Süddeutsche Zeitung

Bayerischer Fußball-Verband:Applaus und Aufbruchstimmung

Christoph Kern ist neuer BFV-Präsident. Sein Vorgänger Rainer Koch, der sich als Opfer einer Kampagne sieht, wird von der Basis zum Abschied gefeiert - ehe sich die Stimmberechtigten trotzdem für mehr Veränderung entscheiden.

Von Christoph Leischwitz, Bad Gögging

Nach 92 Sekunden unterbrach Rainer Koch die Sympathiebekundungen der stehend Applaudierenden und schritt noch einmal auf die Bühne, fast so, als wolle er eine Zugabe geben. Es blieb aber bei einem kurzen Dank. Auf dem Papier mag Tagesordnungspunkt 17 der spannendste gewesen sein beim Verbandstag des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV) in Bad Gögging: Neuwahlen. Tatsächlich gab es auch eine selten spannende Wahl mit überraschendem Ausgang. Und doch war es auch bemerkenswert zu sehen, wie Koch mit seinem Abschied aus der Führungsriege umging, nach 40 Jahren, nach 18 Jahren an der Spitze des größten deutschen Landesverbandes.

Es war ein großes Dankeschön, das da rausging an den langjährigen Präsidenten. In einem Gespräch vor der Seitentür des Konferenzsaals hatte er noch einmal seine Sicht betont, dass er in den vergangenen Monaten ungerechterweise mit "Persönlichkeitskult und eigenen Pfründen" in Verbindung gebracht worden sei - wo man ihn doch an der Basis ganz anders kenne; er hatte aber schon auch ausgerechnet, dass sein Wirken im Verband nach genau 14 600 Tagen zu Ende geht.

Der Favorit Robert Schraudner muss sich schließlich mit dem Amt des Vizepräsidenten begnügen

Der Verbandstag stellte einen fließenden Übergang dar zu etwas, das man durchaus Aufbruchstimmung nennen kann. Immerhin tritt der jüngste und weitgehend unbekannte Kandidat, der 39-jährige Christoph Kern, Kochs Nachfolge an. Der schwäbische Bezirksvorsitzende versammelte 137 der 257 gültigen Stimmen auf sich. Der vermeintliche Favorit Robert Schraudner kam lediglich auf 97 Stimmen, Christian Bernkopf landete abgeschlagen auf Rang drei. Bei der Verlesung brandete der lauteste Applaus des Tages auf. Es ist kein besonders gut gehütetes Geheimnis, dass der Oberbayer Schraudner bei vielen handelnden Personen in der BFV-Zentrale an der Brienner Straße in München der Günstling war. "Es war spürbar, dass ein Generationswechsel vollzogen werden soll", sagte dann auch Koch, Kern selbst habe diesen ja zum Thema gemacht. Kern, wie Koch ein gelernter Richter und zurzeit als Justiziar am Bayerischen Rechnungshof tätig, hatte sich im Wahlkampf diplomatisch, aber viel deutlicher als Schraudner vom Vorgänger distanziert und Reformen eingefordert. Schraudner wurde wenig später als Vizepräsident bestätigt, Koch gratulierte beiden.

So oder so: An der bayerischen Basis scheint alles in Ordnung. Koch gab sich betont aufgeräumt, selten sah man ihn so häufig lächeln. Er riss sogar süffisante Sprüche. Beispiel: "Ich gebe auch ehrlich zu, ich vermisse nicht alles und nicht jeden, mit dem ich in den vergangenen Jahren zu tun hatte." Eigentlich habe er noch zwei Jahre weitermachen wollen: Die EM 2024 in Deutschland mit auf den Weg bringen, zahlreiche Reformen und auch eine Baustelle - bei der Verbandszentrale an der Brienner Straße baut der BFV Mietwohnungen. Schuld an seinem Aus sei niemand in Bayern, betonte Koch, vielmehr machte er eine angebliche "Kampagne" innerhalb des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) und von den Medien dafür verantwortlich, dass er seine Ämter habe abgeben müssen. Am 11. März hatte er beim DFB-Bundestag eine Kampfabstimmung um das Amt des Vizepräsidenten verloren.

Völlig offen ist, wie Kern das Amt ausfüllen wird. "Jetzt müssen wir auch liefern", sagte er selbst, die Wahl sei ein "Vertrauensvorschuss", auch wenn er künftig viel mehr als Koch delegieren und die bestehende Expertise beim BFV nutzen wolle. Seine Funktionärskarriere verläuft rasant, er wiederholt gerne, vieles sei Zufall gewesen. Schiedsrichter etwa sei er geworden, weil ihn sein damaliger Lateinlehrer dazu animiert habe, Ex-Bundesliga-Referee Siegfried Brehm. Kern stammt ursprünglich aus Alzenau, er hat zwei Kinder und ist schon jetzt viel unterwegs. Während des Wahlkampfes war aus der BFV-Zentrale durchgesickert, dass Kern im Erfolgsfall Zeitprobleme bekommen könnte.

Ganz loslassen muss Rainer Koch nach 40 Jahren in der BFV-Spitze nicht: Er wird Ehrenpräsident - allerdings ohne Stimmrecht

Ein gebührender Abschied, ein spannender Neuanfang - alles erledigt? Mitnichten. Die Wahlen waren lange durch, Kern und Koch hatten ihre Interviews gegeben, die ersten Delegierten zogen schon mit ihren Rollkoffern ab, doch es gab noch viel zu tun. Am Mikrofon stand nun Vizepräsident Reinhold Baier und moderierte durch ein Dickicht von Satzungsänderungen, darunter recht weitreichenden. So wurde ab der sechsten Liga die Zeitstrafe wieder eingeführt, Werbung auf Trikotrückseite und Hose sind nun möglich, dank einer sehr knappen Mehrheit. Spielerpässe in Papierform werden abgeschafft, ein Leitantrag für eine "zukunftssichere", flexiblere Finanzierung des Verbands wurde durchgewunken, ebenso eine Initiative, mehr Schiedsrichter zu gewinnen.

Einige andere Änderungen mögen in ihrer tieferen Bedeutung, nach einem langen Samstag und dem Vernehmen nach kurzer Nacht, vielleicht gar nicht von allen Delegierten komplett durchdrungen worden sein. Darunter vielleicht auch die Änderung von Paragraf 22. Demnach wird zum Präsidium künftig auch ein "vom Verbandstag ernannter Ehrenpräsident (ohne Stimmrecht)" gehören. Ganz zum Schluss, knapp sechs Stunden nach seiner letzten Rede als Präsident, wurde Koch, noch einmal unter großem Applaus, zum Ehrenpräsidenten gewählt. Klar, sagte Koch, er werde sich auch weiter Regionalligapartien ansehen, "wieso sollte ich das auch nicht tun?" Das Eröffnungsspiel am 14. Juli in Buchbach (gegen Unterhaching) habe man ihm, dem Poinger, ja fast vor die Haustür gelegt. Vielleicht wird Koch nicht mehr so sehr im Vordergrund stehen, doch er wird weiter präsent sein. Es muss sich erst noch zeigen, wie viel sich beim BFV wirklich verändert.

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