Süddeutsche Zeitung

Bayern-Aus in der Champions League:Die kürzeste Saison der Welt

Das Dilemma des FC Bayern: Kaum beginnt die Saison mit dem Champions-League-Halbfinale so richtig, ist sie schon wieder vorbei. Der Fokus wird sich künftig noch stärker auf den Gewinn der Königsklasse ausrichten.

Kommentar von Christof Kneer

Wie oft haben die Bayern sich über diesen Vorwurf beschwert: dass sie einfach zu überlegen seien in der Bundesliga, dass das eine Art Wettbewerbsverzerrung darstelle, und überhaupt: dass das bald keinen Spaß mehr mache.

Woche für Woche gewinnen die Bayern da vor sich hin, keiner weiß mehr, ob sie 13 oder 21 Punkte Vorsprung haben - und als wäre das nicht spannungstötend genug, erwischen sie in der Champions League auch noch Istanbul und Sevilla als Gegner: Teams, die mittleres bis gehobenes Eintracht-Frankfurt-Niveau verkörpern. Ja mei, sagen die Bayern, und was können wir da jetzt dafür?

Wird die Saison bald über die Champions League definiert?

An diesem großen Champions-League-Abend in Madrid haben sich nun aber verdichtet auf 90 Minuten die Risiken und Nebenwirkungen dieser bayerischen Luxusproblematik gezeigt. Rauf und runter rauschte dieses Halbfinale von der ersten Sekunde an, hier klemmte ein Weißer gerade noch ein Abwehrbein dazwischen, dort klärte ein Roter im letzten Moment, hier brachte ein Torwart gerade noch die Fingerspitzen zum Einsatz, dort rutschte er nach einem Rückpass weg: In der grotesken Wettbewerbssituation, in der sich der FC Bayern inzwischen befindet, können ein paar Millimeter mehr denn je über ein ganzes Spieljahr entscheiden.

Wer Zeuge dieses aufregenden Hin & Her war, bekam den Eindruck, der FC Bayern spiele gerade die kürzeste Saison seit der Vereinsgründung: Die Saison 2017/18 bestand demnach vor allem aus diesem Rückspiel in Madrid. Im Erfolgsfall wäre die Saison für die Bayern noch dreieinhalb Wochen weiter gegangen - nun aber, unter dem Eindruck dieses bunten 2:2, geraten all die anständigen Fünfzunulls gegen Istanbul (Champions League), die Sechszuzweis in Leverkusen (Pokal) und die Fünfzuzweis gegen Hoffenheim (Bundesliga) erst mal in Vergessenheit.

Trotz des tadellos couragierten Auftritts in Madrid hat sich der Korridor dieser Bayern-Saison plötzlich und grausam auf diese eine Spiel verengt: Kaum hat die echte Wettbewerbsaison begonnen, ist sie auch schon wieder rum.

So wie sich Europas Fußball gerade entwickelt, könnte dieses Spiel durchaus über den Abend hinausweisen. Je erfolgreicher und damit stinkreicher die europäischen Topklubs in dieser obszön überalimentierten Champions League werden, desto mehr droht ihnen dieses Szenario: dass ein Jahr am Ende vor allem über die Champions League definiert wird. Vor allem der in der Bundesliga absurd überlegene FC Bayern wird sich daran gewöhnen müssen, dass die Deutungsebene künftig mehr denn je in Europa liegt.

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SZ vom 02.05.2018/ebc
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