FC Bayern:Erst mal wieder laufen lernen

FC Bayern: Spieler bejubeln ein Tor von Thomas Müller gegen den SC Freiburg

Nach dem Arbeitssieg gegen Freiburg liegt der FC Bayern vier Punkte vor RB Leipzig.

(Foto: AP)

Trainer Hansi Flick weist nach dem Arbeitssieg gegen Freiburg darauf hin, dass sich Dominanz nicht einfach wieder anschalten lässt. Immerhin fallen kleine Verbesserungen im Münchner Spiel auf.

Von Philipp Schneider

Die Außenhaut der Fußball-Arena in München besteht laut Hersteller aus 2760 jeweils 0,2 Millimeter dicken Folienkissen aus Ethylen-Tetrafluorethylen, so viel ist seit Jahren bekannt über jene Hülle, die eine Fläche von 66 500 Quadratmetern einnimmt und in den unterschiedlichsten Farben leuchten kann, früher auch mal blau. Doch am Sonntagabend wurden die pandemiebedingt wenigen Besucher Zeugen eines seltenen Schauspiels. Von ihrem Dach ließ die Arena rundum Eisschollen der gefühlten Größe DIN A3 in den Innenraum regnen.

Während der Partie zwischen dem FC Bayern und dem SC Freiburg rutschten sie über die Klippe der Umrandung und stürzten dann auf den Boden, gleich hinter den Coaching-Zonen der Trainer Hansi Flick und Christian Streich. Dort schlugen sie auch noch ein, als Flick und Streich eine halbe Stunde nach dem Schlusspfiff in der klirrenden Kälte so herzerwärmend miteinander plauderten, als hätten sie während dieses mühseligen 2:1 der Bayern nach Toren von Robert Lewandowski (7.) und Thomas Müller (74.) nicht schon eine ganze Weile nebeneinander gecoacht.

Was die Schollen anging, so hätte man gerne die physikalische Begründung erfahren, weswegen die Arena einen kleinen Gletscherabbruch aufführte; der Mensch ist ja immer neugierig, wenn er Zeuge wird, wie sich gute, alte Gesetzmäßigkeiten umzukehren scheinen. Und mindestens ebenso neugierig waren die Augenzeugen, wie es dazu kommen konnte, dass sich Streich und Flick als gleichermaßen beseelte Trainer von Mannschaften begegneten, die sich zuvor fast schon ein Duell auf Augenhöhe geliefert hatten. Hier Streich, Trainer eines hausmeisterhaften Sport-Clubs im Breisgau. Dort Flick, Hauptverantwortlicher für ein Fünf-Pokale-Jahr des Rekordmeisters aus München.

Aber die Sache war ja die: Flick konnte in Wahrheit ganz gut leben mit diesem hart erkämpften Sieg, bei dem in der Nachspielzeit nur die Querlatte noch zwischen einem Schuss des ehemaligen Bayern-Stürmers Nils Petersen und einem Unentschieden gestanden hatte, das nicht gänzlich unverdient gewesen wäre. "Wir wollen wieder dominanter spielen, aber das kann man nicht aus- und einschalten", sagte Flick, "wir sind auf einem guten Weg, den wollen wir weiter beschreiten." Ein Weg, der die Münchner immerhin schon mal zum vorzeitigen Gewinner der Hinrunden-Meisterschaft gemacht hat: Nach 16 Partien führen sie mit vier Punkten vor Leipzig.

Ähnlich sah das auch Jérôme Boateng, der Innenverteidiger, der in die Startelf zurückgekehrt war, gegen Freiburg einen tadellosen Job erledigte und so die Reputation der zuvor gescholtenen Viererkette aufhübschte. "Es war ein Arbeitssieg", sagte Boateng. "Insgesamt können wir zufrieden sein, am Ende haben wir gezittert. Da sind wir aber selbst dran schuld, weil wir vorne wieder drei bis vier Chancen hatten." Oben auf dem Dach rutschte der Schnee, unten am Spielfeldrand das Selbstverständnis der Münchner.

