Süddeutsche Zeitung

Bayern-Aus in der Champions League:Thomas Müller, der Partycrasher

  • Thomas Müller muss spielen - an diese Maxime hielt sich Bayern-Trainer Pep Guardiola gegen Atlético Madrid.
  • Aber dann scheitert ausgerechnet der sonst so coole Nationalspieler beim Elfmeter.

Aus dem Stadion von Christof Kneer

Was ist anders, wenn Müller mitspielt? Diese Frage wird in München seit Tagen leidenschaftlich diskutiert, seit dem Hinspiel in Madrid, in dem Pep Guardiola es gewagt hatte, die Satzung dieses 116 Jahre alten Vereins zu übertreten (wobei der Spezialpassus, um den es hier geht, erst im 110. Jahr des Vereinsbestehens von einem Klubmitglied namens van Gaal eingefügt wurde/Anm. d. Red.). In der Satzung steht seitdem: Müller spielt immer!

Im Rückspiel an diesem Dienstagabend hatte sich Pep Guardiola also tatsächlich daran gehalten, und tatsächlich veränderte Müller das Spiel sofort - wie sehr, konnte man zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht ahnen. Nach acht Minuten schoss er beim Passversuch den Mitspieler Douglas Costa an, nach elf Minuten eilte er in den Strafraum, um sich nach dem Befinden des am Boden liegenden Mitspielers Robert Lewandowski zu erkundigen.

Aber in der 16. Minute zeigte sich erstmals Müllers Kernkompetenz: Von Boateng abgesandt, flog ein langer Ball Richtung Strafraum, und als man sich gerade fragte, warum dort kein Bayer stand, materialisierte sich aus dem Nichts dieser Müller. Ein Kontakt, eine kleine Weiterleitung zu Lewandowski, schon wurde es gefährlich. Das kann Müller wie kein anderer: plötzlich in eine Party reinplatzen, auf die ihn keiner eingeladen hat.

Müller ist ein unberechenbarer Gast, und das war auch der Grund, warum sein Trainer im Hinspiel auf ihn verzichtet hatte: Der aufgeheizten Atmosphäre in Madrid wollte Guardiola Berechenbarkeit entgegensetzen. Das alte Müller- Dilemma: Man weiß halt nie genau, was man bekommt, wobei: Das ein oder andere bucklige Törchen ist meist schon dabei.

Am Dienstagabend hat Thomas Müller es allerdings wieder geschafft, alle zu überraschen. Man hat ihn schon viele erstaunliche Dinge treiben sehen auf dem Platz, aber das hatte man nicht erwartet: Dass er imstande ist, einen Elfmeter zu verschießen - auf jener großen Bühne, auf der er sich so wohl fühlt. Es dauerte fast eine Minute vom Pfiff dieses Elfmeters bis zu seiner Ausführung, es wurde geruckelt und gerangelt, und die meisten Spieler der Welt würde so was nervös machen - aber unseren Müller doch nicht, oder? Es war ein fataler Irrtum. Müller scheiterte an Torwart Jan Oblak, "mein Fehler", sagte er später. Nach dem Fehlschuss trommelte Müller, über sich selbst empört, auf den Rasen.

Man kann sich nicht erinnern, schon mal so ein Müller-Bild gesehen zu haben, und das ist das eigentlich Erstaunliche an dieser Karriere. Viele große Karrieren entstehen aus Brüchen, viele große Spieler mussten gemeine Verletzungen über- stehen oder üble Fehlschüsse wegstecken, aber dieser Müller ist irgendwann um 2010 herum einfach als everybody's darling auf der Bühne erschienen, und er ist von da einfach nicht mehr weggegangen. Jetzt gibt es ein neues Bild fürs Archiv - und einen neuen, völlig unerwarteten Beitrag für all die Müller-Debatten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2979853
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.05.2016/jbe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.