FC Bayern gegen Leipzig:Untergewicht in der Abwehr

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Ab der nächsten Saison in einem Team: Die Franzosen Dayot Upamecano (links) und Lucas Hernandez. (Foto: Bernd Feil/M.i.S./Imago)

Das Spitzenspiel gegen Leipzig lenkt den Blick auf die Zukunft des FC Bayern: Wird RB-Verteidiger Upamecano bald in die Münchner Viererkette wechseln? Das hängt auch von Süle, Alaba und Boateng ab.

Von Sebastian Fischer und Christof Kneer, München

Es ist gut möglich, dass am vergangenen Wochenende eine neue Ära begonnen hat. Vielleicht wird man später einmal auf diese 69. Spielminute zurückblicken, vielleicht werden sie das in irgendeiner nostalgischen Sendung noch mal zeigen: Wie Jérôme Boateng bei einem Spiel in Stuttgart etwas unrund nach draußen trabt und den jungen Mann abklatscht, bei dessen Namen die Reporter noch nicht ganz textsicher sind.

Heißt er Tanguy Kouassi, so wie er mal angekündigt wurde, als er aus Paris zu den Bayern kam? Heißt er Tanguy Nianzou, wie ihn jetzt alle nennen? Oder heißt er Tanguy-Austin Nianzou Kouassi, wie es bei Wikipedia steht?

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Wer es genau nimmt, sollte sich an letzteren Namen halten, aber wenn es stimmt, was alle sagen, wird es in absehbarer Zeit eh egal sein, wie man ihn nennt. Es werden ihn eh alle kennen. Wer sich durch die Branche fragt, erhält ein Meinungsbild, von dem jeder Despot nur träumen kann. Etwas über 100 Prozent aller Befragten sagen Sachen wie: "Er ist ein Ausnahmetalent und wird einer der besten Innenverteidiger der nächsten zehn Jahre" (Ralf Rangnick); oder: "Er ist das größte Talent, das ich je gesehen habe" (Zsolt Löw, Assistent von Thomas Tuchel in Paris); oder: "Vollgranate" (Bayerns ehemaliger Kaderplaner Michael Reschke).

Vielleicht wird die 69. Spielminute einmal die Minute gewesen sein, in der Boateng, Weltmeister und doppelter Triple-Sieger, einen nur für Experten sichtbaren Staffelstab an seinen Nachfolger übergeben hat.

Boatengs Vertrag läuft im Sommer 2021 aus, Verbleib fraglich

Das Erstaunliche an den Hymnen auf den jungen Franzosen ist ihre Überparteilichkeit, sie kommen aus der Leipziger Gegen-den-Ball-Fraktion ebenso wie aus der Mit-Ball-Fraktion des FC Bayern. Aber Tanguy Nianzou, Geburtsjahr 2002, hat noch eine weitere Eigenschaft, die ihn im Moment auf verblüffende Weise besonders macht: Er ist der einzige klassische Innenverteidiger, von dem ganz, ganz sicher zu sein scheint, dass er auch in der kommenden Saison zum Kader des FC Bayern gehören wird.

Jérôme Boateng: Sein Vertrag läuft im Sommer 2021 aus, Verbleib fraglich. David Alaba: Sein Vertrag läuft im Sommer 2021 aus, Verbleib fraglich. Niklas Süle: Sein Vertrag läuft noch bis 2022. Ein Verbleib? Schon sehr wahrscheinlich, er soll ja der neue Abwehrchef werden, aber weiß man's? Zuletzt war ein leises Knirschen zwischen Süle und Hansi Flick zu vernehmen, der Trainer strich ihn nach acht Tagen Quarantäne wegen eines falsch-positiven Corona-Tests und den anschließenden Länderspielen wegen "Trainingsrückstands" aus dem Aufgebot. Natürlich ist dann von allen zuständigen und vor allem nicht-zuständigen Leuten gleich wieder Süles Körper vermessen worden, per Augenschein natürlich nur, hat er wieder zu viel drauf?, fragen die Leute dann immer reflexhaft. Süle kennt das schon.

Aber um Übergewicht geht es in Bayerns Abwehr gerade eher nicht. Wer sich die Liste der potenziellen Abschiede anschaut, käme eher auf die Idee, demnächst ein Untergewicht in der Abwehrzentrale zu diagnostizieren.

Am Wochenende kommt RB Leipzig zum Spitzenspiel nach München, die Trainer sind immerhin schon in Topform. Er gehe davon aus, dass die Bayern "gegen uns wieder diese maximale Schärfe haben werden, um im Heimspiel ihrem Platzhirsch-Dasein gerecht zu werden", sagt Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann, was der Kollege Flick bestätigt. "Es geht darum, dass Champions immer da sind, wenn sie große Spiele vor der Brust haben. Wir müssen einfach bereit sein, in diesem Spiel mehr zu investieren als Leipzig."

Es ist aber auch so, und da treffen sich die Themen wieder: Beim Versuch, wie ein Champion zu spielen, werden die Bayern unter anderem einen Spieler überwinden müssen, dem sämtliche Experten ebenfalls eine Karriere als Champion zutrauen: Dayot Upamecano - ein imposanter Abwehrspieler von RB Leipzig, mit dem sich die Bayern, wie das im Branchendeutsch heißt, natürlich beschäftigen. Das bedeutet so viel wie: Die Bayern sind interessiert, sie checken mal die Konditionen, und sie überlegen, wie ihre Kaderstruktur da hinten künftig aussehen könnte. Upacemano soll im Vertrag eine schicke Ausstiegsklausel stehen haben, wonach er im kommenden Sommer zu einem Verein überlaufen könnte, der die angeblich etwas über 40 Millionen Euro hinblättert.

Upacemano ist für den FC Bayern eine Rechenaufgabe, in der ein paar Unbekannte stecken: Natürlich könnten sie sich Ablösesumme und Gehalt leisten, aber es wäre selbst für einen Festgeldkontoverein ein durchaus gewaltiges Investment, das dann womöglich andere gewaltige Investments verhindern könnte. Also werden die Bayern abwägen, was ihnen dieser gigantische Franzose im wahrsten Sinne des Wortes wert ist. Was passiert mit Alaba? Was wird mit Süle? Bleibt Boateng vielleicht doch nochmal, nachdem ihn Hansi Flick gerade erneut seiner Wertschätzung versichert hat und Vorstandsmitglied Oliver Kahn Gespräche in Aussicht stellte? Wo sieht Flick die anderen Franzosen, Lucas Hernandez und Benjamin Pavard, weiterhin in der Außen- oder vielleicht doch in der Innenverteidigung?

Und natürlich: Wie und wie schnell entwickelt sich Tanguy Nianzou?

Der FC Bayern hat zuletzt auch deshalb jeden Titel geholt, der nicht bei drei in der Vitrine war, weil er auf jene stabile Achse vertrauen konnte, die Flick quasi als erste Amtshandlung installiert hatte: Neuer - Alaba - Kimmich/Goretzka - Müller - Lewandowski. Auf mögliche Abschiede in ihrer Abwehr wären die Bayern zwar vorbereitet, dennoch müsste Flick dann zwischen Neuer und Kimmich ein neues Modul in seine Achse einbauen. Am Freitag sagte er aber erst mal, dass derzeit eher die Vor- und Nachbereitung von Spielen "im Fokus" stehe. Vertragsverlängerungen seien "aktuell kein Thema für uns".

Tanguy Nianzou wird gegen Leipzig vermutlich schon mal auf der Bank sitzen.

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