Dies mochte man den Bayern nachsehen vor dem Hintergrund jener Trilogie des Grauens, die Flicks Mannschaft seiner anspruchsvollen Stammkundschaft in den drei Spielen zuvor vorgelegt hatte: Erst gab es einen Zwei-Tore-Rückstand gegen Mainz, dann einen zur Niederlage mutierten Zwei-Tore-Vorsprung gegen Mönchengladbach, und schließlich eine Pokalschmach im Schneesturm von Kiel. Die maßgeblichen Gegentore waren dabei nach einem stets ähnlichen Muster gefallen: Nach Ballverlusten hatte die Abwehrkette ihrer Hauptaufgabe nicht nachkommen können, weil sie zuvor zu tief ins Feindesland vorgerückt war. Und so genügten den Gegnern wenige räumlich und zeitlich präzise Pässe in jene völlig verwaiste Zone vor dem Tor von Manuel Neuer, die sich vor den Stürmern aus Mainz, Gladbach und Kiel auftat wie den ersten Siedlern in den USA das saftige grüne Weideland in den Great Plains.

Bayern-Trainer Flick lobt "gutes Coaching zwischen den Spielern"

Nach dieser nunmehr in der gesamten Liga bekannten Gebrauchsanweisung zum Bezwingen der Bayern gingen zeitweise auch die Freiburger zu Werke. Aber wenn deren schnelle Spitzen durchzubrechen versuchten, dann standen die Innenverteidiger Boateng und David Alaba diesmal entweder näher an der Schnittstelle des Konters, oder aber die Pässe der Gäste verfehlten ihre Adressaten. Hinzu kam, wenn der Eindruck nicht täuschte, eine taktische Variante Flicks, die er so wohl nie als Absicht einräumen würde: Seine Mannschaft überließ den Freiburgern länger den Ball, als es den Gegnern zuvor vergönnt gewesen war.

Von der offensiven Ausrichtung ließ er keinesfalls ab. Aber er ließ dem Gegner mehr Zeit zur kreativen Entfaltung. Da die Gefahren für Neuers Tor zuletzt aus folgenschweren Ballverlusten resultierten, erwies sich diese Maßnahme als zugleich naheliegendes wie probates Mittel. Vor allem in der zweiten Halbzeit wirkte es, als ließen die Bayern die Freiburger unter scharfer Aufsicht durchs Zentrum passen und laufen. Er habe, sagte Trainer Streich, seine Mannschaft "ermutigt, mitspielen zu wollen und nicht nur auf Konter zu gehen".

Die Bayern sind zuletzt ein paar Mal so böse hingefallen, dass Flick zunächst einmal sehen möchte, dass sie wieder laufen lernen - ehe sie wieder zu den gewohnten Sprints ansetzen können. Auch das meint er wohl mit seiner Erkenntnis, dass sich Dominanz nicht ein- oder ausschalten lasse.

Als erfrischende Maßnahme auf dieser Reise erwiesen sich da die Einsätze der genesenen Kingsley Coman und Leon Goretzka, die Flügel und Zentrum stabilisierten. Die Bayern seien "mit der Crème de la Crème" angetreten, wie Streich feststellte. Mit dieser Crème meinte er das hochfrequente Zusammenspiel von Taktgeber Joshua Kimmich und den Passempfängern Goretzka und Müller. Gemeinsam rührten die drei im Mittelfeld eine Crème fraîche.

Zu den Dingen, die seine Mannschaft ebenfalls umsetzte wie vorgegeben, gehörte eine verbesserte Kommunikation der Spieler untereinander. "Genau so wie heute stelle ich mir das vor. Das war gutes Coaching zwischen den Spielern", lobte Flick. Nicht nur Alabas Wiener Schmäh hallte im menschenleeren Rund, nicht nur Radio Müller sendete auf alter Frequenz, in der Arena erhob sich ein Schnattern und Rufen, dass man zeitweise meinte, das Eis löse sich deshalb vom Stadiondach.

Zur SZ-Startseite

Borussia Dortmund
:Gefangene des eigenen Weges

Der BVB erinnert nach dem Trainerwechsel an ein Paar in der Eheberatung: Der Wille ist zurück, aber an der Feinabstimmung hapert es noch. Die wilde Mischung an Spielertypen ist nicht durchweg ein Vorteil.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: