Bayern gegen Dortmund:Guardiola und Tuchel: Wie Blutsverwandte

Dortmund Trainer Thomas Tuchel Borussia Dortmund und Trainer Pep Guardiola FC Bayern Muenchen be; Pep Guardiola und Thomas Tuchel

Machen sogar die gleichen Gesten: Pep Guardiola (links) und Thomas Tuchel.

(Foto: imago/Eibner)

Die Geistesbrüder Tuchel und Guardiola beweisen, dass auch kopfgesteuerter Fußball ein buntes Spektakel hervorbringen kann. Schade, dass es ihr vorerst letztes Duell war.

Von Christof Kneer, Dortmund

Pep Guardiola wird die Liga verlassen, ohne dass man den wahren Geheimnissen auf die Spur gekommen ist. Man wird nie erfahren, warum er wirklich geht, man wird nie erfahren, ob er tatsächlich Gedichte liest, und auch nicht, ob er eigentlich selber weiß, was seine Fuchteleien am Spielfeldrand zu bedeuten haben. Und was man ja auch allzu gerne wüsste: Was er sich immer so gedacht hat in den Pressekonferenzen in diesem komischen Land, in dem die Reporter immer so komische Fragen stellen; und ob er überhaupt zugehört hat bei den oberflächlichen Analysen der anderen Trainer. Ob ihn das wirklich interessiert hat, was Huub Stevens so sagte oder Dirk Schuster?

Am späten Samstagabend hat sich Pep Guardiola auf dem Pressepodium leicht nach vorne gebeugt, er hat den Kopf etwas zur Seite gelegt und die Augen zusammengekniffen, der ganze Mann war höchste Konzentration. Er wollte möglichst kein Wort verpassen. Der Mann neben ihm setzte gerade zu einer längeren Rede an, in den schweren Worten dieser seltsamen Sprache, die Guardiola bald nicht mehr braucht. Was Borussia Dortmund noch zum FC Bayern fehle, war Thomas Tuchel gerade gefragt worden, Tuchel überlegte ein wenig und sagte dann: "Alles - oder besser: von allem ein bisschen."

Kein Duell wie Mourinho vs. Guardiola

Der FC Bayern sei in der Zeit nach Jupp Heynckes "noch hungriger, flexibler, einfach noch besser geworden", sagte Tuchel, und dann sprach er über seinen BVB und darüber, dass man gemeinsam versuche, "die Grenzen zu verschieben", und dass man mit diesem "gemeinsamen Spirit" weitermachen wolle, "unabhängig davon, wie gut die Bayern sind". Er habe es "genossen, dieses Spiel zu coachen", sagte Tuchel, und er habe es "bei keiner anderen Mannschaft coachen wollen als bei meiner".

Guardiola schaute beeindruckt, er war fast ein bisschen hingerissen. Man wird natürlich auch das nie erfahren, aber womöglich überlegte er sich gerade, ob er künftig nicht mehr die Gedichte seines Lieblingslyrikers Miquel Martí i Pol lesen, sondern sich stattdessen ein paar Hörspielkassetten von Thomas Tuchel reinziehen soll.

Unter dem Eindruck dieses prächtigen Null-zu-Null muss man wohl leider sagen: Schade, dass es vorbei ist. Schade, dass es das in der Bundesliga nicht mehr geben wird. Das außergewöhnliche Duell dieser sehr gelehrten, sehr tiefschürfenden und manchmal auch sehr pathetischen Trainer hätte das Zeug zum neuen clásico gehabt. Es wäre kein Duell wie Mourinho vs. Guardiola geworden, die sich in aufrechter Feindschaft gegenüberstehen, und es wäre auch keines jener BVB-FCB-Duelle geworden, die man auch schon kennt: Duelle, bei denen sich Matthias Sammer und Jürgen Klopp mit geschwollenen Stirnadern gegenüberstehen; Duelle, bei denen die einen Vorstände sich weigern, sich von den anderen zum Essen einladen zu lassen.

