Bayern-Gegner Schachtjor Donezk:Klub-Präsident Achmetow ist geflüchtet

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Auf dem Platz passiert nicht sonderlich viel, das sind die Momente, in denen die Menge sich selber unterhält. Auf einer Tribünenseite ruft sie "Slawa Ukraini", Ruhm der Ukraine, von der anderen donnert das Echo: "Slawa." So geht das minutenlang hin und her, rechts "Slawa Ukraini" - links "Slawa". Einmal ruft es aus dem Zuschauerblock "Donezk ist Ukraine". Natürlich. Aber gemeint ist es wohl so: Donezk ist nicht Russland. Nicht Neurussland.

Was für eine Ironie ist das nur, dass ausgerechnet im Westen der Verein um Punkte kämpft. Rinat Achmetow, der Milliardär und Oligarch, der reichste Mensch in der Ukraine - er ist auch der Präsident des Klubs. Früher war Dynamo Kiew der dominierende ukrainische Verein, und man kannte in Europa vor allem Oleg Blochin, diesen pfeilschnellen Stürmer. Aber Achmetow, der sein Industrie-Imperium im Donbass hat, wollte den Osten zum Zentrum des nationalen Fußballs machen. Viel Geld steckte er in den Verein. Er holte große Namen aus dem Ausland, Nevio Scala kam, der Italiener, auch Bernd Schuster, der "blonde Engel", war einmal Trainer. Jetzt ist der Klub Serienmeister, dauerpräsent in der Champions League. Rund ein Dutzend Brasilianer spielt für den Verein, Luiz Adriano führt die Torschützenliste der Champions League an, vor Lionel Messi. Schachtjor ist seit Jahren schon die beste Adresse in der Ukraine. Donezk ist es nicht mehr.

Klub-Präsident Achmetow ist wegen der Separatisten nach Kiew geflüchtet. Im Sommer hatten sie eine seiner Fabriken besetzt. Der Verein selber logiert nun vorübergehend in einem vornehmen Hotel in Kiew. Auch die Spieler mussten mit den Familien ihre Wohnungen im Osten verlassen, sie leben nun in der Hauptstadt. Das Klubmuseum, vor zwei Jahren als das größte der Ukraine eröffnet und mit einem "European Museum of the Year 2012 Award" ausgezeichnet, ist geschlossen. Die Exponate mussten in Sicherheit gebracht werden, unter ihnen fünf Meistertrophäen aus den vergangenen fünf Jahren, der Uefa-Pokal von 2009, der in der Mitte eines Ausstellungsraums auf einem Sockel thronte. All das lagert nun an einem geheimen Ort. "Wo, das kann ich Ihnen nicht verraten", sagt der Museumsdirektor Andrej Babeschko. "Aber es ist unsere ganze Geschichte."

Es gibt noch andere Fragen, die ungeklärt sind. Wie es weitergehen soll mit dem Fußball in der Ostukraine, was passiert, wenn der Krieg zu einem dieser Konflikte wird, die man eingefroren nennt, weil sie einfach ausharren, ungelöst, jederzeit erhitzbar. Und ob Schachtjor Donezk irgendwann die Heimat wiedersieht. Kapitän Darijo Srna hat mal gesagt, "eines Tages wird der Krieg enden, wir werden zurückgehen nach Donezk und seine Straßen küssen". Aber was für ein Minenfeld der politische Konflikt für einen Fußballer sein kann, hat der Verteidiger Jaroslaw Rakizkij erfahren. Bei einem Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft verzichtete er darauf, die Hymne der Ukraine zu singen, und ukrainische Medien zogen gegen ihn zu Felde, warfen ihm vor, mit den Separatisten zu sympathisieren, sich am liebsten auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim erholen zu wollen. Rakizkij sagte zu all dem dann nichts. Und auch die Klubführung gibt sich wortkarg. Sie ließ mehrere Anfragen für ein Gespräch ins Leere laufen, lehnte längere Spieler-Interviews ab. Als wäre der Verein auf der Hut in diesen empfindlichen Zeiten.

Es ist ja vieles durcheinandergeraten in den letzten Monaten. Viele Fans von Schachtjor haben wegen der Separatisten die Region verlassen, einige haben sich an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Armee beteiligt. Einmal, als Schachtjor noch in der Donbass-Arena spielte, waren bei einem Spiel gegen Mariupol gerade mal noch 18 000 Zuschauer. Es kam zu Spannungen zwischen Fans und Verein. Nicht nur, aber auch, weil der Präsident und Unternehmer Achmetow eine unklare Rolle im politischen Konflikt spielt. Er ist Opfer der Separatisten-Herrschaft, einerseits. Denn diese haben sich ja breit gemacht in seinem Revier der Bergarbeiter, der "Schachtjori". Aber es gibt auch Kritik, dass er sich nicht deutlich genug gegen sie stellt. In der Lwiw-Arena hat er sich bisher nicht sehen lassen.

Und so begegnen die Menschen im Westen der Ukraine dem Verein zwiespältig. Wissen nicht so recht, wofür der Klub aus dem Osten und sein reicher Präsident eigentlich stehen, außer für Erfolg und großartigen Fußball. Für manche Ukrainer steht Schachtjor stellvertretend für den russisch geprägten Osten, während es die Westukrainer, die Menschen in Lwiw, nach Europa zieht. Aber der Klub ist eben auch Opfer des Konflikts, entwurzelt. Jedenfalls: Die Ukraine im Tempel Champions League - das ist Schachtjor.

Die Separatisten der "Volksrepublik Donezk" rechnen offenbar nicht mehr mit dem Verein. Sie denken nach Berichten ukrainischer Medien schon darüber nach, in ihrem Herrschaftsgebiet einen neuen Klub zu gründen, einen "Volksklub Schachtjor". Umgekehrt gab es zuletzt Gerüchte, Schachtjor spiele schon mit dem Gedanken, sich in Lwiw einzurichten, weil es ein Zurück vorerst ohnehin nicht gibt. Aber Donezk dauerhaft in Lwiw, das wäre genau das, was Wolodymyr nicht will.

Wolodymyr, seinen Nachnamen will er nicht nennen, ist 27, ein schlaksiger junger Mann, der sich die Spiele von Schachtjor nicht entgehen lässt. Nicht in seiner Stadt. Er leitet in Lwiw den Fanklub von Schachtjor Donezk. Ein Fan der Schwarz-Orangen im Westen, das ist eine Rarität. Die wenigen, die im Spiel gegen Dnjepropetrowsk für Schachtjor klatschen, sind aus dem Osten geflüchtet, sind aus Kiew oder der Umgebung angereist oder mit organisierten Bussen aus Donezk. Wolodymyr hat mal zwei Jahre in Donezk gelebt, sein Großonkel war dort Bergmann. Aber er hat andere Gründe für seine Leidenschaft. Ihn hat es gepackt, als Schachtjor mal vor vielen Jahren in einem Champions-League-Spiel den FC Arsenal an den Rand einer Niederlage brachte, 2:0 führte, und dann doch noch verlor.

So ist das in der Ukraine: Wer die Champions-League-Hymne hören will, muss dorthin, wo Schachtjor Donezk spielt. Wolodymyr glaubt, die nächsten Jahre wird das Lwiw sein. "Aber wir Fans wollen, dass das zeitlich befristet ist." Er hofft, dass irgendwann die Separatisten das Feld vielleicht doch noch verlassen. Und Schachtjor wieder dorthin geht, wo es für ihn hingehört. Zurück von West nach Ost.

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