Süddeutsche Zeitung

Bayern in der Einzelkritik:Coman humpelt schockiert in die Kabine

Das Bein des Franzosen knickt ohne Gegnereinwirkung weg, Coutinho zelebriert seine Kurven-Schüsse und Alphonso Davies wirbt weiter für sich. Der FC Bayern in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Tim Brack

Manuel Neuer

In England vergeben sie ja gerne Spitznamen. Tottenham-Trainer José Mourinho nannte sich einst selbst "The Special One". Bei Manuel Neuer würde ganz gut "The German Wall" passen. Zeigte sich sehr mobil für eine Mauer, gab häufig den mitdenkenden Libero (siehe Bild). Im klassischen Torwartspiel durfte er sich mit einem Schüsschen von Ryan Sessegnon warmmachen. Wurde wenig später dann von selbigen mit einem wuchtigen Schuss im kurzen Eck erwischt. Tauchte bei einem kniffligen Freistoß von Christian Erkisen dann so schnell ab wie ein erfahrener Perlentaucher. Auch gegen Heung-min Son nochmal kurz vor Schluss sehr wach, weil er im Eins-gegen-Eins lange stehen blieb. Darf sehr zufrieden sein mit seiner Leistung.

Alphonso Davies

Hätte er gespielt, wenn David Alaba nicht mit einer leichten Beckenprellung ausgefallen wäre? Davies lieferte jedenfalls genug Gründe, dass solche Fragen nicht mehr gestellt werden müssen. Nach einer kleinen Eingewöhnungszeit entdeckte er seine Lust am Angriffsspiel, in der Defensive packte er sowieso beherzt zu. Bereitete das 2:1 durch Thomas Müller wie beim Hallenfußball vor, benutzte den Pfosten als Bande. In der zweiten Halbzeit mit einer Rettungsaktion gegen Son, die so routiniert war, man hätte denken können, Alaba spielt doch.

Javi Martinez

Dem Spanier war nicht mehr anzumerken, dass er seine Mannschaft am Wochenende ein Unentschieden gekostet hatte. Spielte mit dem Selbstbewusstsein eines Mats Hummels - und nahm sich seinen ehemaligen Mitspieler auch in der Defensivtaktik zum Vorbild: antizipierte früh, um nicht in gefährliche Zweikämpfe zu müssen. Das klappte sehr gut, aber wenn er dann doch mal in ein direktes Duell mit Lucas Mourra musste, merkte man ihm seine Schlacksigkeit doch sehr an.

Jérôme Boateng

Seine Glieder wirkten in der Münchner Kälte manchmal etwas steif. Wurde von Pavard früh ins Sprintduell mit dem flinken Sessegnon geschickt und konnte sich so die Rückennummer des enteilenden Engländers einprägen. Hatte Sessegnon dann beim 1:1 trotzdem nicht im Blick, grätschte einen Pass genau vor seine Füße. Das wirkte maximal unglücklich. Aber war ja auch kalt.

Benjamin Pavard

Versetzte die Zuschauer kurz in den WM-Sommer zurück, als er eine Flanke von Ivan Perisic volley nahm und beinahe ein Tor geschossen hätte wie damals beim Traumtor gegen Argentinien. Aber der Schuss kam nicht ganz so genau. Es war Pavards beste Szene, danach leistete er sich einige Unaufmerksamkeiten in der Abwehr, vergaß mehrfach den schnellen Sessegnon. Das brachte Jérôme Boateng immer wieder in Bedrängnis, unter anderem, weil er einen schlampigen Pavard-Pass im Strafraum annehmen musste.

Joshua Kimmich

Durfte wieder im Mittelfeld auf einer cheffigen Position auflaufen. Holte sich oft den Ball zwischen den beiden Innenverteidigern ab und trug ihn nach vorne. Verteilte seine Pässe klug, und hatte die sogenannte breite Brust. Zeigte diese, als Spurs-Angreifer Giovani Lo Celso daran abprallte und zu Boden ging. Der Argentinier hatte bei einem Bayern-Freistoß den Ball wegspielt und hatte sich deswegen mit Kimmich konfrontiert gesehen. Für Kimmich gab es von Schiedsrichter Gianluca Rocchi Gelb und ein paar warnende Worte. Er grinste darüber nur, kann vermutlich ja auch besser Ermahnen und Erklären.

