Bayer Leverkusen:Vizekusens Auferstehung

Wer ist Tabellenzweiter? Nicht Dortmund oder Schalke, sondern Leverkusen. Beim Sieg in Bremen zeigt Bayer 04 erstaunliche spielerische Reife und gefällt sich in der Rolle des distanzierten Bayern-Jägers. Sportchef Rudi Völler sieht das Ganze trotzdem nur als Momentaufnahme.

Von Jörg Marwedel, Bremen

Gonzalo Castro

Ist der Fußballer Gonzalo Castro wütend, weil er verschossen hat oder freut er sich, weil er das Tor getroffen hat? Fotos verraten das oft nicht.

(Foto: dpa)

Vermutlich ist der berühmte frühere Fußballprofi Sami Hyypiä, 39, der unbekannteste Trainer der Bundesliga. Das hat wesentlich damit zu tun, dass der Finne als Teamchef tituliert wird und öffentlich wenig spricht. Das Reden überlässt er seinem Kollegen Sascha Lewandowski, 41, der im Gegensatz zu Hyypiä auch über die entsprechende Lizenz verfügt, eine Profimannschaft wie Bayer Leverkusen anzuleiten. Nur manchmal ist der 1,96 Meter große Nordmann während eines Spiels zu sehen.

Dann kommt er, wie auch am Mittwochabend im Bremer Weserstadion, kurz aus dem Ersatzbank-Kabäuschen hervor und gibt ein paar klare Ansagen. Manche Experten haben diesem ungewöhnlichen Trainer-Duo - Ex-Weltstar plus früherer Jugend-Coach - das Scheitern vorhergesagt. Nun aber müssen sie ihre Einschätzung revidieren. Zumindest als "Momentaufnahme". Das nämlich war das Lieblingswort der Leverkusener nach dem 4:1-Sieg bei Werder Bremen, das Bayer 04 auf den zweiten Tabellenplatz hochspülte.

Sportdirektor Rudi Völler, der mit seinem derzeit sprießenden Bart aussieht wie ein Jürgen Klopp in Schlohweiß, hat das "Top-Duo" gelobt, als sei ihm mit dieser Lösung eine der besten Entscheidungen seines Berufslebens gelungen. Akribisch würden sie arbeiten, etliche Spieler seien unter ihrer Lektion besser geworden. Vor allem aber seien sie "taktisch abgezockt", und die Mannschaft tue alles, um ihre Ideen umzusetzen. Womöglich ist es so, dass Hyypiä dem Trainer-Paar die nötige Autorität gibt, während Lewandowski das theoretische Rüstzeug liefert.

Es war Völler jedenfalls anzusehen, wie sehr ihm dieser neue Höhenflug gefällt. Besonders nach dem relativ schwachen Saisonstart, bei dem man nicht unruhig geworden sei, wie er betonte. Sein Jubel finde allerdings "in einem gewissen Rahmen" statt, sagte er, "wir flippen nicht aus, weil wir jetzt da oben stehen". Es sei eine "Momentaufnahme".

Da oben ist für die Leverkusener nicht oberhalb der Wolken. "Nein", sagte der bescheidene Trainersprecher Lewandowski, "nach oben gucken wir nicht. Ganz oben ist Bayern München." Dann komme erst mal gar nichts. Man ist schon froh, wieder als "Vizekusen" bezeichnet zu werden, in Anlehnung an Leverkusens Klubgeschichte mit vielen zweiten Plätzen. Oder als "Bayern-Jägerchen", wie der Express Bayer 04 nun liebevoll nannte.

"Uns hat die Überzeugung gefehlt"

Gleichwohl war es beeindruckend, mit welcher Gelassenheit die Leverkusener in Bremen auftraten und fast alle Situationen spielerisch lösten. Angeführt vom zweimaligen Torschützen Gonzalo Castro und von Kapitän Simon Rolfes, der das dritte Tor schoss, verschob sich das Bayer-Team so geschickt, dass sich den Bremern außer Nils Petersens Kopfballtreffer zum 1:2 gerade mal zwei weitere nennenswerte Chancen eröffneten.

Wobei den Leverkusenern das von Hyypiä und Lewandowski forcierte Konterspiel immer besser gelingt. "Wir haben", erklärte Rolfes, "nicht mehr so viel Ballbesitz wie früher, spielen aber unglaublich schnell nach vorn." Da mache es sogar "Spaß, den Ball zu jagen". Und weil im Team niemand ausschert, gibt es nach Ansicht von Völler manchen Bayer-Profi, der sich neben den meist nominierten Lars Bender und André Schürrle wieder für die Nationalmannschaft ins Gespräch bringt. Besonders Castro und Stefan Kießling, die bislang eine eher unbefriedigende Zeit bei der DFB-Auswahl hatten, sieht er als Anwärter. Sie sollen, befand Völler, es dem Bundestrainer Joachim Löw schwer machen, sie nicht einzuladen. Sie sollen dafür sorgen, "dass er Kopfschmerzen bekommt" beim Kader-Nominieren.

Bremer Profis wird Löw dagegen vorerst weniger beobachten müssen. Einerseits, weil sie Österreicher, Tschechen, Griechen oder Belgier sind. Andererseits, weil sie noch ziemlich wechselhafte Leistungen zeigen. Lewandowski lobte das "gute, effektive Offensivspiel" seines Teams - Werder-Coach Thomas Schaaf fehlte diesmal genau das bei seinen Leuten. Dazu kam mal wieder die alte Schwäche der Schaaf-Teams: eine anfällige Abwehr. Kevin de Bruyne, der diesmal ebenfalls untergehende belgische Mittelfeld-Stratege, hat das auf Englisch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht: "Shit defence", sagte er.

Dreimal habe man auf die gleiche Weise ein Tor zugelassen. Immer wieder spazierten die Leverkusener durch die Mitte, wo Innenverteidiger Sebastian Prödl an mindestens zwei Treffern indirekt beteiligt war und Kollege Sokratis zu viele Kopfballduelle gegen Kießling verlor. Doch auch die Mittelfeldspieler reagierten zuweilen nicht auf die Leverkusener Attacken.

"Uns hat die Überzeugung gefehlt", sagte Schaaf. Nach dem 1:2 (54.) gab es ein kleines Aufbäumen der Bremer. Ansonsten scheiterten sie genau daran, dass die Leverkusener ihren Spielstil mit großer Überzeugung durchzogen.

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