Süddeutsche Zeitung

Bayer Leverkusen: Rolfes verletzt:Verletzte Seele

Die neuerliche Knie-Operation von Simon Rolfes trifft Bundestrainer Löw und Bayer 04 Leverkusen hart. Für die WM wird der Nationalspieler wohl ausfallen.

Philipp Selldorf

Bis ihn kurz vor der Endhaltestelle der vergangenen Saison eine banale Sprunggelenksverletzung matt setzte, hatte Simon Rolfes seine Serie auf 131 Spiele gesteigert. 131 Spiele hintereinander in der Bundesliga, fast vier Spielzeiten ohne Unterbrechung im Einsatz, das bedeutete in den Zeiten des Hochgeschwindigkeitsfußballs eine außergewöhnliche Marke. Weit entfernt zwar noch vom deutschen Rekordhalter Heinz Simmet, der zwischen 1970 und 1977 für den 1. FC Köln 259 Spiele in Serie bewältigte, aber allemal imponierend.

Rolfes schien nicht nur ein vorbildlicher Profi, sondern auch ein Glückskind dieses Sports zu sein. "Seine Gesundheit war sein Image", heißt es bei seinem Klub in Leverkusen. Diese Ansicht wird jetzt keiner mehr ernsthaft vertreten, nachdem Simon Rolfes am Dienstagmorgen zum dritten Mal in dieser Saison am Knie operiert werden musste, was ihn nach Lage der Dinge die Teilnahme an der WM in Südafrika kosten dürfte.

Eine Kernspinuntersuchung, die am Montag am Rande des Treffens der Nationalspieler in Stuttgart stattfand, weckte Befürchtungen, die sich beim Eingriff durch den Augsburger Spezialisten Ulrich Boenisch bestätigten. Die Ärzte diagnostizierten einen Knorpelschaden. "Für uns und für die Nationalmannschaft und vor allem für den Simon ist das ein herber Schlag", sagt Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler, der zwar keine Prognose über die Gesundung abgeben, aber auch nichts beschönigen möchte: "Mit der WM", sagt Völler, "wird es schwierig werden. Man darf sich da nicht unter Druck setzen und muss der Verletzung die Zeit geben, die sie braucht." Der Bundestrainer sieht es ähnlich. "Wir dürfen Simon nicht zu früh abschreiben, aber müssen auch mit dem Schlimmsten rechnen und über Alternativen nachdenken", erklärte Joachim Löw dem sid.

Frings kein Thema

Eine naheliegende Alternative kommt für ihn allerdings nicht in Frage: Auf Torsten Frings wird Löw definitiv nicht mehr zugehen. Die Pensionierung vom Nationalteam, die er dem Werder-Profi in der vergangenen Woche bei einem Besuch in Bremen beizubringen versucht hat, will der Bundestrainer auf keinen Fall mehr rückgängig machen: "Es ist eine grundsätzliche Entscheidung, ich plane nicht mehr mit ihm."

Rolfes, 28, hatte sich im Oktober einem Eingriff am Knie unterziehen müssen, bereits dem zweiten nach einer Operation im Juli; die Genesung dauerte statt der vorgesehenen zwei Wochen drei Monate. Er bestritt zwei kurze Einsätze während der ersten beiden Rückrundenspiele, und Bayer 04 arrangierte eigens hochkarätige Testspiele, um dem Team-Kapitän und den anderen Reha-Rückkehrern, Patrick Helmes und Renato Augusto, Praxis zu verschaffen.

In der vergangenen Woche bemerkte Rolfes dann abermals Schmerzen im Knie, aber bei Bayer betont man, dass der Mittelfeldspieler die alte Verletzung "vollständig auskuriert" habe. "Die jetzige hat nichts mit der alten Verletzung zu tun", sagte ein Sprecher des Vereins. "Es ist Zufall, Pech, da gibt's keine Schuld und keinen Schuldigen", sagt Rudi Völler. Der Bayer-Sportchef hat am Montag mit Rolfes telefoniert und einen gefassten Patienten erlebt: "Er war schon wieder sehr optimistisch. Er ist zum Glück keiner, der sich weinend ins Kopfkissen wirft."

Das wird auch Jupp Heynckes in Leverkusen nicht tun, zuletzt konnte der Trainer seinem Kapitän ja nicht mal einen Platz in der ersten Elf anbieten, weil er sich genötigt sah, die Erfolgsbesetzung der Vorrunde beizubehalten. Rolfes´ Ersatzmann Stefan Reinartz, 21, hat ja keinen unerheblichen Anteil an der Unbesiegbarkeit des Tabellenführers. Der neuerliche Ausfall sei trotzdem sehr schmerzhaft, meint Völler: "Simon ist ein toller Typ und ein toller Kapitän, er ist die Seele der Truppe."

Problemfall Hitzlsperger

Auch Joachim Löw hat allen Grund, den Verlust zu beklagen. Für den Platz an der Seite von Michael Ballack im defensiven Mittelfeld galten Rolfes und Thomas Hitzlsperger als erste Anwärter. Nun fällt Rolfes für das Turnier wohl aus, und Hitzlsperger besitzt nicht die Aussichten, bei seinem Heimatverein auf die von Löw geforderten Leistungskriterien zu erfüllen. Infolge einer anhaltenden Formkrise hat er beim VfB Stuttgart seinen Stammplatz eingebüßt, Löw rät ihm deshalb zum Vereinswechsel, was der VfB Stuttgart und dessen Trainer Christian Groß keineswegs als Einmischung in innere Angelegenheit betrachteten. Doch von entsprechenden Angeboten ist bisher nichts bekannt geworden, und Hitzlsperger scheint auch nicht mehr entschlossen zu sein, den Wechsel mit Gewalt zu betreiben.

Für Bastian Schweinsteiger steigen damit die Chancen, wie beim FC Bayern auch in der Nationalmannschaft den Arbeitsplatz wechseln zu dürfen. Sami Khedira (ein Länderspiel) und Christian Gentner (vier) genießen zwar die Wertschätzung des Bundestrainers, ihnen fehlt aber Erfahrung. "Bastian hat das Zeug dazu, die Rolle auszufüllen", sagte Löw am Dienstag, "das hängt aber auch davon ab, ob zum Beispiel Toni Kroos sich weiter so positiv entwickelt und vielleicht bei uns die Außenposition besetzen kann."

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SZ vom 27.01.2010/jbe
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