Auf Reiner Calmunds 70. Geburtstagsfest berichtete Rudi Völler am Sonntagabend aus seinen Anfängen im Management von Bayer Leverkusen. 1996 hatte er auf der Geschäftsstelle ein Büro bezogen, noch ohne klare Aufgaben, nachdem er erst Wochen zuvor die Karriere als Fußballer abgeschlossen hatte. Die erste Geschäftsreise führte ihn an der Seite von Manager Calmund nach Brasilien. Als die beiden vormittags in Rio ankamen, empfing sie der von Calmund bevorzugte Südamerika-Agent Juan Figer. Erste Amtshandlung auf Völlers erstem Businesstrip: (ausgiebiges) Mittagessen. Danach fuhr man ins Stadion, um den Spieler Zé Elias zu beobachten. Hier teilte Calmund dem Lehrling Völler mit, dass er nach dem Spiel von ihm das definitive Urteil erwarte: kaufen oder nicht kaufen? Schließlich sei er jetzt Teil der Klubführung. Er müsse lernen zu entscheiden.
Die Geschichte klingt verwegen, aber sie ging noch weiter: Völler dachte, dass ihm sein erfahrener Chef bei der Einschätzung des Kandidaten Zé Elias helfen würde. Aber nach dem Anpfiff sah er einen tief und fest schlafenden Calmund, auf dem Platz daneben tat Figer das gleiche. Calmund erwachte pünktlich zum Abpfiff und nahm Völlers Expertenbericht entgegen, am Abend besiegelte man den Kaufvertrag über sechs Millionen Mark. Heute lässt sich sagen, dass Völler schon bessere Spieler für Bayer besorgt hat, aber ein Geschäft hatte der Anfänger trotzdem gemacht. Später verkaufte Bayer den Mittelfeldmann für zehn Millionen Mark an Inter Mailand.
Reiner Calmund:La Paloma im Phantasialand
Nicht dünner, aber auch nicht leiser: Reiner Calmund wird 70. Bis heute prägen die Methoden und Weisheiten des Managers die Branche.
Es taten sich Spannungen auf, die auch Rudi Völler spürt
Simon Rolfes mag diese Episode als Ermutigung auffassen. Der 36 Jahre alte Ex-Bayer-Profi befindet sich seit Samstag in einer ähnlichen Situation wie Völler vor 22 Jahren: Plötzlich ist er in die Lage versetzt worden, Verantwortung für die Klubgeschäfte zu übernehmen. Im Sommer ist Rolfes als Nachwuchsleiter zu Bayer zurückgekehrt, jetzt ist er auf einmal der Sportchef an der Seite des Spitzenfunktionärs Völler, der seinerseits aber schon den Rückzug aus dem Profibusiness plant. So ist Rolfes schlagartig in die erste Reihe befördert worden.
Die offizielle Mitteilung, wonach er von seinem scheidenden Vorgänger Jonas Boldt "eingearbeitet" werde, beruht auf einer Sprachregelung. Boldt soll, gemäß seiner vertraglichen Bindung, Bayer bis Juni 2019 zur Verfügung stehen, aber dass er bis dahin täglich zum Dienst erscheint und Rolfes bei der Transferplanung hilft, glaubt niemand, und das ist auch von keiner Seite erwünscht. Die Differenzen im Verein waren zuletzt zu groß. Das betraf weniger die Zusammenarbeit zwischen dem tendenziell ungeduldigen Boldt und dem tendenziell sehr geduldigen Völler, die zwar hinsichtlich Trainer Heiko Herrlich und anderer Sportthemen unterschiedliche Auffassungen hatten, aber ein gutes Verhältnis unterhielten.
Im Vordergrund stand für Boldt die Frage, wie der Verein als Tochter des Bayer-Konzerns geführt wird. Hier taten sich Spannungen auf, die auch Völler spürt und die seinen Rückzug beschleunigen könnten. Er habe sich alles "anders vorgestellt", deutete er dunkel an. Außer Rolfes soll künftig auch Völlers neuer Assistent, der ebenfalls hoch verdiente Ex-Profi Stefan Kießling, in den Vordergrund treten.