Mittwoch (21 Uhr).

Im vergangenen Herbst, als Kovac zeitweise um seinen Job fürchten musste, sah er auch angestrengt, gar erschöpft aus, mit einem Mehrtagebart, mit einem nicht ganz so exakt gezogenen Scheitel, und hatte er nicht sogar auch Augenringe? Am Dienstag aber präsentiert sich ein völlig entspannter Bayern-Trainer. Kovac hat das Hinspiel mit seiner defensiven Taktik 0:0 gewonnen, es war sein erster großer Auftritt als Trainer auf internationaler Bühne, es war sein Abend. Und gegen die Probleme aus der herbstlichen Krise sind die Probleme vor diesem Rückspiel ausgesprochen erholsame Luxusprobleme.

"Es kann 1 mit 2 spielen, 2 mit 3 und 1 mit 3", sagt Niko Kovac

Kovac verkündet, dass der zuletzt angeschlagene David Alaba voraussichtlich als Linksverteidiger auflaufen kann. Er erklärt, dass der zuletzt verletzte Kingsley Coman "für morgen fit ist", was ihn, Kovac "sehr glücklich" macht. Das eine Luxusproblem ist für ihn also, ob auf dem linken Flügel Coman oder Franck Ribéry anfängt. Das zweite Luxusproblem ist jenes, das auf das Gesicht des Trainers dieses schnurgerade Lächeln zieht.

Der bisherige Verlauf der Saison der Bayern lässt sich gut am Zustand der Innenverteidigung erklären. Am Anfang, als die Mannschaft von Sieg zu Sieg eilte, wirkte es so, als habe Kovac für die zwei Plätze im Zentrum der Abwehr drei Stammspieler, munter wechselte er hin und her zwischen Jérôme Boateng, Mats Hummels und Niklas Süle. In der Krise wurde dann die Innenverteidigung als Schwachstelle identifiziert. Boateng erlaubte sich kuriose Fehler. Hummels war zu langsam. Kurz vor Weihnachten setzte Kovac konsequent auf Boateng und Süle, kurz nach Weihnachten erklärte er Süle zur Nummer eins und Hummels knapp zur Nummer zwei; die beiden verteidigten auch beim 0:0 in Liverpool. Danach schien eigentlich keine weitere Diskussion mehr nötig zu sein.

Zuletzt spielte aber Boateng dreimal in der Liga durch, die zuvor fast chronisch anfällige Mannschaft kassierte dabei nur ein Gegentor. Dass Bundestrainer Joachim Löw in der vergangenen Woche Hummels und Boateng aus der Nationalelf verbannte, scheint in beiden eine zusätzliche Motivation freigesetzt zu haben. Also, Herr Kovac, wer wird gegen Liverpool in der Innenverteidigung spielen?

Löw kommt

Werden sie sich begrüßen? Die Hand schütteln? Umarmen? Miteinander reden? Bundestrainer Joachim Löw wird jedenfalls im Stadion sein, wenn der FC Bayern am Mittwoch auf den FC Liverpool trifft - acht Tage, nachdem er Thomas Müller, Jérôme Boateng und Mats Hummels in München die Ausbootung aus der Nationalelf bekanntgegeben hat.

Er sitzt bei seinen Besuchen in München meistens eine Reihe unterhalb der Bayern-Chefetage; auch der rotgesperrte Müller wird auf der Tribüne Platz nehmen. Aus dem Weg gehen kann man sich dort kaum und Gesprächsbedarf gibt es genug.

Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hatte sich in einer gemeinsamen Erklärung mit Sportdirektor Hasan Salihamidzic "irritiert" über Löws Vorgehen gezeigt, Präsident Uli Hoeneß hat noch nichts gesagt, aber eine Stellungnahme für die Zeit nach dem Liverpool-Spiel angekündigt - und Müller hatte in einer Videobotschaft vor allem die Art und Weise kritisiert, in der ihm der Bundestrainer seinen Entschluss verkündet hatte. Löw will in München nach Informationen der Bild-Zeitung mit seinen Assistenten Marcus Sorg und Andreas Köpke sowie Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff die Nominierung für den Auftakt des Länderspieljahres in der kommenden Woche besprechen. Am 20. März trifft die Nationalelf zunächst in Wolfsburg auf Serbien, ehe vier Tage später in Amsterdam gegen die Niederlande die Qualifikation zur Europameisterschaft 2020 beginnt.