Thiago

Wirkt ja oft so, als wollte er alles im Bayern-Spiel gestalten, was aufgrund der Fülle der Aufgaben dann nicht immer so klappt. Hatte diesmal wieder Joshua Kimmich an seiner Seite und die Freiheiten, sich offensiver zu orientieren. Nahm dieses Angebot aber zu selten an. In der Defensive vor dem 1:1 dann nicht ganz so unglücklich wie Boateng, den Pass seines Gegenspielers verhinderte der Spanier aber auch nicht. Zeigte das ein oder andere Mal zwar noch seine ihm eigene Schlitzohrigkeit, aber ohne den größeren Ertrag zu bleiben.

Philippe Coutinho

Hatte sich offenbar vorgenommen, einige seiner Künste zu zeigen: Bewies, dass er sich so flink drehen kann wie ein frisch aufgezogener Kreisel. Zeigte auch, dass in seinem Fußgelenk ein extra Knochen eingebaut sein muss, der Schüsse ermöglicht, die kurviger sind als manche Serpentine. Einen dieser malerischen Versuche schickte er kurz vor der Pause an die Latte, doch weil Tottenhams Torhüter den Ball noch leicht touchierte, landete der Ball auf der Linie und nicht dahinter. Für Coutinho aber offenbar ein Mutmacher. Probierte es später mit einer tiefen Variante, diesmal zirkelte er den Ball ins Tor. Auch sonst sehr darum bemüht, dass Offensivspiel zu lenken, was ihm auch oft gelang.

Kingsley Coman

Zeigte anfangs Qualitäten eines wahren Torjägers: zwar unauffällig, aber tödlich im Abschluss. Brachte nach Vorarbeit von Gnabry den Ball mit einem überlegten Schuss im Tor unter (14.). Robert Lewandowski dürfte anerkennend auf der Bank genickt haben. Dann mit einer dieser Verletzungen, bei denen man in der Wiederholung am liebsten weggucken würde. Bei einem Versuch, einen langen Ball von Coutinho zu ersprinten, streckte sich sein linkes Bein ohne Gegnereinwirkung urplötzlich so gegen alle üblichen Laufmuster durch, dass es den Franzosen in hohem Bogen über selbiges katapultierte. Coman merkte offenbar sofort, dass etwas nicht stimmte. Er prügelte auf den Rasen ein, humpelte anschließend gestützt von Vereinsarzt Müller-Wohlfahrt direkt in die Kabine. Für ihn kam Thomas Müller. Gegen Mitternacht gab es zumindest leichte Entwarnung: Coman fällt aus, aber wohl nicht monatelang.

Serge Gnabry

Wurde auf dem Spielberichtsbogen als Stürmer geführt. Das hätte durchaus als ein psychologischer Kniff von Hansi Flick interpretiert werden können, schließlich hatte Gnabry mit seinen vier Treffern im Hinspiel den Spurs im Alleingang ein Trauma verpasst. Dribbelte dann aber nicht als falsche Neun, sondern als rechter Flügelspieler. Machte auch das mitunter furchteinflößend, bereitete so das 1:0 vor. Vermisste aber seinen klinischen Abschluss aus dem Hinspiel, traf einmal den Pfosten und in die Arme des Torwarts. Muss sich deswegen aber ganz sicher nicht schämen.

Ivan Perisic

Lief als sogenannte falsche Neun auf und ist ja auch durchaus bekannt dafür, dass er ein gutes Kopfballspiel hat, was für einen Mittelstürmer nie schädlich ist. Bekam dann aber keine Flanke formvollendet serviert und agierte auch so etwas unglücklich im Zentrum. Durfte nach der Auswechslung von Coman dann auf angestammtes Gebiet: auf den linken Flügel. War dort besser im Spiel, ohne Wunderdinge zu vollbringen. Kurz vor Schluss für den jungen Joshua Zirkzee ausgewechselt.

Thomas Müller

Wäre vermutlich lieber nicht eingewechselt worden, wenn das geheißen hätte, dass Coman weiterspielen kann. Ordnete sich gleich mal im Sturm ein, hatte ja vor dem Spiel über die Flaute beim Toreschießen philosophieren müssen, ist aber vielmehr ein Mann der Tat, auch wenn er weiß, wie man viele Worte verschwendet. Brachte also gleich mal Wind in die Offensive, beim 2:1 bewies er einen Lewandowski'esken Torinstink und ping-pongte den Ball nach dem Pfostenschuss von Davies ins Tor. Hat nun genau so viele Champions-League-Treffer wie ein gewisser Didier Drogba (44). Zu Zlatan Ibrahimovic fehlen ihm noch vier, aber ein zweiter Treffer wollte ihm dann nicht mehr gelingen.

Joshua Zirkzee

Kam kurz vor Schluss. Durfte erstmals Champions-League-Luft inhalieren. (Archivbild)

Leon Goretzka

Kam auch kurz vor Schluss. Kennt die Champions-League-Luft schon

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