Süddeutsche Zeitung

Hansi Flick:Perfekter Trainer für den Moment

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In Jupp-Heynckes-Manier versammelt Hansi Flick die Mannschaft des FC Bayern hinter sich. Das könnte ihm dabei helfen, bis zum Sommer Coach zu bleiben.

Kommentar von Benedikt Warmbrunn

Jupp Heynckes hatte schon immer einen großen Einfluss auf die Arbeit anderer Trainer. Zweimal hat er die Champions League gewonnen, zweimal durfte er danach nicht weitermachen, zweimal gewann der jeweilige Klub anschließend erst mal nicht mehr diesen Wettbewerb. Doch eine viel größere Hinterlassenschaft von Heynckes ist, dass er einen Teilsektor des Trainerarbeitsmarktes salonfähig gemacht hat: den Kurzarbeiter, in der nüchternen Fußballsprache auch Übergangstrainer  genannt.

Innerhalb eines knappen halben Tages war nun zu beobachten, wie nachhaltig Heynckes, der Übervater aller Übergangstrainer, der 2009 und 2017 erfolgreich beim FC Bayern eingesprungen war, den deutschen Coachmarkt geprägt hat. Erst stellte Hansi Flick mit dem 6:0 in Belgrad einen Startrekord aller Kurz- und Langzeittrainer der Bayern auf. Am Mittwochvormittag verkündete dann Hertha BSC, dass Cheftrainer Ante Covic abgelöst wird - vom Aufsichtsratsmitglied Jürgen Klinsmann, befristet bis Saisonende.

Dass auch Klinsmann nun als Übergangstrainer gebucht wird, hat eine gewisse Ironie - sein Misserfolg bei den Bayern brachte die Bosse ja im Frühjahr 2009 auf die Idee, Heynckes erstmals mit einem Kurzarbeitervertrag auszustatten. Folgen könnte auf Klinsmann in Berlin zum Beispiel Niko Kovac, dessen kurze Zeit beim FC Bayern sich auch dadurch auszeichnet, dass er auf Übergangscoach Heynckes folgte, um jetzt "bis auf Weiteres" von Flick ersetzt zu werden.

Unter Flick funktioniert auch die Rotation

Das Modell Übergangstrainer ist nicht ohne Risiko, mit dem falschen Coach kann eine Mannschaft auch Zeit verlieren. Dass es aber keine Verlegenheitslösung sein muss, demonstriert gerade Flick in München. Dass er fachlich die Mannschaft steuern kann, hatte er bereits in den drei ersten Spielen bewiesen, als er eine verunsicherte, genervte Truppe mit wenigen, aber klaren und wirkungsvollen taktischen Maßnahmen stabilisierte und inspirierte, allen voran mit geschlossenem, offensiverem Verteidigen.

Gegen Belgrad lieferte er nun einen weiteren Nachweis, der entscheidend sein könnte für die Frage, ob er das Team sogar bis zum Sommer durchbetreuen darf: Flick, der Einfühlsame, der Umarmer, versammelt das gesamte Team hinter sich, sodass auch Rotation funktioniert, sogar mit so sensiblen Spielern wie Coutinho und Thiago. Dass sich selbst eine talentierte Mannschaft wie der FC Bayern einen umarmenden Trainer wünscht, einen, der sie versteht und ihr ihre Eigendynamik lässt - auch das ist eine Hinterlassenschaft von Heynckes.

Dass der FC Bayern sich nun selbst über den Jahreswechsel hinaus Zeit nehmen kann, um den perfekten Trainer zu finden, das liegt auch daran, dass der Klub zumindest für den Moment einen perfekten Trainer beschäftigt.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2019
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