Erklärungen gibt es voraussichtlich aber erst zum Ende der Woche: Am Freitag wird der Bundestrainer in Frankfurt eine Pressekonferenz geben und dabei "das Aufgebot nominieren und seine grundsätzlichen Überlegungen erläutern", wie es in einer Ankündigung vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) heißt. Üblicherweise erfolgt die Kadernominierung nur in Form einer Pressemitteilung. SZ

Kovac grinst geradlinig, dann sagt er: "Ich habe es am Anfang der Saison gesagt, wir haben drei Weltklasse-Innenverteidiger, drei deutsche Nationalspieler. Ich kann eigentlich die Augen schließen und zusehen: Wen habe ich dort ausgesucht?" Wer im Rückspiel anfängt, ist aber nicht nur eine Frage der Hierarchie, es ist auch die Frage, wie viel offensiven Drang der bislang bevorzugt defensiv denkende Kovac zulassen will. Er sagt: "Ich habe eine Idee für morgen, aber die Idee ist noch nicht ganz abgeschlossen, so dass ich nicht zu sehr ins Detail gehen möchte." Nur so viel Detailgenauigkeit lässt er zu: "Es kann 1 mit 2 spielen, 2 mit 3 und 1 mit 3."

Die Variante aus dem Hinspiel mit Süle und Hummels war diejenige, die am meisten defensive Stabilität garantiert. Süle ist schnell, kantig, zweikampfstark. Daneben Hummels, an dem Kovac dessen Übersicht schätzt, in Abwehraktionen, im Spielaufbau. Da die Mannschaft sich in Liverpool insgesamt sehr defensiv positionierte, war die Spieleröffnung nicht allzu gefragt - wobei Liverpool durchaus darauf reagierte, welcher Innenverteidiger den Ball führte. War es Hummels, zog sich das Team von Jürgen Klopp meist weit zurück. War es Süle, blieb ihm wenig Zeit vor den Attacken des Gegners. Und so spielte der 23-Jährige viele Bälle quer oder gar zurück - und folgte dabei der Vorgabe von Kovac, dass der Ball nie zu lange an der Mittellinie hin und her gepasst werden darf, um keine Kontermöglichkeit zuzulassen.

Im Rückspiel an diesem Mittwoch muss der FC Bayern gewinnen, der Spielaufbau würde daher von einem Duo Hummels/Boateng profitieren, da beide mit ihren weiten, langen Bällen die gewohnte Balleroberungszone der Engländer überspielen könnten. Hummels dürfte dadurch gesetzt sein. Das Duell zwischen Süle und Boateng ist also auch eines zwischen der defensiven Stabilität und mehr offensiver Dynamik. "Wir müssen nach vorne effektiver werden. Wir müssen die Räume sehen und dann auch bespielen", sagt Kovac am Dienstag. Er sagt aber auch: "Man wird nicht erwarten können, dass wir morgen die Maske abreißen und dann Holla die Waldfee nach vorne marschieren - und vielleicht ins Verderben."

Denkbar wäre übrigens auch eine dritte Option: dass 1 mit 2 und 3 spielen. Zu Beginn seiner Karriere hatte Jérôme Boateng oft als Rechtsverteidiger gespielt - es wäre aber eine für den auch taktisch oft so exakten Kovac eine eher unkonventionelle Maßnahme. Den gesperrten Rechtsverteidiger Joshua Kimmich wird daher wohl Rafinha ersetzen. Wie genau seine Aufstellung aussehen wird, verrät Kovac am Dienstag also nicht, er verspricht nur: "Ein 0:0 wird es morgen nicht geben."

Dieses Versprechen hatte er allerdings bereits vor dem Hinspiel gegeben.

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SZ vom 13.03.2019/chge
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