Gordon Herbert hat in den vergangenen Wochen sein Alter oft gewechselt. Als er im Sommer ziemlich kurzfristig Chefcoach der Bayern-Basketballer wurde und plötzlich die ganze Zeit durch Europa reiste, „da habe ich mich wie 85 gefühlt“, sagte er. Dann verriet er am vergangenen Donnerstag noch, dass er seit seinem 47. Geburtstag keinen Geburtstag mehr gehabt habe, „denn das ist mein biologisches Alter“.
Der Kanadier hat sich an die hohe Taktung seines neuen Berufsalltags gewöhnt, sollte das heißen, und seine Spieler, dachten alle, ebenso. Sie waren jedenfalls zuversichtlich gewesen, ihrem Coach am Sonntag den ersten Titel mit dem FC Bayern zu schenken, laut offiziellen Nachschlagewerken wird er an diesem Tag angeblich doch schon 66 Jahre alt.
Doch am Samstagabend reichten knapp zwei Stunden in einer kleinen Mehrzweckhalle in Sachsen-Anhalt - und Gordon Herbert war wieder 85. In seiner gewohnt ruhigen Art, aber mit tiefsitzender Enttäuschung sagte er: „Für meinen Geburtstag habe ich keine Pläne.“ Und das, weil vor allem seine Mannschaft alt aussah in der Stadthalle Weißenfels, im Pokalhalbfinale gegen den Gastgeber MBC. Die 93:95-Niederlage gegen den krassen Außenseiter führte dazu, dass die Bayern rasch im Mannschaftshotel wieder ihre Sachen aus den Schränken holten und sofort nach Hause reisten.

Basketball:Großer Titel, kleine Halle
Weil ein Sponsor das nötige Geld bezahlt hat, wird das Finalturnier im Pokal in der Stadthalle Weißenfels ausgetragen, dem kleinsten Standort der Bundesliga.
Dass es zuvor überhaupt spannend geworden war, war schon eine Überraschung. Und in der Schlusshase wurde es sogar dramatisch. Ein Korbleger zum möglichen Ausgleich von Bayerns Nick Weiler-Babb drehte sich aus dem Ring heraus, auf der anderen Seite verteidigten die Bayern den letzten MBC-Angriff ganz gut, doch irgendwie bekam Martin Breunig seine Hände an den Ball. Der 32-Jährige warf den Ball mehr weg, als dass er wirklich zielte, die Schlusssirene dröhnte, der Ball landete im Korb, die Fans rasteten aus. Das noch einmal von den Schiedsrichtern überprüfte, verbliebene Sekündchen auf der Uhr konnten die Bayern nicht zum Ausgleich nutzen, Johannes Voigtmann traf mit seinem sehr fernen Dreier nicht annähernde das Ziel.
Vor dem Spiel hatten sie im Fan-Areal vor der Halle, die sie „Wolfsbau“ nennen, „Bayern“ von den Toten Hosen gespielt. Zum Tip-off sangen die Anhänger der drei anderen Klubs beim Finalturnier gemeinsam: „Alle gegen Bayern!“. Ein ernüchterter Weltmeister Andreas Obst sagte: „Da freuen sich natürlich alle, wenn es gegen uns geht“, räumte dann aber ein, dass der Gegner es an diesem Nachmittag irgendwie mehr gewollt habe. „Wir müssen lernen, dass wir nicht einfach mit dem Logo des FC Bayern aufs Feld kommen und alles regelt sich.“
So grundsätzlich fielen die Aussagen aus, weil die Fallhöhe dieser Niederlage enorm ist. MBC-Trainer Janis Gailitis formulierte es so: „Ein starkes und drei glückliche Teams“ seien hier zum Finalturnier angereist. Aber diesmal habe die Leidenschaft seiner Mannschaft den Ausschlag gegeben.
Dass das Pokalfinale keinen pompösen Rahmen bekommen hatte, fanden einige ein falsches Signal
Es war abermals die Defensive, an der Herbert immer noch feilen muss, die das Spiel nicht in den Griff bekam – und den im Sommer fest eingeplanten Titel mit vergab. „Defensiv sahen wir nicht gut aus, das war ein super ärgerliches Spiel“, fand Bayerns Niels Giffey. Die Offensiv-Rebounds der Weißenfelser in der zweiten Halbzeit hätten dann den Ausschlag gegeben.
Bayerns Basketball-Geschäftsführer Marko Pesic war schon im Auto auf dem Weg nach Hause, als er die frustrierende Niederlage via Telefon noch einmal einordnete. „Die Enttäuschung ist natürlich riesengroß. Wir haben in der ersten Halbzeit zu pomadig gespielt. Es ist ein Fingerzeig“, fand Pesic. Auch in der Bundesliga dürfe man so nicht auftreten, und in der Euroleague schon gar nicht, wo jetzt „noch acht Endspiele anstehen“. Wenn man in Sachen Einstellung und Aggressivität dem Gegner nicht auf Augenhöhe begegne, „dann kannst du nicht deine Qualitäten ausspielen“.

Die Bayern hatten sich tatsächlich auf einen offenen Schlagabtausch eingelassen. Fast wirkte es, als wollten sie schnell erzielte Punkte der Gastgeber noch schneller ausgleichen. „Wir wollten sie mit guter Geschwindigkeit und unserer Rotation ermatten“, sagte Herbert über seinen Plan. Das ist vielleicht das Einzige, was die oft überspielten Bayern nicht machen sollten: darauf zu bauen, dass sie einen Gegner müde spielen können.
Vor allem dann nicht, wenn dieser Gegner vom Publikum getragen werden, wie der Held des Abends später erzählte: „Die Halle war noch nie so laut“, sagte Martin Breunig, der im Schlussabschnitt mehrere Minuten ausschlussgefährdet gespielt hatte. Beim MBC spielten sie mit weniger Rotation als die Bayern, Gordon Herbert hätte trotzdem noch mehr Spieler zur Verfügung gehabt. Doch der zuletzt ordentlich spielende Center Danko Brankovic durfte keine Sekunde aufs Feld, ebenso wenig Ivan Kharchenkov.
Für viele Bayern-Spieler ist nur kurz Pause, viele sind in der kommenden Woche bei ihren Nationalmannschaften abgestellt. Die weiteren, höheren Aufgaben mögen ein Faktor gewesen sein, warum die Bayern laut Pesic so pomadig, ergo etwas vorsichtiger zu Werke gegangen waren als der enthusiastische Gegner. MBC-Geschäftsführer Martin Geissler, dessen Team schon im Oktober im Liga-Betrieb gegen die Bayern gewonnen hatte, ordnete das Erlebte so ein: „Wenn die Mannschaft mit dem kleinsten Etat der Liga die Mannschaft mit dem größten Etat zweimal schlägt, dann ist das einfach etwas Besonderes.“
Dass das Pokalfinale keinen pompöseren Rahmen bekommen hatte als die kleine Halle in Weißenfels, fanden einige ein falsches Signal für den deutschen Basketball. Jetzt sagte Bayerns Marko Pesic: „Die Veranstalter haben einen maximal guten Job gemacht.“ Und das stimmte in jeder Beziehung. Später am Abend folgten die Bamberg Baskets den Weißenfelser Wölfen mit einem klaren 76:63 über die Frankfurt Skyliners ins Finale, das die Bayern-Basketballer am Sonntagnachmittag vermutlich am heimischen Fernseher ansehen werden.