Pep und Thomas: Fast blutsverwandt

Das wäre mal was Neues gewesen: ein Duell zweier Brüder im Geiste, die der gegenseitige Respekt dazu treibt, das Beste aus sich und ihren Mannschaften herauszuholen. Die bei ihren Mannschaften so sehr die Grenzen zu verschieben trachten, wie sie einst in zwei Münchner Bars die Salzstreuer verschoben haben, um längst gespielte Champions-League-Partien noch mal neu zu denken.

Pep Guardiola und Thomas Tuchel sind so etwas wie der Lars und der Sven der Trainerszene. Ihr Zugang zum Spiel wirkt fast so blutsverwandt wie die Bender-Zwillinge, der Zugang ist ähnlich strategisch und komplex, und das Spitzenspiel in Dortmund war der Beweis, dass auch eine kopfgesteuerte Annäherung ans Spiel ein leuchtend buntes Spektakel hervorbringen kann. Der Respekt vor der gegnerischen Elf, aber auch vor den Fähigkeiten des Gegenübers hatte beide Trainer in ihren Denkerstübchen auf eine ähnliche Idee gebracht: Beide blieben einerseits ihrem Ansatz treu und schickten ihre Teams mit provozierender Angriffslust aufs Feld; andererseits versahen sie ihre hoch stehenden Formationen demonstrativ mit einem Tiefschutz. Bei den Bayern rutschte der weit gereiste Seebär Xabi Alonso immer wieder eine Reihe weiter nach hinten, um seine Lebenserfahrung der Vierer-Abwehrkette zur Verfügung zu stellen; beim BVB war es Erik Durm, der die Abwehrkette an ihrem rechten Rand mitunter zu einer Viereinhalber-Kette verbreiterte.

Was dabei herauskam, war vor allem in der ersten Halbzeit ein rasendes Ballett der Salzstreuer. Bezeichnend waren zwei Szenen: Im einen Strafraum stibitzte der Münchner Joshua Kimmich dem Dortmunder Marco Reus in letzter Sekunde den Ball; beim umgehend rollenden Gegenangriff sauste Douglas Costa im anderen Strafraum auf BVB-Torwart Roman Bürki zu, der in letzter Sekunde klärte.

Ob er enttäuscht sei, dass seine Elf den Fünf-Punkte-Abstand auf den FC Bayern nicht verkürzen konnte, wurde Tuchel später gefragt. Er wurde es dann noch mal gefragt und noch mal, und er hat mit immer anderen Worten immer dasselbe geantwortet. Die Antwort hieß: nein.

Und wie wird es mit Ancelotti?

"Im Moment fällt es mir schwer, mich zu ärgern", sagte Tuchel. Auch in diesem Punkt ähneln sich Lars und Sven: Natürlich wollen beide Trainer unbedingt und ganz dringend das Ergebnis erzielen, das die jeweilige Tagesaktualität erfordert, aber sie verstehen sich auch als Trainer, die mehr sind als nur der Mann für eine Nacht. Tuchel reagierte in der zweiten Hälfte auf die zunehmende Dominanz der Bayern, er ließ seine etwas beeindruckt wirkende Elf nicht ins Verderben stürmen. Er wollte das Tagesergebnis nicht erzwingen - nicht um einen Preis, den er nicht kennt.

Es sei wahnsinnig schwer, gegen die Bayern in dieser Verfassung zu verteidigen, meinte Tuchel, "die machen so viele Laufwege, so viele Positionswechsel", da sei er als Trainer "glücklich, dass wir gegen diese Bayern die Ordnung nicht verloren haben". Und dann sagte Tuchel noch, das Ergebnis interessiere ihn "gar nicht".

Lars Tuchel ist ein Entwicklungstrainer wie Sven Guardiola, er hat in diesem Abend schon ein bisschen die Zukunft gesehen. Er hofft und ahnt: Wenn seine Elf unter Druck noch ein paar klarere Entscheidungen zu treffen lernt, könnte die Liga in der kommenden Saison - vielleicht - ein ernsthafteres Duell erleben. Carlo Ancelotti, der übrigens weder mit Pep Guardiola noch mit Thomas Tuchel verwandt ist, sollte sich mit der Akklimatisierung jedenfalls nicht allzu lange Zeit lassen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: